Bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Israel vielfachen "Holocaust" vorgeworfen. Der Bundeskanzler widersprach der unverhohlenen Holocaust-Relativierung aber nicht unmittelbar - und erntete dafür heftige Kritik.
Dass Politiker durch kontroverse Äußerungen heftige Diskussionen vom Zaun brechen, ist bekannt - bei der Pressekonferenz, die Bundeskanzler Olaf Scholz und der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Abend des 16. August 2022 abhielten, war es jedoch das Ungesagte, dass dem SPD-Politiker scharfe Kritik einbrachte. Nicht nur aus Deutschlang hagelte es heftige Reaktionen darauf, dass Olaf Scholz der unverhohlenen Holocaust-Relativierung des Palästinenserpräsidenten keinen Einhalt gebot.
Palästinenserpräsident Abbas wirft Israel vielfachen "Holocaust" vor - und Olaf Scholz schweigt
Abbas hatte Israel bei seinem Besuch in Berlin vielfachen "Holocaust" an den Palästinensern vorgeworfen und damit Empörung ausgelöst. "Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen", sagte er am Dienstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz im Kanzleramt und fügte hinzu: "50 Massaker, 50 Holocausts."
Der SPD-Politiker verfolgte die Äußerungen mit versteinerter Miene, sichtlich verärgert und machte auch Anstalten, sie zu erwidern. Sein Sprecher Steffen Hebestreit hatte die Pressekonferenz aber unmittelbar nach der Antwort Abbas' für beendet erklärt. Die Frage an den Palästinenserpräsidenten war schon vorher als die letzte angekündigt worden. Hebestreit berichtete später, dass Scholz empört über die Äußerung Abbas' gewesen sei. Zur "Bild"-Zeitung sagte der Kanzler am Abend: "Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel."
Altkanzlerin Merkel verurteilt Abbas' Holocaust-Äußerung
Altkanzlerin Angela Merkel hat sich empört gezeigt über die Holocaust-Äußerung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. "Bundeskanzlerin a. D. Dr. Merkel verurteilt die Äußerungen von Präsident Abbas im Rahmen seiner Pressekonferenz in Berlin auf das Schärfste", erklärte eine Sprecherin des Büros von Merkel auf "Bild"-Anfrage (Mittwoch). Die Äußerung sei ein inakzeptabler "Versuch, die Singularität der von Deutschland im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen des Zivilisationsbruchs der Shoa zu relativieren beziehungsweise den Staat Israel direkt oder indirekt auf eine Stufe mit Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus zu stellen". Solche Versuche werde Deutschland niemals dulden.
Regierungssprecher räumt Fehler bei Reaktion auf Abbas-Aussage ein
Nach dem Holocaust-Vergleich von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Verantwortung für die späte Reaktion von Kanzler Olaf Scholz übernommen. Die Pressekonferenz sei zu schnell beendet worden, der Kanzler bedauere es, nicht direkt auf die Äußerungen reagiert zu haben, sagte Hebestreit am Mittwoch in Berlin. "Da war ich nicht schnell genug, aufmerksam genug, um darauf zu reagieren", erläuterte der Sprecher. "Das war mein Fehler und den muss ich auf meine Kappe nehmen." Er bedauere den Fehler sehr.
Der Bundeskanzler sei "empört und entsetzt über die Worte von Herrn Abbas", sagte Hebestreit weiter. "Eine Relativierung des Holocaust mit seinen mehr als sechs Millionen Toten ist völlig unakzeptabel. Dies auch noch auf deutschem Boden zu tun, unentschuldbar."
Abbas versuchte am Mittwoch, die Empörung über seine Äußerungen zu dämpfen. "Präsident Abbas bekräftigt, dass der Holocaust das abscheulichste Verbrechen der modernen menschlichen Geschichte ist", schrieb die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa.
Bundeskanzler Scholz schließt erneutes Treffen mit Abbas nach Holocaust-Eklat vorerst aus
Hebestreit erläuterte, dass es das erste direkte Treffen zwischen Abbas und Scholz gewesen sei und der Vorfall das persönliche Verhältnis überschatten werde. Eine Reise des Kanzler nach Ramallah nannte er in absehbarer Zeit "schwer vorstellbar". Zugleich werde die Bundesregierung in Kontakt mit den Palästinensern bleiben und wegen dieses "furchtbaren Eklats" nicht die Beziehungen abbrechen.
Das Kanzleramt habe zudem am Mittwochvormittag den Leiter der palästinensischen Vertretung in Berlin einbestellt. Dabei habe der außen-und sicherheitspolitische Berater des Bundeskanzlers die Verurteilung der Äußerungen "unmissverständlich übermittelt", sagte Hebestreit. "Der Bundeskanzler erwartet, dass der Palästinenserpräsident die Singularität des Holocaust ohne jede Einschränkung anerkennt. Seine Entgleisung gestern wirft einen dunklen Schatten auf die Beziehungen Deutschlands zu der Palästinensischen Autonomiebehörde." Für die Bundesregierung sei klar: "Die Verfolgung und systematische Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden ist ein einzigartiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
Für Donnerstag habe der Bundeskanzler ein Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Jair Lapid vereinbart, um auch mit ihm über den Vorfall zu sprechen, kündigte Hebestreit außerdem an.
Holocaust-Relativierung blieb unkommentiert: Olaf Scholz nach Pressekonferenz heftig kritisiert
Die Union hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wegen seines Umgangs mit einem Holocaust-Vorwurf von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gegen Israel kritisiert. "Ein unfassbarer Vorgang im Kanzleramt", schrieb CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstagabend auf Twitter. Der Kanzler hätte dem Palästinenserpräsidenten "klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen!", argumentierte er.
Ein unfassbarer Vorgang im Kanzleramt. Der #Bundeskanzler hätte dem Palästinenserpräsident klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen! (FM)https://t.co/brx6pA7vXc
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) August 16, 2022
Der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer meinte: "Selbstverständlich hätte Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Holocaust-Relativierung dem Palästinenserpräsidenten widersprechen können - und müssen. Nach einer solchen Entgleisung zu schweigen ist unverzeihlich."
Selbstverständlich hätte Bundeskanzler @OlafScholz nach der #Holocaust-Relativierung dem Palästinenserpräsidenten widersprechen können - und müssen. Nach einer solchen Entgleisung zu schweigen ist unverzeihlich. Da hilft auch keine spätere Erklärung #Scholz‘ in der #BILD. #Abbas
— Matthias Hauer ???????????????? (@MatthiasHauer) August 16, 2022
Die stellvertretende CDU-BundesvorsitzendeKarin Prien schrieb mit Blick auf Scholz später auf Twitter: "Zu wenig, zu spät". Der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff erklärte hingegen, eine breitere Öffentlichkeit erfahre endlich, "wie die Palästinenser und Abbas - Israels angebliche "Partner" - drauf sind. Das ist wichtiger als Kritik am @Bundeskanzler, dessen Empörung klar sichtbar war".
Eine breitere Öffentlichkeit erfährt endlich, wie die #Palästinenser und #Abbas - Israels angebliche “Partner” - drauf sind.
— Alexander Lambsdorff (@Lambsdorff) August 16, 2022
Das ist wichtiger als Kritik am @Bundeskanzler, dessen Empörung klar sichtbar war. #Antisemitismus #Israel https://t.co/VvMBSNYIdl
Neuer Botschafter Seibert: Abbas' Holocaust-Vergleich "inakzeptabel"
Der neue deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, hat den Holocaust-Vergleich von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas als "falsch und inakzeptabel" kritisiert. "Deutschland wird niemals einen Versuch dulden, die Einzigartigkeit der Verbrechen des Holocaust zu leugnen", schrieb der frühere Regierungssprecher am Mittwoch auf Twitter.
What President #Abbas said in Berlin about „50 holocausts“ is wrong and unacceptable. Germany will never stand for any attempt to deny the singular dimension of the crimes of the Holocaust.
— Steffen Seibert (@GerAmbTLV) August 16, 2022
Israels Ministerpräsident bestürzt über Abbas-Äußerung: "Moralische Schande und ungeheure Lüge"
Abbas war vor der Äußerung von einem Journalisten gefragt worden, ob er sich zum 50. Jahrestag des von palästinensischen Terroristen verübten Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München bei Israel entschuldigen werde. Dazu sagte Abbas, dass man tagtäglich Menschen habe, die von der israelischen Armee getötet würden. "Wenn wir weiter in der Vergangenheit wühlen wollen, ja bitte." Auf das Olympia-Attentat, bei dem elf Israelis getötet wurden, ging der Palästinenserpräsident in seiner Antwort nicht ein.
Der israelische Ministerpräsident Jair Lapid reagierte mit deutlichen Worten: "Dass Mahmud Abbas Israel beschuldigt, "50 Holocausts" begangen zu haben, während er auf deutschem Boden steht, ist nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge", schrieb er auf Twitter und verwies auf die sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die im Holocaust von den Nazis ermordet wurden. Die Geschichte werde Abbas niemals verzeihen. Lapid ist selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden.
Mahmoud Abbas accusing Israel of having committed "50 Holocausts" while standing on German soil is not only a moral disgrace, but a monstrous lie.
— יאיר לפיד - Yair Lapid (@yairlapid) August 16, 2022
Six million Jews were murdered in the Holocaust, including one and a half million Jewish children.
History will never forgive him.
Internationale Empörung nach Abbas' Holocaust-Anschuldigungen gegen Israel
Auch das Internationale Auschwitz-Komitee kritisierte den Holocaust-Vorwurf von Abbas gegen Israel sowie eine zögerliche Reaktion von deutscher Seite scharf. Der Palästinenserpräsident habe "die politische Bühne Berlins gezielt genutzt, um die deutsche Erinnerungskultur und die Beziehungen zum Staat Israel zu diffamieren", sagte der Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner am späten Dienstagabend. Auch die Reaktion auf Abbas' Äußerung war ihm zufolge unzureichend. "Es ist erstaunlich und befremdlich, dass die deutsche Seite auf Abbas' Provokationen nicht vorbereitet war und seine Äußerungen zum Holocaust in der Pressekonferenz unwidersprochen geblieben sind", teilte Heubner in Berlin mit.
Der CDU-Politiker Armin Laschet nannte den Auftritt Abbas' "die schlimmste Entgleisung, die je im Kanzleramt zu hören war". Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland(RND), Abbas erweise "den berechtigten palästinensischen Anliegen" keinen Dienst. "Durch seine Holocaustrelativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen", kritisierte Klein. "Das gilt gerade auch im Hinblick auf die gestellte Frage zum Olympiaattentat, das von PLO-Terroristen verübt wurde."
Palästinenserpräsident Abbas verstört mit Holocaust-Relativierungen und Antisemitismus
Der Palästinenserpräsident hatte bereits 2018 mit Holocaust-Aussagen in einem anderen Zusammenhang für Aufsehen gesorgt. Damals sagte er, der Holocaust sei nicht durch Antisemitismus ausgelöst worden. Stattdessen sei der Auslöser die soziale Stellung der Juden als Verleiher von Krediten mit Zinsen gewesen. Hinterher entschuldigte er sich für die antisemitischen Aussagen. Es sei nicht seine Absicht gewesen, jemanden damit zu kränken.
Als umstritten gilt auch seine Anfang der 1980er Jahre vorgelegte Doktorarbeit. Abbas hatte darin den Holocaust relativiert und der zionistischen Bewegung vorgeworfen, sie habe mit dem Hitler-Regime kollaboriert. 2014 bezeichnete er dann erstmals die Judenvernichtung während des Holocausts als das "schlimmste Verbrechen der Neuzeit".
Olaf Scholz widersprach "Apartheit"-Anschuldigung von Abbas, doch schwieg zu Holocaust-Vorwurf
Scholz hatte Abbas bereits vorher auf offener Bühne kritisiert, weil dieser die israelische Politik als "Apartheidssystem" bezeichnet hatte. "Ich will ausdrücklich hier an dieser Stelle sagen, dass ich mir das Wort Apartheid nicht zu eigen mache und dass ich das nicht für richtig halte für die Beschreibung der Situation", sagte Scholz.
Abbas hatte zuvor gesagt, die "Umwandlung in die neue Realität eines einzigen Staates in einem Apartheid-System" diene nicht der Sicherheit und Stabilität in der Region. Unter Apartheid versteht man die Doktrin der Trennung einzelner ethnischer Bevölkerungsgruppen, vor allem bis 1994 in Südafrika. Sie gilt international als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Abbas hatte dies Israel bereits häufiger vorgeworfen.
Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland, Ost-Jerusalem und die Golanhöhen erobert. Die UN stufen die Gebiete als besetzt ein. Die Palästinenser wollen sie für einen eigenen Staat Palästina - mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern liegt seit 2014 brach.
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loc/news.de/dpa
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