Die anhaltend hohe Inflation lässt die Lebensmittelpreise förmlich explodieren. Zahlreiche Produkte sind mittlerweile deutlich teurer - als Grund werde oft die Energiekrise genannt. Experten haben jedoch einen schrecklichen Verdacht.
Die Inflation in Deutschland hält sich trotz leichten Rückgangs im November hartnäckig auf hohem Niveau und erfasst immer weitere Bereiche des täglichen Lebens. Die Verbraucherpreise stiegen im November gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,0 Prozent. Im Oktober hatte die Jahresinflationsrate mit 10,4 Prozent den höchsten Stand seit etwa 70 Jahren erreicht. Experten sehen in der Abschwächung im November jedoch noch keinen Grund zur Entwarnung.
10 Prozent mehr! Inflation lässt Preise in Deutschland explodieren
"Die Inflationsrate verweilt trotz leichter Entspannung bei den Energiepreisen mit 10,0 Prozent weiterhin auf einem hohen Stand", sagte der Präsident der Wiesbadener Behörde, Georg Thiel. "Wir beobachten zunehmend auch Preisanstiege bei vielen anderen Waren neben der Energie."
Hohe Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucher:innen und zehren Einkommenszuwächse auf. Die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten. Bei einer YouGov-Umfrage unter mehr als 2.000 Menschen in Deutschland gaben im November 23 Prozent an, in den vergangenen drei Monaten meistens oder immer Schwierigkeiten beim Lebensmitteleinkauf gehabt zu haben. Mehr als die Hälfte (59 Prozent) haben bei den gewohnten Ausgaben bereits den Rotstift angesetzt. Gut zwei Drittel (67 Prozent) der Verbraucher gehen davon aus, ihre Ausgaben zu kürzen oder weiter zu verringern.
Zucker, Mehl, Butter und Co.! Diese Lebensmittel sind deutlich teurer geworden
Angeschoben wird die Inflation in Europas größter Volkswirtschaft seit Monaten von hohen Energie- und Lebensmittelpreisen. Energie kostete im November 38,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Preisanstieg schwächte sich nach einem Zuwachs von 43 Prozent im Oktober damit etwas ab. Für Nahrungsmittel mussten Verbraucher 21,1 Prozent mehr zahlen als im November 2021. Seit Jahresbeginn hat sich der Preisauftrieb den Angaben zufolge hier schrittweise verstärkt. Erheblich teurer wurden binnen eines Jahres Speisefette und Speiseöle (plus 41,5 Prozent), spürbare Anstiege gab es auch bei Molkereiprodukten und Eiern (plus 34,0 Prozent), Brot und Getreideerzeugnissen (plus 21,1 Prozent) sowie Gemüse (plus 20,1 Prozent).
Folgende Produkte sind deutlich teurer geworden:
- Zucker (+ 48,4 Prozent teurer)
- Mehl (+ 46,7 Prozent teurer)
- Butter (+ 42,2 Prozent teurer)
- Vollmilch (+ 32,2 Prozent)
- Käse und Quark (+ 37,6 Prozent teurer)
- Joghurt (+ 30,2 Prozent teurer)
- Gewürze (+ 27,4 Prozent teurer)
- Diesel (+ 26,8Prozent teurer)
- Kartoffeln (+ 25,8Prozent teurer)
- Nudeln (+ 25,2Prozent teurer)
- Reis (+ 23,3 Prozent teurer)
- Fisch (+ 21,1 Prozent teurer)
- Brot (+ 21,1 Prozent teurer)
- Rind- und Kalbfleisch (+ 21 Prozent teurer)
- Eier (+ 19,5 Prozent teurer)
- Gemüse (+ 17,2 Prozent teurer)
- Müsli (+ 13,4 Prozent teurer)
- Olivenöl (+ 13,2 Prozent teurer)
- Kakao (+ 11,5 Prozent teurer)
- Schokolade (+ 10,1 Prozent teurer)
Preissteigerung wegen Profitmaximierung! Ökonom offenbart schrecklichen Verdacht
Nicht jede Preissteigerung sei jedoch als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu erklären. "Unternehmen in Handel, Landwirtschaft und Bau nutzen die Inflation, um Gewinne zu steigern", gibt Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber der "Bild"-Zeitung zu bedenken. "Sie nutzen die Inflation als Deckmantel! Wenn keiner so genau nachvollziehen kann, woher die Preiserhöhung kommt, geht das besonders leicht." Der Ökonom glaubt, dass die Unternehmen nun die Ersparnisse vieler Bürger:innen aus der Corona-Zeit abgreifen wolle. "Erst wenn die verbraucht sind, fallen die Preise", prophezeit Ragnitz.
Erstmals seit Juli schwächte sich die Jahresinflation wieder etwas ab. Im Sommer hatten zeitlich befristete Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt den Preisauftrieb gedämpft. Viele Ökonomen rechneten zuletzt aber erst im Frühjahr mit einem deutlicheren Rückgang der Jahresteuerung. Bundesbankpräsident Joachim Nagel geht davon aus, dass die Inflationsrate in Deutschland auch im kommenden Jahr hoch bleibt. "Ich halte es für wahrscheinlich, dass im Jahresdurchschnitt eine Sieben vor dem Komma stehen wird", sagte er jüngst.
Bundesregierung will Bürger entlasten
Die Bundesregierung will die Belastungen für Verbraucher und Unternehmen durch die hohen Energiepreise mit milliardenschweren Entlastungspaketen abfedern. Dazu zählen auch die ab kommendem Jahr geplanten Gas- und Strompreisbremsen. Im Dezember gibt es eine einmalige Soforthilfe für Gas- und Fernwärmekunden. Sie müssen in diesem Monat keinen Abschlag zahlen. Die Kosten übernimmt der Bund.
Teuerungsraten auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. In den alten Bundesländern wurden Raten um die 10 Prozent und darüber Anfang der 50er Jahre gemessen. Allerdings hat sich die Berechnungsmethode im Laufe der Zeit geändert.
Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich inzwischen mit einer Serie von Zinserhöhungen gegen die hohe Inflation im Euroraum. Eine weitere Anhebung wird bei der Sitzung des EZB-Rates an diesem Donnerstag erwartet. Die Währungshüter streben für den gemeinsamen Währungsraum der 19 Länder mittelfristig Preisstabilität bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent an. In Deutschland lag der für die Geldpolitik der Notenbank maßgebliche Index HVPI im November um 11,3 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.
Umfrage: Verbraucher für staatliche Eingriffe bei Lebensmittelpreisen
Angesichts der Preisexplosion in Supermärkten und bei Discountern befürwortet die breite Mehrheit der Menschen in Deutschland einer Umfrage zufolge nun auch staatliche Eingriffe bei den Lebensmittelpreisen. "Die Kundschaft erlebt die Teuerung bei Lebensmitteln als so schwerwiegend, dass sie alle Wege nutzen möchte, um wieder günstiger einkaufen zu können", fasste die Handelsexpertin Vanessa Seip von der der Unternehmensberatung Oliver Wyman das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter 1.000 Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland zusammen.
Dabei sprachen sich 91 Prozent der Befragen für staatliche Interventionen wie gesetzlich festgelegte Preisobergrenzen oder Subventionen für Lebensmittel aus. Nur neun Prozent waren der Ansicht, die Regierung solle sich aus der Preisbildung heraushalten.
Möglicherweise inspiriert vom Tankrabatt und der Gaspreisbremse befürworteten rund die Hälfte der Befragten eine Obergrenze für Preissteigerungen je nach Produktgruppe. Ein Drittel der Befragten sahen staatlich gesetzte Preisdeckel für einen durchschnittlichen Einkaufskorb als Lösung. Immerhin noch zehn Prozent fänden es richtig, wenn Kantinenessen staatlich subventioniert würde.
Bewerteten im Jahr 2020 noch 79 Prozent aller Konsumenten die Leistung des Einzelhandels als gut oder sehr gut, rutschte der Wert binnen zwei Jahren auf 36 Prozent ab. Bereits 18 Prozent halten die Performance des Handels der Umfrage zufolge für unzureichend oder schwach. "Anders als in der Coronakrise, als Verbraucher ihren Händlern und deren Schutzkonzepten ein gutes Zeugnis ausgestellt haben, fühlen sie sich in Zeiten der Inflation alleingelassen", sagte Seip.
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