Zuletzt kam russisches Gas vor allem über die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Doch seit Montag fließt kein Gas mehr. Der Grund: Wartungsarbeiten. Müssen wir uns nun Sorgen um unsere Gasversorgung machen?
Gebannt schaut Deutschland Richtung Lubmin an der vorpommerschen Ostseeküste. Dabei ist schon seit längerem klar: Ab Montagmorgen soll wegen routinemäßiger Wartungsarbeiten durch die Pipeline Nord Stream 1 kein Erdgas mehr nach Deutschland fließen. Die eigentliche Frage ist: für wie lange?
Wieso wird die Gaslieferung unterbrochen?
Grund sind laut dem Betreiber Nord Stream AG jährlich wiederkehrende Wartungsarbeiten an der Pipeline. Die Rede ist von Überprüfung und gegebenenfalls Instandsetzung oder Kalibrierung etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile. Auch Software-Updates würden vorgenommen. Die Offshore-Pipelines blieben weiter unter Druck. Die Arbeiten finden laut Bundesnetzagentur nicht an der eigentlichen Leitung, sondern an den Verdichterstationen statt, etwa in Lubmin.
Wie lange wird kein Gas fließen?
Ab Montag, 6.00 Uhr, bis 21. Juli, 6.00 Uhr - also für zehn Tage - soll kein Gas mehr fließen. Entsprechende Arbeiten dauerten laut Betreiber in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 14 Tagen. Sie wichen dabei aber auch teilweise von der angesetzten Frist ab. In Modellrechnungen geht die Bundesnetzagentur von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können, hieß es von der Behörde. Daher schaue man auch eher darauf, wie es am 21. oder 22. Juli weitergeht.
Wie viel Gas floss zuletzt durch die Pipeline?
Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni bereits die Liefermenge durch die mehr als 1200 Kilometer lange Pipeline deutlich gedrosselt und auf Verzögerungen bei Reparaturarbeiten verwiesen. Zuletzt war die Leitung laut Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet.
Nach Darstellungen Russlands hingen diese Verzögerungen mit Sanktionen zusammen, die der Westen wegen des Angriffs auf die Ukraine gegen Russland verhängt hatte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Begründung als vorgeschoben kritisiert. Unter anderem ging es dabei um eine Pumpe, die nach der Wartung in Kanada nicht zurück nach Russland geliefert werden konnte. Kanada hat inzwischen aber angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montréal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen.
Warum sollte dieses Mal länger kein Gas fließen?
Mitte Juni hatte Russlands EU-Botschafter gesagt, wegen der Probleme bei den Reparaturarbeiten sei auch eine völlige Stilllegung möglich. Eine solche befürchtet unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er sagte kürzlich, man sehe ein Muster, dass zu diesem Szenario führen könne. Habeck sprach auch von einer"wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung" mit Russland. Auch russische Gaslieferungen über andere Leitungen nach Deutschland waren zuletzt deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig erhalten mehrere europäische Staaten, die die Regierung in Kiew unterstützen, bereits kein Gas mehr aus Russland.
Wie wichtig ist die Pipeline für die Gasversorgung?
Die 2011 in Betrieb genommene Pipeline war mindestens in den vergangenen Monaten die Leitung, über die eine deutliche Mehrheit des russischen Gases nach Deutschland geliefert wurde. Andere Pipelines für russisches Erdgas sind die Jamal-Leitung, die im brandenburgischen Mallnow ankommt, und ein über die Ukraine verlaufendes Leitungssystem mit Anknüpfungspunkt im bayrischen Waidhaus. In Mallnow kommt laut Bundesnetzagentur seit einiger Zeit gar kein Gas mehr an, in Waidhaus ist die Menge zuletzt ebenfalls deutlich gesunken und entsprach schon davor nur einem Bruchteil der in Lubmin ankommenden Menge. Im vergangenen Jahr lag der Anteil russischer Gaslieferungen in Deutschland laut Wirtschaftsministerium bei 55 Prozent, war aber bis Ende April dieses Jahres auf 35 Prozent zurückgegangen.
Was passiert, wenn Nord Stream 1 dauerhaft dicht bleibt?
Unmittelbar würde es wohl nicht zu einem Gasmangel in Deutschland kommen. Zu dem Ergebnis kommen Modellrechnungen der Bundesnetzagentur. Aber: Deutschland könnte seine Gasspeicher vor der Heizperiode nicht so weit auffüllen, wie angestrebt. Außerdem könnte es den Berechnungen zufolge ohne Gas aus Lubmin im Winter unter Umständen zu einer Mangellage kommen. Eine jüngere Diagnose von mehreren deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten kommt dagegen zum Schluss, dass auch im ungünstigsten Fall dieses Jahr kein Gasengpass mehr drohe und im kommenden Jahr auch nur in eher ungünstigen Szenarien.
Davon unabhängig würde ein andauernder Lieferstopp die Preise wohl weiter steigen lassen. Die von den gedrosselten Lieferungen betroffenen Unternehmen müssen diese schon jetzt zu deutlich höheren Preisen anderweitig am Markt beschaffen. Auch private Verbraucher müssen sich laut Bundesnetzagentur auf deutlich steigende Gaspreise einstellen. Man unterstütze ausdrücklich die Aufforderung, so viel Gas wie möglich einzusparen.
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sba/news.de/dpa