In Schweden fiel die Reaktion über sein Buch verhalten aus. Mit gutem Grund. Denn Schweden und Ikea - das sind beinahe Synonyme. In Deutschland dürfte Johan Stenebos Enthüllungsbuch «Die Wahrheit über Ikea» für mehr Unruhe sorgen.
Das skandinavische Land verdankt dem Unternehmen einen Großteil seines Images - Ikea, das war für uns Deutsche jahrzehntelang der Inbegriff für ein kinderfreundliches, emanzipiertes, weltoffenes und umweltbewusstes Land. Doch jetzt räumt Ex-Manager Johan Stenebo mit diesem Saubermann-Image auf. In seinem am 10. August auf Deutsch erschienenen Buch wirft er der Ikea-Führung und allen voran Firmengründer Ingvar Kamprad Rassismus (mehr dazu hier) und Frauen-Diskriminierung (mehr dazu hier) vor.
Stenebo, der es immerhin 20 Jahre lang bei Ikea aushielt und es vom einfachen Möbelverkäufer zum Filialleiter und schließlich zum persönlichenAssistenten des Patriarchen brachte, gewährt Einblicke in die dunklen Seiten des angeblich so sympathischen Möbelhauses, das nirgendwo sonst so viele Filialen betreibt wie in Deutschland. An 45 Standorten erzielte der Konzern im vergangenen Jahr einen Umsatz von 3,34 Milliarden Euro. Weltweit verdiente Ikea sogar im Krisenjahr prächtig und steigerte den Umsatz auf 21,5 Milliarden Euro.
Noch hat sich Ikea nicht totgesiegt. Noch gibt es viele Länder für den blau-gelben Möbelgiganten zu erobern. Vor allem in Russland und China scheinen die Menschen unersättlich zu sein nach der vermeintlich günstigen, pseudo-individuellen Massenware. Einen Großteil seines Erfolgs verdankt Ikea dabei seinem geschickt aufgebauten Marketing: Der Kunde wird geduzt, um ihm eine besondere Nähe und Freundschaft zu suggerieren. Die Produkte erhalten Namen von finnischen Seen oder schwedischen Inseln, um ihnen die Aura des Heimatlichen, ja eines Familienmitglieds zu verleihen.
Das Unternehmen propagiert Umweltschutz und Nachhaltigkeit und preist sein gutes Betriebsklima. Doch laut Stenebo lässt Ikea um des billigen Preises willen illegal sibirische Urwälder roden (mehr dazu hier), verdient an Kinderarbeit und Tierquälerei (mehr dazu hier). Und an der Firmenspitze geriert sich der 84 Jahre alte Kamprad als bescheidener Konzerngründer, der zu Hause noch immer auf einem 30 Jahren alten Klippan-Sofa sitzt, auf Reisen lieber die U-Bahn nimmt und regen Gebrauch von Pensionärsermäßigungen macht (mehr dazu hier).
Nichts von dem sei wahr, behauptet Stenebo in seinem Buch. Ikea sei auf Lügen aufgebaut. Kamprad habe im Konzern ein Spitzel-System installiert (mehr dazu hier) und inszeniere bewusst das Bild vom einfachen Bauernsohn und Geizhals mit leichter Legasthenie und Alkoholproblemen (mehr dazu hier), um dem Unternehmen eine Sparkultur einzuimpfen. «Die Firma lässt sich besser steuern, wenn Kamprad sich selbst als asketischen und dümmlichen Greis darstellt», schreibt Stenebo. Mit einem geschätzten Vermögen von 24 Milliarden Euro gilt Kamprad als der reichste Schweizer. Schon 1974 verlegte er seinen Wohnsitz in das Land mit den niedrigen Einkommensteuersätzen.
Billiglöhner bei Ikea Deutschland
Gespart werden müsse bei Ikea rigoros bei allen Kostenfaktoren, behauptet Stenebo. Vom Rohstoffeinkauf über die Zulieferprodukte bis zu den Gehältern. Vermehrt setzt Ikea inzwischen auf billige Leiharbeiter. Beispiel Ikea im hessischen Wallau: Dort werden Zeitarbeiter mit Stundenlöhnen von sechs bis acht Euro brutto beschäftigt. Viele Ikea-Mitarbeiter beziehen als Aufstocker zusätzlich Hartz IV, obwohl sie Vollzeit arbeiten.
Zugleich entziehe sich der Konzern seiner Steuerpflicht durch ein kompliziert verschachteltes Firmenimperium und eine Niederlassung auf der Karibik-Insel Curaçao, damit sich Finanzbehörden an den nationalen Grenzen die Zähne ausbeißen, behauptet Stenebo. Angeblich fließen alle Ikea-Gewinne in eine Stiftung in den Niederlanden. Kamprad behauptet, dies diene dazu, dass sich seine drei Söhne «nicht eines Tages um die Stücke reißen». Für Stenebo dagegen ist klar, dass Kamprad damit nur eines bezweckt: die Steuern für sein Unternehmen auf ein absolutes Minimum zu drücken (mehr dazu hier).
Stenebo verließ Ikea, nachdem er sich mit Peter Kamprad, Ingvars ältestem Sohn, überwarf. Ist das Buch «Die Wahrheit über Ikea» die Abrechnung eines Mannes, für den die Karriereleiter nicht mehr weiter nach oben führte? Das sei nicht seine Motivation für das Buch gewesen, streitet Stenebo ab. Neben ihm seien nur «drei bis fünf andere Personen» dazu in der Lage, «die Wahrheit» über Ikea aufzuschreiben. Das Buch habe er aber nicht aus Rache geschrieben, sondern aus Sorge um Ikeas Zukunft.
Immerhin: Für Stenebo dürfte sich das Buch lohnen. Das Verdienst des 48-Jährigen ist es allemal, eines der verschwiegensten Unternehmen der Welt etwas transparenter gemacht zu haben. Heute gibt der Betriebswirt Seminare in Unternehmensführung, hält Vorträge. Und nun wartet in Deutschland ein noch viel größerer Markt auf seine «Wahrheiten».
Zehn «Wahrheiten» über Ikea und Firmengründer Kamprad, mit Zitaten aus Stenebos Buch
1. Kamprad ist weder Legastheniker noch Alkoholiker
Stenebo: «Journalisten werden getäuscht, indem bei ihnen Faszination über die vielen Defizite eines so erfolgreichen und vermögenden Mannes geweckt wird. Sprechen die Journalisten zudem keine skandinavische Sprache, kann Kamprad vor jeder unangenehmen Frage mithilfe seines plumpen Englischs abtauchen. Wer wird nach einem alten Mann treten, der keine Fremdsprache beherrscht?» (...)
«Kamprad hat regelmäßig geradezu geplante Perioden ohne Alkoholkonsum, und dazwischen betrinkt er sich nicht sinnlos. (...) Das einzige Mal, dass ich Ingvar richtig betrunken erlebt habe, war 1995 auf einem Firmenfest in Polen.»
2. Der Nazi Ingvar Kamprad
Stenebo: «Ingvar wuchs in einer deutschstämmigen, außerordentlich autoritären Familie auf. Seine Großmutter väterlicherseits war mehr als deutschfreundlich und saß wie ein matriarchalisches Programm im Hause Kamprad. Es war im ganzen Dorf bekannt, dass Ingvars Vater Feodor eingefleischter Nazi war. (...) Er war bis weit in die 60er Jahre für Ikea tätig und gab den Leuten rechts und links Fußtritte nach Lust und Laune. Mit diesen Verrücktheiten konnte nicht einmal Ingvar mithalten.»
3. Ist Kamprad ein Geizhals?
Stenebo: «Das Haus von ihm und seiner Frau Margaretha ist in jeder Hinsicht normal. (...) Die Einrichtung atmet den Geist der 80er Jahre (...), Ferienreisen gibt es wenige und nur höchst sparsame, weil Ingvar Ferien ebenso sehr verabscheut wie Kinobesuche.»
4. Das Ikea-Spitzelsystem
Stenebo: «Mit Misstrauen hat Kamprad Ikea aufgebaut. Weil er niemandem vertraut, (...) hat er seit vielen Jahren ein beachtliches Netzwerk von Spionen. Erfahrene, loyale Mitarbeiter auf allen Ebenen des Unternehmens, die ihm per Fax, Telefon oder während persönlicher Treffren jede einzelne Beobachtung übermitteln.»
5. Bei Ikea werden Frauen diskriminiert
Stenebo: «Um die Gleichberechtigung ist es bei Ikea bis zum heutigen Tag schlecht bestellt. Sicher, Ikea Deutschland, Ikea Österreich und die kanadische Verkaufsgesellschaft werden von weiblichen Geschäftsführern geleitet. (...) Aber sie haben in dieser Position überhaupt keinen Einfluss auf Ikea, weil sie einer reinen Verkaufsgesellschaft vorstehen.»
6. In der Ikea-Führung geht es um Blut und Boden
Stenebo: «Leute, die ncht aus der Gegend um Älmhult (dem Geburtsort Kamprads, die Redaktion) kommen, sind in seinen Augen alle etwas suspekt. Sein erster Konzernchef war ein Bauernsohn aus Dihult bei Älmhult, und er wurde angestellt, weil er ein guter Handballspieler war. (...) Ingvars Weltbild ist es, dass es im Grunde nur die Blutsbande sind, denen man vertrauen kann. Ansonsten sind nur richtige Schweden okay und darunter eigentlich nur Smaländer aus Älmhult und Umgebung.»
7. Ikea begeht Tierquälerei
Stenebo: «Ikea begeht äußerst selten Umweltverbrechen bewusst. Meist schließt es die Augen vor den Resultaten seiner Handlungen. (...) Wenn es um den 2009 aufgedeckten Umweltskandal bei Ikea geht, wo von lebenden Vögeln Daunen gerupft wurden, kann Ikea logischerweise nicht die ganze Wahrheit gesagt haben.»
8. Ikea verdient an Kinderarbeit
Stenebo: «(...) Genau diese Entschuldigungen, dass man nicht alle Zulieferer kontrollieren könne, wurden auch Ende der 90er Jahre angewandt, als SVT und andere Medien Ikea wiederholte Male mit Kinderarbeit ertappten. (...) Nur der niedrige Preis veranlasst Ikea dazu, Lieferanten wie die chinesische Daunenfabrik unter den Tausenden von Zulieferern auszuwählen.»
9. Ikea lässt illegal sibirische Urwälder roden
Stenebo: «Chinesen sind besonders umtriebige Geschäftsleute, und Ehtik war nie ihre Stärke. Deshalb begeben sie sich en masse über die Grenze nach Sibirien und holzen dort illegal und völlig unkontrolliert einen der schützenswertesten Urwälder der Welt ab. Einer der eifrigsten Käufer ist Ikea.»
10. Ikea begeht Steuerflucht in der Karibik
Stenebo: «Ikea besteht aus zwei großen und voneinander unabhängigen Konzernen, Inter Ikea und dem Ikea-Konzern. (...) Viele von Ikeas Schwergewichten sind der Auffassung, Inter Ikea sei eigentlich nur ein finanzielles Konstrukt für Ingvar, um Geld zu verdienen und Steuern zu vermeiden. (...) Um das Markenzeichen auf seinen Einrichtungshäusern anwenden zu dürfen, muss Ikea eine Abgabe von drei Prozent des Jahresumsatzes an Inter bezahlen. (...) Die Inter Ikea Holding ist in Luxemburg registriert und gehört einer Stiftung auf Curaçao. Und in der Karibik sind die Gesetze passenderweise so, dass die Personen hinter einem Trust anonym bleiben können. Insgesamt bezahlten die beiden Konzerne zusammen 19 Millionen Euro an Steuern, das sind 3,4 Prozent auf einen Gewinn von 553 Millionen Euro.»
Johan Stenebo: Die Wahrheit über Ikea. Campus-Verlag, 286 Seiten, 24,90 Euro
tno/reu/news.de