Wie fit ist Jonas Vingegaard nach seinem schweren Sturz? Mit der Antwort rückt der Titelverteidiger der Tour de France nicht so richtig raus, und die Konkurrenz reagiert zunehmend genervt.
Jonas Vingegaard nahm es mit dem Ruhetag sehr genau. In Birkenstock-Sandalen und Jogginghose ließ sich der Titelverteidiger der Tour de France noch etwas verschlafen wirkend in einem großen grünen Sessel nieder und sprach mit ruhiger Stimme über das eigentlich Unmögliche - den dritten Gesamtsieg nacheinander.
"Ich bin so etwas wie die große Unbekannte. Es ist das erste Mal, dass ich in dieser Verfassung bei der Tour de France bin, und wir wissen nicht, wie ich in den kommenden beiden Wochen darauf reagieren werde", sagte Vingegaard der dpa. Einige Minuten später tauschte er die Schlappen gegen Rennradschuhe und drehte eine kleine Runde im Süden von Orléans. Die Beine sollen schließlich auch locker bleiben.
Überschaubarer Rückstand
Physisch und wohl auch psychisch hat der Däne seinen schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt Anfang April verarbeitet. Mehrere Knochenbrüche und eine punktierte Lunge zwangen ihn zu einer wochenlangen Pause, doch nach neun von 21 Etappen liegt Vingegaard als Dritter nur 1:15 Minuten hinter dem Gesamtführenden Tadej Pogacar.
Und bei dem Slowenen scheint die Nervosität zu steigen. Nachdem Vingegaard auf der Schotteretappe die Zusammenarbeit verweigert hatte, zeigte sich der eigentlich stets gut gelaunte 25-Jährige zunehmend genervt von der defensiven Taktik seines großen Rivalen. Alles fokussiere sich auf ihn, lamentierte Pogacar. Und der ebenfalls in Angriffslaune fahrende Gesamtzweite Remco Evenepoel ging mit Vingegaards Fahrweise noch pubertärer ins Gericht: "Manchmal braucht man Eier, um Rennen zu fahren. Die hatte Jonas offenbar nicht."
Mehr Genuss, weniger Druck
Vingegaard nahm den Furor des Belgiers ziemlich amüsiert hin und moderierte ihn einfach ab. "Ich bin einfach schlau gefahren. Mir ging es darum, keine Zeit zu verlieren. Also war das ein Erfolg", sagte der 27-Jährige. "Vielleicht verstehen das einige Leute nicht, aber das ist dann deren Problem."
Der Mann aus Jütland war ohnehin nie ein Lautsprecher und stets mit 40er-Ruhepuls unterwegs. Doch sein schwerer Sturz im Frühjahr hat noch einmal etwas in Vingegaard verändert, lässt ihn noch ausgeglichener und gleichmütiger wirken. "Ich genieße es einfach, wieder Rennen fahren zu können, wieder im Peloton zu fahren", sagte Vingegaard. Und ja, es sei auch weniger Druck spürbar.
Große Sorgen bei Ehefrau Trine
Nur sechs Wochen Vorbereitung blieben ihm für das härteste und wichtigste Rennen des Jahres. Und der Weg war nicht nur mit körperlicher Schinderei verbunden, sondern mit Todesangst - ausgelöst durch jenen Sturz in einer Abfahrt im Norden Spaniens. "Es war so schlimm, dass ich dachte, ich würde sterben", sagte Vingegaard. "Und als ich da lag, dachte ich, wenn ich das überleben sollte, dann höre ich mit dem Radsport auf. Doch nun sitze ich hier."
Die Gedanken an ein mögliches Karriereende waren flüchtig, aber sehr klar. Vor allem, weil der Sturz auch seine Ehefrau Trine Hansen sehr mitnahm. "Meine Familie war immer für mich da und hat mich sehr unterstützt. Aber ja, Trine dachte auch, ich würde sterben, als ich da am Boden lag", sagte Vingegaard. Hansen ist derzeit schwanger, im Herbst kommt nach der drei Jahre alten Tochter Frida das zweite Kind.
Keine Angst in der Abfahrt
Angst fährt bei Vingegaard nicht mit. Zwar verlor er auf der bisher einzigen Hochgebirgsetappe auf der Abfahrt vom Col du Galibier rund eine halbe Minute auf Pogacar, doch langsamer sei er in den Abfahrten nicht geworden. Allerdings bedurfte es etwas Überwindung, wieder dieselben Risiken wie vor seinem Sturz einzugehen. "Ich denke, ich bin darüber hinweg", sagte Vingegaard. "Es war eine Herausforderung für mich, aber nun denke ich, dass ich keine Probleme mit Abfahrten habe."
Die wahre und nächste Herausforderung steht am Wochenende an. Dann geht es in die Pyrenäen und es wird sich zeigen, ob Vingegaard seinen Plan tatsächlich umsetzen kann. Gezwungenermaßen etwas schwächer als im Vorjahr in die Tour zu gehen, dann aber topfit zu sein, wenn es auf über 2000 Metern Höhe zur Sache geht.
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