Es kann nur einen geben. Das weiß auch der Bundestrainer. Neuer oder ter Stegen? Die Entscheidung, wer bei der EM im Tor der Nationalmannschaft steht, bahnt sich an. Mit einer klaren Tendenz.
Manuel Neuer stand ein paar Meter neben dem Tor und schaute sich die Glanzparaden von Marc-André ter Stegen im Training ganz genau an. Dann wechselte der Bayern-Schlussmann zwischen die Pfosten und tat es seinem Kontrahenten bei der Übung mit scharfen Schüssen aus kurzer Distanz einfach nach.
Julian Nagelsmann konnte sich bei der ersten Übungseinheit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im EM-Jahr einer Sache sicher sein. Auf der Torhüter-Position hat er überhaupt kein Problem. Oder doch? Der Bundestrainer muss sich auf eine Nummer eins für das Heimturnier festlegen und damit einen Weltklasse-Schlussmann brüskieren - und die Entscheidung könnte bald fallen, sogar noch vor den anstehenden Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande.
"Wir werden mit Beiden ein Gespräch führen, da nehme ich nichts vorweg. An erster Stelle sind die Spieler, dann die Medien. Da habe ich einen Torwarttrainer, der seine Meinung hat, seine Argumente hat, der das auch deutlich besser überblickt als ich. Die Gespräche werden wir führen und dann entscheiden, mit welcher Herangehensweise wir die beiden Spiele gestalten", sagte Nagelsmann vor den Testpartien am Samstag in Lyon und drei Tage später in Frankfurt. Klar ist, Nagelsmann wird sein Prinzip der Rollenverteilung für alle Positionen mit einer Stammkraft und einem Backup auch bei den Torhütern anwenden.
Neuer gegen ter Stegen, dieser Zweikampf zieht sich seit Jahren durch die Nationalmannschafts-Historie. Und immer war am Status Neuers nicht zu rütteln, wenn es wichtig wurde. Bei vier Welt- und drei Europameisterschaften stand er im DFB-Tor. Nur als der damalige Bundestrainer Joachim Löw mit einem Perspektivkader zum Confederations Cup 2017 nach Russland fuhr, durfte der ewige Stellvertreter ter Stegen als Nummer eins bei einem Turnier auflaufen und die Siegertrophäe in die Höhe strecken.
Die überwältigende Mehrheit der Experten ist sich auch jetzt sicher: Neuer steht am 14. Juni im EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland in München als Nummer eins im DFB-Tor. Und das wäre für ter Stegen, der beim FC Barcelona ein Anführer ist und seit Jahren auf Top-Niveau spielt, besonders bitter. Als Neuer wegen seines Beinbruchs das komplette Länderspieljahr 2023 pausierte, fühlte er sich endlich als deutsche Nummer eins.
"Ich genieße, dass ich diesen Rückhalt von der Mannschaft habe und vom Trainer. Ich glaube, dass ich das absolut zurückzahle. Das ist das, worauf ich mich am meisten konzentriere: gute Spiele zu liefern und immer mit mir im absoluten Gleichgewicht zu sein", sagte der 31-Jährige. Dass gute Leistungen in Absenz des Kontrahenten Makulatur sein können, sollte ter Stegen aber wissen. Auch vor der WM 2018 kehrte Neuer gerade noch rechtzeitig nach einer Fußverletzung zurück und stand beim Turnier in Russland im Tor.
Der Bayern-Schlussmann, der einen Tag nach dem Duell mit Erzrivale Holland in der kommenden Woche seinen 38. Geburtstag feiert, kommt nach seinem erfolgreichen Club-Comeback mit einer wahren Statistik-Wucht in seiner Länderspiel-Quote daher: 77 Siege, 21 Remis und nur 19 Niederlagen mit weniger als einem Gegentor pro Spiel stehen in seiner DFB-Bilanz. 47 Mal spielte er seit 2009 mit dem Adler auf der Brust zu Null. Und ter Stegen: 20 Siege, 8 Remis und zehn Niederlagen mit 50 Gegentoren. Nagelsmann lässt sich auch gerne von Zahlen leiten.
Beim Training auf dem DFB-Campus agierten beide Torhüter auf Top-Niveau, hingen sich mächtig rein. Wollten da beide noch mal Eindruck schinden? "Ein Rollengespräch findet dann statt, wenn wir die Spieler zur Verfügung haben. Das fand noch nicht statt, das wird erst am Montag oder Dienstag der Fall sein", sagte der Bundestrainer bei seiner Kaderbekanntgabe in der vergangenen Woche. Heute ist Mittwoch.
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