Homosexualität im Fußball: Gruppen-Coming-out! Verein plant Schwulen-Nationalteam

Nach dem Coming-out von Thomas Hitzlsperger redet Fußball-Deutschland über schwule Fußballer. Nur DFB, DFL und die Vereine bewegen sich zu träge, moniert der Experte Marcus Urban. Er will die besten schwulen Fußballer in einem Team versammeln - auch bislang nicht geoutete.

Von news.de-Redakteur Ullrich Kroemer - Uhr

Experte Marcus Urban will Thomas Hitzlsperger fragen, ob er im Schwulen-Nationalteam dabei sein möchte. (Foto) Suche
Experte Marcus Urban will Thomas Hitzlsperger fragen, ob er im Schwulen-Nationalteam dabei sein möchte. Bild: dpa

Getuschelt wurde schon immer, doch spätestens seit dem Coming-out von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger spricht die gesamte Fußballnation über schwule Fußball-Profis. Was jahrelang ein Tabu war, wird jetzt in der deutschen Fußballszene vielerorts offen thematisiert.

«Thomas Hitzlsperger ist ein Eisbrecher. In den Vereinen und Verbänden entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, bislang war das Thema Homosexualität im Fußball ja eher mit Scham und Peinlichkeit besetzt», sagt Marcus Urban, der sich als erster Fußballprofi zu seiner Homosexualität bekannte, im Gespräch mit news.de.

DFB, DFL und Vereine bewegen sich zu träge

Doch über gut gemeinte Bekundungen hinaus geschieht derzeit noch zu wenig in DFB, DFL, den Landesverbänden und den Vereinen. Zwar veröffentlichte der DFB im vergangenen Jahr die Informationsbroschüre «Fußball und Homosexualität». Doch seither gibt es wenig greifbares Engagement gegen Homophobie im Fußball. «Mein Gefühl ist, dass man sich beim DFB auf der Broschüre ausruht», moniert etwa Sven Wolf, Ansprechpartner im Landesverband Baden.

Dabei hätten DFB und DFL eine gesellschaftliche Verantwortung, die über Reden und Broschüren hinaus gehe, sagt Urban. «Das Potenzial, das das Thema bietet, wird immer noch nicht verstanden.» Es gehe um die Vermittlung von Grundwerten und die Idee von Vielfalt, Kompetenz beim Umgang mit anderen Lebensformen, erklärt der Diversity Berater, der auch DFB und DOSB berät.

VIDEO: Interview mit Thomas Hitzlsperger

Video: YouTube/ dictum law

Urban kennt mehrere schwule Fußball-Weltstars

Urban weiß aus seinem Informantenkreis von mehreren schwulen Weltstars im Fußball. Ein Coming-out könne eine gesellschaftliche Veränderung bewirken, die weit über die Dimension Fußball hinausgehe. «Die Einführung einer Frauenquote, das Coming-Out von Klaus Wowereit, die Homo-Ehe sind nichts dagegen. Deutschland könnte ein Modell für Geschlechtergerechtigkeit werden», sagt Urban.

Gruppen-Outing im Schwulen-Nationalteam

Doch das Tempo, in dem sich der deutsche Fußball dieser Chance annähert, ist Urban zu langsam, zu träge seien die Organisationen. Daher ergreift der 42-Jährige nun selbst die Initiative. Derzeit gründet er den Verein für Vielfalt in Sport und Gesellschaft. Im März soll die Organisation ihre Arbeit aufnehmen. Erstes Ziel ist es, in jedem Bundesland Anlaufstellen für homosexuelle Sportler zu schaffen, um Coachings und Schulungen durchzuführen, den Vereinen konkrete Beratung zu bieten.

Das sagen internationale Medien
«In Deutschland fällt eine andere Mauer»
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  • ITALIEN - «La Gazzetta dello Sport»: «Nach seinem Karriereende sorgt der Ex-Lazio-Spieler für Aufsehen. Und Merkel applaudiert. Die Idee, die Hitzlsperger mit seinem Outing verfolgt, ist klar: Er will, dass die Medien hartnäckig über das Thema der Homosexualität berichten, bis es normal wird, darüber zu reden.»

  • «Corriere dello Sport»: «Thomas Hitzlsperger hat den Schmerz des Vorurteils zerschmettert.»

  • «Tuttosport»: «Er hat die Heuchelei umdribbelt und die letzten Hemmungen, um er selbst sein zu können, auf die Tribüne verbannt. (...) Hitzlsperger ist nicht der erste Fußballer, der sich outet. Aber er ist offensichtlich der wichtigste, eine in großen Teilen bekannte Persönlichkeit, auch wegen seiner Erfahrungen in England und Italien.»

  • «La Repubblica»: «In Deutschland fällt eine andere Mauer.»

  • «Corriere della Sera»: «Hitzlsperger trotzt dem Tabu. Mit Blick auf die Tatsache, dass sich die Wahrheit im verminten Gelände des Sports schnell ausbreitet, besonders im Testosteron-gesteuerten Fußball, ist das Dribbling um die Stereotypen für die Spieler nicht leicht. Es ist kein Zufall, dass Hitzlsperger sich vier Monate nachdem er seine Schuhe an den Nagel gehängt hat outet.»

  • SCHWEIZ - «Blick»: «In der Kunst sind Schwule Alltag, und in der Politik können Bürgermeister von Weltstädten ihre Neigung zur Schau tragen. Nur im Fußball und im Eishockey gehts nicht. Weil der Gegenspieler in Duellen zurücksteckt, weil er schwul ist? Weil dein Gegner im Ring zarter schlägt, weil er schwul ist? Oder weil die Fans denken, das sei dann so? Quatsch! Es ist die Rückständigkeit unseres Denkens, die Unmöglichkeit der Vorstellung schwuler Kampfsportler, die Outings verunmöglichen.»

  • «Tages-Anzeiger»: «Dass er sich überwinden musste und dass seine Offenheit aus freien Stücken nun Schlagzeilen macht, ist das einzig Bedenkliche daran. Es sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Vor allem nicht im Fußball, dieser Machowelt.»

  • «Neue Zürcher Zeitung»: «Noch längst ist kein Klima geschaffen, in dem Homosexualität im Fußball akzeptiert wäre. Es ist ein langer Weg zur Akzeptanz. Hitzlspergers Coming-out ist nicht mehr als ein Schritt dorthin.»

  • «Algemeen Dagblad»: «Mit dem öffentlichen Eingeständnis von Thomas Hitzlsperger, dass er auf Männer steht, wurde erneut ein Schritt im Kampf für die Anerkennung von Homosexualität in der Welt des Fußballs gemacht.»

  • BELGIEN - «Het Nieuwsblad»: «Hitzlsperger bekommt heute zurecht alles Lob, aber er hat sich aus Angst vor den Reaktionen seiner Mannschaftskollegen und des Publikums erst nach seiner Karriere geoutet. (...) Menschen wie Mensen Rogers und Hitzlsperger sind Helden, aber zur Zeit herrscht die Angst. Vor allem in unserem Land.»

  • ÖSTERREICH - «Kurier»: «Mutprobe: Ex-Kicker Thomas Hitzlsperger bricht ein Tabu. Er hat den Schritt reichlich überlegt. Und nun erhält er von allen Seiten Applaus und Unterstützung.»

  • «Die Presse»: «In dieser Form hat noch kein deutscher Fußballprofi über dieses Thema so offen gesprochen. Für manche ist damit sogar schon der Volltreffer des Jahres gefallen.»

  • «Österreich»: «Das Outing von Ex-Fußballprofi Thomas Hitzelsperger wirbelt viel Staub auf.»

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    Schwulen-Nationalteam für mehr Selbstentfaltung und Freiheit

    Darüber hinaus planen Urban und seine Mitstreiter eine Reihe kreativer Aktionen. So schwebt ihm eine Nationalmannschaft der besten schwulen Fußballer vor - darunter auch welche, die sich bislang noch nicht geoutet haben. «Die Idee ist, aktiven und ehemaligen Spielern die Chance zu bieten, sich in einer Gruppe zu outen», erklärt Urban.

    «Wir suchen zunächst anonym nach schwulen Spielern, die sich unserem Team anschließen. Dann lassen wir in einem Spiel gegen eine Hetero-Auswahl die Bombe platzen.» Eine Kampagne, die dem Verein mit Sicherheit ein riesiges mediales Echo einbrächte - wohlgemerkt nicht zur Befriedigung der Sensationsgier. Urban sagt: «Es geht hier um spürbare Demokratie, um Selbstentfaltung und Freiheit. Deshalb geht dieses Thema alle in unserer Gesellschaft an.»

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    iwi/news.de

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