Sprint-Skandal und Tour-de-France-Verdächtigungen: Der Doping-Zyklus aus Verdacht, Anschuldigungen, Lügen, positiven Proben, Empörung und Prozessen zerstört den Sport. Warum also sollte man Doping nicht einfach legalisieren? Die Argumente für eine kontrollierte Doping-Freigabe.
Die heftig angeschlagene Glaubwürdigkeit des Leistungssport liegt dieser Tage wieder einmal auf dem Sterbebett. Da werden mit Tyson Gay und Asafa Powell einige der weltbesten Sprinter des Dopings überführt. Mehr noch: Eine ganze Trainingsgruppe jamaikanischer Top-Athleten hat offensichtlich systematisch betrogen. Ihr Landsmann Usain Bolt, der beste 100-Meter-Läufer der Welt, schweigt.
Das 100-Meter-Rennen der Leichtathletik-Weltmeisterschaften Mitte August in Moskau wird zur Farce, zum lächerlichen Schauspiel von Sportlern mit schlechten Gewissen, die hoffen, nicht erwischt zu werden. «Für mich stehen in der Leichtathletik praktisch alle Disziplinen unter Verdacht. Solche Spitzenleistungen sind ohne Doping fast nicht möglich», sagt der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel.
Zugleich stürmt bei der Tour de France der Brite Christopher Froome den teuflichen Mont Ventoux hinauf, als besäße er einen Motor am Fahrrad und flieht dann genervt vor den zweifelnden Fragen der Journalisten. Mit jeder Dopingenthüllung wenden sich mehr Menschen enttäuscht ab. Und die Dopingkontrolleure hecheln den Betrügern genauso vergeblich hinterher wie deren saubere Konkurrenten - sofern es die überhaupt noch gibt. Eine ganze Branche steht unter Generalverdacht. Werner Franke, einer der Vorreiter im Anti-Doping-Kampf, nennt das den immer wiederkehrenden «Zyklus von Vorwurf, einstweiliger Verfügung und allgemeiner Frustration».
Warum also Doping nicht einfach freigeben?
Befürworter einer Legalisierung von Doping kommen nicht aus dem Sportbetrieb, sondern aus anderen Branchen. So wie Gert Wagner. In der Zeit argumentierte der Ökonomie-Professor für eine allgemeine und ärztlich kontrollierte Doping-Freigabe:
- Sport ist wegen unterschiedlichen Materials, Trainingsbedingungen, finanziellen Möglichkeiten etc. per sé ungleich. «Warum werden diese Ungerechtigkeiten hingenommen, nicht aber Ungleichheiten bei Medikamenten und Therapien?», fragt Wagner.
- Hochleistungssport ist oft ungesund für den menschlichen Körper. «Warum nun darf oder soll ein Athlet seinen Köper durch exzessives Training und brutalen Wettkampf schädigen, nicht aber durch Doping?»
- Ein Dopingverbot heizt die kriminelle Pharmaindustrie an, immer neue Präparate und Methoden zu entwickeln, die nicht auf der Dopingliste stehen. Eine wirksame Bekämpfung ist unmöglich.
- Dopingverbote fördern Kriminalität und unqualifiziertes Doping durch Pfuscher.
- Der Generalverdacht bleibt trotz zahlreicher Dopingtests bestehen, was Leistungssport über kurz oder lang beerdigt.
«Nur ein radikaler Systemwechsel könnte Abhilfe schaffen: die Freigabe von Doping mit einer Pflicht einen Medikamenten-Pass zu führen; es wäre also eine kontrollierte Freigabe», sagt Wagner.
Auch der Würzburger Literatur-Professor Hans Ulrich Gumbrecht ist für eine ärztlich begleitete Legalisierung von Dopingmitteln: «Betrachten wir nur mal die Formel 1. Dort findet neben der Weltmeisterschaft der Sportler auch eine Markenweltmeisterschaft statt. Wieso soll so was nicht auch in der Leichtathletik mit einer Art Pharma-WM im legalen Rahmen mit leistungssteigernden Mitteln ohne Gesundheitsgefährdung vorstellbar sein?»
jag/news.de/dpa