Am 23. Oktober 2023 besiegelte Sahra Wagenknecht ihren Bruch mit der Linken. Ihre neue Partei hat beeindruckenden Erfolg. Aber was kann sie ausrichten?
Vor genau einem Jahr hat Sahra Wagenknecht mit der Linken gebrochen und ihr Projekt BSW gestartet, zuerst als Verein, dann als Partei. Seitdem mischt sie die Republik auf. Vier Wahlerfolge in Europa und Ostdeutschland, drei mögliche Regierungsbeteiligungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. "Das BSW hat schon jetzt Erfolge erzielt, die in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartig sind", sagt die Parteigründerin der Deutschen Presse-Agentur. Und doch ist immer noch offen: Was genau will die 55-Jährige und was kann sie bewirken?
Wagenknecht gibt sich kompromisslos
Die Vorgespräche für mögliche Koalitionen in den drei ostdeutschen Ländern ziehen sich. Denn Wagenknecht beharrt auf Bedingungen, die mit Landespolitik nichts zu tun haben. Keine Waffenlieferungen an die Ukraine, keine US-Raketen in Deutschland - die Forderungen stehen quer zur Außenpolitik der möglichen Bündnispartner CDU und SPD. Wagenknecht gibt sich so kompromisslos, dass SPD-Generalsekretär Matthias Miersch das Wort "Erpressung" ins Spiel brachte. Der CDU-Politiker Thorsten Frei mahnte das BSW im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Das Bündnis muss sich entscheiden, ob es in den Ländern Verantwortung tragen oder in der Fundamentalopposition verharren will."
Der "Spiegel" mutmaßte, Wagenknecht habe gar kein Interesse am Mitregieren des BSW, weil dies "ein schmerzhaftes Rendezvous mit der Realität" wäre. "Ihre Paraderolle war die der Oppositionspolitikerin und Populistin, zu deren Standardrepertoire das Verächtlichmachen nahezu aller Mitbewerber gehörte", kommentierte das Magazin.
Die anderen sollen sich bewegen
Direkt danach gefragt, antwortet Wagenknecht so: "Regierungen, die sich für mehr Diplomatie einsetzen, den sozialen Zusammenhalt stärken und die Menschen durch Bodenständigkeit und Bürgernähe überzeugen, wären ein großer Gewinn für unser Land. Selbstverständlich möchte das BSW solche Regierungen auf den Weg bringen." Aber das gehe nur, wenn die anderen Parteien das auch wollten.
Diese Botschaft setzt sie immer wieder: Die anderen müssen sich bewegen. "Alle Parteien sind angehalten, den Wählerauftrag umzusetzen", erklärt sie der dpa. "Die Mehrheit der Menschen hat Veränderung gewählt, kein Weiter so."
"Interessen der AfD-Wähler ernst nehmen"
Aber stimmt das? Bei der Europawahl waren es 6,2 Prozent, die dem BSW ihre Stimme gegeben haben. In Thüringen erzielte es 15,8 Prozent, in Brandenburg 13,5 und in Sachsen 11,8 Prozent - stark für eine neue Partei, aber keine Mehrheit. Wagenknecht spricht nicht nur über ihre eigenen Wählerinnen und Wählern, sondern auch über die der AfD, die etwa in Thüringen knapp 33 Prozent ausmachen.
Diese seien nicht überwiegend rechtsradikal, ihre Themen seien berechtigt, sagte die BSW-Chefin vor einigen Tagen. "Da geht es um die Frage von Krieg und Frieden, da geht es um die Corona-Aufarbeitung, da geht es auch um wirtschaftliche und soziale Ängste. Und eine Regierung, die ernsthaft in diesem Bundesland bestehen will, die muss auch die Interessen dieser Wähler ernst nehmen."
Krieg und Frieden als Topthema
Tatsächlich gibt es nach einer Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung Überschneidungen bei Wählern beider Parteien. "Das BSW ist vor allem bei Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden beliebt, die bei der Bundestagswahl 2021 der Linken und der AfD ihre Stimme gaben", heißt es in dem WSI-Papier.
Umfragedaten von Infratest dimap zu Brandenburg zeigen, dass für Wähler und Wählerinnen von BSW und AfD ähnliche Topthemen zählen - wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Während bei der AfD Migration auf Platz eins lag und die Friedenspolitik auf Rang vier, war letzteres für BSW-Wähler das allerwichtigste.
Attacken auf potenzielle Bündnispartner
Wagenknecht hat das Thema Krieg und Frieden gesetzt und fand damit im Wahlkampf enormen Widerhall. Aber ihr Anspruch ist größer. "Viele Menschen sind in den letzten Jahren politisch heimatlos geworden, weil sie immer wieder eine Politik erlebt haben, die sich nur noch in ihrer Blase bewegt und ihnen das Leben schwerer statt leichter macht", sagt Wagenknecht. Sie hingegen wolle "das Leben der Menschen spürbar verbessern und das Vertrauen wieder erhöhen, dass Demokratie funktioniert." Der Unterton ist auch hier: Außer uns macht das niemand.
So bleibt unklar, wie und mit wem sie etwas verbessern will, solange ihre Partei bundesweit in Umfragen nur sieben bis neun Prozent erreicht. Die BSW-Unterhändler in den Ländern zeigen sich pragmatisch in den Vorgesprächen für mögliche Koalitionen, etwa BSW-Landeschefin Katja Wolf in Thüringen. Aber Wagenknechts Ansatz ist Kontrast.
"Blanker Wahnsinn"
Sie sei "sehr effektiv darin, politische Gegner zu attackieren, Freund-Feind-Beziehungen zu konstruieren und daraus politisch Kapital zu schlagen", schrieb der Soziologe Oliver Nachtwey in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Für die Politik anderer Parteien wählt sie oft drastische Worte: irre, wahnsinnig, verlogen, heuchlerisch.
Die jüngste Breitseite feuerte sie gegen CDU-Chef Friedrich Merz, als der die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine unter bestimmten Bedingungen befürwortete. "Blanker Wahnsinn" sei das, meinte Wagenknecht in der ARD. Merz hat seinerseits wenig übrig für die frühere Linke, der er "Sozialismus in Chanel" vorhielt.
Wie also geht es weiter?
Auf die Frage, ob sie eine Option zur Regierungsbeteiligung im Bund nach der nächsten Wahl sehe, antwortet Wagenknecht so: "SPD, Grüne und FDP bilden die schlechteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik und mit Friedrich Merz als Bundeskanzler droht ein großer europäischer Krieg. Unser Land braucht eine seriöse Alternative dazu." Kann sie sich selbst eine Position in einer Regierung vorstellen? "Unter Merz oder Scholz wohl kaum." Wird sie selbst Kanzlerkandidatin? "Wir müssen sehen, wo wir in einem halben Jahr stehen."
Wie also geht es weiter mit dem BSW? "Das ist nicht leicht zu sagen, dafür ist die Politik zu volatil geworden", schrieb Nachtwey. Kurz- und mittelfristig werde Wagenknecht wohl weitere Erfolge verbuchen. Aber was, wenn der Praxistest in den Ländern negativ ausfällt oder sich ihre streitbare Rhetorik abnutzt? Ein Jahr ist lang in der Bundespolitik.
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+++ Redaktioneller Hinweis: Diese Meldung wurde basierend auf Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erstellt. Bei Anmerkungen oder Rückfragen wenden Sie sich bitte an hinweis@news.de. +++
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