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Rechtsruck in Deutschland, Italien, Österreich: Welche Folgen hat das Europawahl-Ergebnis für Europas Zukunft?

Bei der Europawahl 2024 hat nicht nur die rechtsextreme AfD in Deutschland gepunktet, auch in Frankreich, Italien und Österreich ist der Rechtsruck in den Wahlergebnissen sichtbar. Was bedeutet das für die Zukunft Europas?

Das Ergebnis der Europawahl 2024 lässt sich nur in Deutschland rechtsextreme Parteien jubeln. (Foto) Suche
Das Ergebnis der Europawahl 2024 lässt sich nur in Deutschland rechtsextreme Parteien jubeln. Bild: picture alliance/dpa | Marijan Murat

Bei der Europawahl am 9. Juni 2024 war es nicht zu leugnen: Dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge siegten in mehreren europäischen Ländern rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien. Welche Weichen hat das Ergebnis der Europawahl für Deutschland und die EU gestellt?

Vorläufiges amtliches Endergebnis der Europawahl in Deutschland

Nach dem von der Bundeswahlleiterin am frühen Montagmorgen bekanntgegebenen vorläufigen amtlichen Ergebnis steigert sich dieUnionleicht auf 30,0 Prozent (2019: 28,9). Die AfD erreicht mit 15,9 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung (2019: 11) - es fällt allerdings niedriger aus als zwischenzeitliche Umfragewerte. In Ostdeutschland ist die Partei mit großem Abstand stärkste Kraft. Die SPD, die im Wahlkampf auch auf Kanzler Olaf Scholz als Zugpferd setzte, fällt auf 13,9 Prozent (15,8) - ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Die Grünen rutschen ab auf 11,9 Prozent (20,5). Nur leicht verliert die FDP, die auf 5,2 Prozent (5,4) kommt. 

Die Linke landet bei mageren 2,7 Prozent (5,5) - ihr schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Die Partei BSW erreicht aus dem Stand 6,2 Prozent. Die Freien Wähler kommen auf 2,7 Prozent (2,2), die Partei Volt liegt bei 2,6 Prozent (0,7).

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Bei der Europawahl in Deutschland gilt anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen keine Sperrklausel, also etwa eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 64,8 Prozent einen neuen Höchstwert seit der Wiedervereinigung. 2019 waren es 61,4 Prozent, damals lag Deutschland auf Platz 5 im Vergleich der 27 EU-Staaten. Bei der ersten gesamtdeutschen EU-Wahl 1994 lag die Beteiligung bei genau 60,0 Prozent, bei späteren Abstimmungen nur zwischen 40 und 50 Prozent. Erstmals durften in Deutschland bei einer Europawahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen.

Starker Rechtsruck in Europa: In diesen Ländern hatten rechte Parteien die Nase vorn

In Italien lag die Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Europawahl-Sonntag klar vorn. Melonis Partei kam nach einer Hochrechnung des Fernsehsenders Rai auf 28,9 Prozent - im Vergleich zur Europawahl 2019 ein Plus von mehr als 20 Punkten. Auf Platz zwei landete demnach ein linkes Bündnis um die sozialdemokratische PD mit 24,5 Prozent.

In Frankreich gewann die rechtsnationale Partei Rassemblement National von Marine Le Pen, die den Hochrechnungen zufolge an die 32 Prozent der Wählerstimmen holte. Präsident Emmanuel Macron setzte daraufhin eine vorgezogene Neuwahl der Nationalversammlung an. 

Europawahl in Österreich: Rechtspopulistische FPÖ entscheiden Wahl für sich

In Österreich wurde die rechte FPÖ stärkste Kraft. In der Alpenrepublik ist es das erste Mal, dass die Rechtspopulisten bei einer landesweiten Wahl auf Platz eins liegen. Die FPÖ kommt laut vorläufigem Ergebnis auf 25,5 Prozent der Stimmen. Die konservative ÖVP erreicht 24,7 Prozent. Die sozialdemokratische SPÖ folgt mit 23,3 Prozent. Die FPÖ hatte im Wahlkampf unter dem Motto "EU-Wahnsinn stoppen" vielfach ihre EU-Skepsis betont und die EU im Ukraine-Konflikt als kriegstreibende Kraft dargestellt. Für Parteichef Herbert Kickl scheint damit das Ziel, nächster Kanzler zu werden, näher zu rücken. Im Herbst wird in Österreich ein neues Parlament gewählt.

Aufwind für die AfD: Rechtsextremisten hängen Ampel-Parteien ab

In Deutschland erzielte die AfD ihr bislang bestes Ergebnis und kam hinter der Union auf Platz zwei. In der Bundesrepublik war die Europawahl auch ein wichtiger Stimmungstest vor den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September und der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Dass die AfD in Ostdeutschland mit großem Vorsprung auf Platz eins liegt, ist da von besonderer Bedeutung.

Trotz der Kontroversen um ihren Spitzenkandidaten konnte die Alternative für Deutschland bundesweit stark zulegen. Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis von Morgen des 10. Juni kommt sie auf 15,9 Prozent, ein Plus von fast fünf Punkten gegenüber 2019. Sie schneidet damit besser ab als alle Ampel-Parteien - die SPD kam auf 13,9 Prozent, die Grünen auf 11,9 Prozent und die FDP auf 5,2 Prozent. Mit großem Abstand auf Platz eins liegt allerdings die Union mit 30,0 Prozent. Das AfD-Ergebnis fiel schwächer aus als in Umfragen Anfang des Jahres. Damals hatte sie zwischenzeitlich bei mehr als 20 Prozent gelegen. Vorwürfe gegen ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah und die Nummer zwei auf der Europawahl-Liste, Petr Bystron, brachten die Partei aber in Schwierigkeiten.

Das europaweite Ergebnis vom 9. Juni 2024: Mitte-Rechts vorn

Im leicht vergrößerten Europaparlament bleibt die EVP mit den deutschen Parteien CDU und CSU nach einer europaweiten Hochrechnung vom frühen Morgen des 10. Juni stärkste Kraft. Sie kann demnach 184 der 720 Sitze besetzen (zuletzt 176 von 705). Die rechtspopulistischen Parteienbündnisse EKR und ID kommen auf 73 (zuletzt 69) beziehungsweise 58 (zuletzt 49) Sitze. Nicht mitgezählt sind dabei die AfD-Abgeordneten, weil die AfD kurz vor der Wahl aus der ID-Fraktion ausgeschlossen worden war. Zweitstärkstes Lager bleiben die Sozialdemokraten. Sie kommen auf 139 Mandate (zuletzt ebenfalls 139). Danach folgen die Liberalen, die auf 80 Sitze abrutschen (zuletzt 102). Ein großer Verlierer sind die Grünen. Sie kommen nur noch auf 52 Sitze (zuletzt 71). Insgesamt bleibt das klar proeuropäische Lager im Europaparlament aber weiter das mit Abstand größte. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammenschließen würden, kämen sie voraussichtlich auf weniger als 200 Sitze und wären damit von einer Mehrheit weit entfernt. Diese liegt bei 361 Sitzen.

Was bedeutet das Ergebnis der Europawahl für die europäische Politik?

Grundsätzlich könnte es so sein, dass die Mehrheitsfindung im Europäischen Parlament noch einmal schwieriger wird. Für die künftigen Machtverhältnisse dort ist auch relevant, ob sich eventuell Parteien aus den bisherigen rechten Bündnissen EKR und ID zu einer neuen Allianz zusammentun. Die Französin Marine Le Pen hatte dafür zuletzt bei der italienischen Regierungschefin Meloni geworben.

Das dürfte sich unter anderem in Diskussionen zur EU-Erweiterung niederschlagen. Die Liste der Länder, die der EU beitreten wollen, umfasst derzeit neben der Türkei, der Ukraine, Albanien und Kosovo auch Bosnien-Herzegowina, Serbien oder Georgien. Zu erwarten ist, dass sich Vertreter rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien in der EU mit aller Macht gegen die Aufnahme der Kandidaten in die EU stemmen.

Als wahrscheinlich gilt, dass das Mitte-Rechts-Bündnis EVP in den nächsten Tagen Gespräche mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen führen wird, um eine lose Zusammenarbeit zu vereinbaren, die dann auch eine Mehrheit für die Wahl von der Leyens sichern könnte. Theoretisch könnten auch noch Kooperationsmöglichkeiten mit einzelnen rechten Parteien ausgelotet werden. So hat die EVP eine Zusammenarbeit mit Meloni vor der Wahl nicht ausgeschlossen. Ihre Fratelli d'Italia gehören bislang zur rechtskonservativen EKR-Fraktion.

Ob die EU-Politik als Ganzes nach rechts rückt, hängt nicht nur von den Mehrheiten im Parlament ab. Entscheidend sind dabei auch die Kräfteverhältnisse im Rat der EU-Staaten. Eine wichtige Rolle dürfte dabei der Ausgang der Präsidentschaftswahl 2027 in Frankreich spielen.

Wie geht es nach der Europawahl politisch weiter in Asyl- und Migrationsfragen und im Ukraine-Krieg?

Das Thema Migration und Asylpolitik dürfte infolge der Europawahl 2024 deutlich schärfer diskutiert werden. Einzelne Mitgliedsstaaten ließen bereits deutlich durchblicken, sich der Aufnahme von Asylsuchenden ebenso zu widersetzen wie der Leistung von Ausgleichszahlungen an andere EU-Länder.

Das Ergebnis der Europawahl 2024 dürfte auch Auswirkungen auf den europäischen Kurs im Ukraine-Krieg haben. Eine Reihe der rechtspopulistischen Akteure stellen sich klar gegen die Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine in Form von Waffenlieferungen und plädieren für Friedensverhandlungen.

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/news.de/dpa

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