Rund 360 Millionen Wahlberechtigte, davon 65 Millionen in Deutschland: Die Europawahl geht ins Finale. Rechte Parteien können laut Umfragen deutliche Zugewinne erwarten. Wie entscheiden die Bürger?
In Deutschland ist die Abstimmung zur Europawahl ohne größere Zwischenfälle angelaufen. Der Beginn sei reibungslos verlaufen, sagte Bundeswahlleiterin Ruth Brand am Sonntagmorgen der Deutschen Presse-Agentur bei einem Termin in einem Berliner Wahllokal. "Bisher haben wir keine Nachrichten von den Landeswahlleitungen, dass es relevante Störungen gibt. Also aus unserer Sicht läuft sie bisher normal und gut", sagte sie. Die Wahllokale haben noch bis 18.00 Uhr geöffnet.
Rund 65 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind in der Bundesrepublik zur Wahl des Europäischen Parlaments aufgerufen. Neben Deutschland wird heute außerdem in 20 weiteren EU-Staaten gewählt. In anderen Ländern wie den Niederlanden, Irland und der Slowakei haben die Bürgerinnen und Bürger bereits ihre Stimme abgegeben. EU-weit sind rund 360 Millionen Menschen wahlberechtigt.
Insgesamt geht es um Mandate für 720 Abgeordnete – 96 von ihnen werden aus Deutschland kommen. Abgesehen von der Parlamentswahl in Indien ist die Europawahl die größte demokratische Abstimmung weltweit – und die einzige Direktwahl über Staatsgrenzen hinweg. Angetreten sind in Deutschland etwa 1400 Wahlbewerber für 35 Parteien und sonstige politische Vereinigungen.
Umfragen sehen die Union in Deutschland deutlich vorn
Umfragen zufolge dürften in etlichen der 27 EU-Staaten rechte Parteien stark abschneiden, unter anderem in Österreich, Frankreich und Italien. In Deutschland können CDU und CSU laut Umfragen damit rechnen, die Europawahl mit großem Vorsprung zu gewinnen. Dahinter liegen SPD, Grüne und AfD in etwa gleichauf.
Die erste Prognose für die Sitzverteilung des neuen Europaparlaments wird am Sonntag voraussichtlich zwischen 20.15 und 20.30 Uhr bekanntgegeben. Die ersten vorläufigen Ergebnisse aus einigen EU-Staaten werden nach 23.00 Uhr erwartet.
Wahlleiterin hebt Bedeutung der Europawahl hervor
Bundeswahlleiterin Brand rief zur Beteiligung an der Abstimmung auf. Sie begründete dies laut Mitteilung vom Sonntag mit der "besonderen Bedeutung der Wahl für die Einflussnahme der Wählerinnen und Wähler auf die künftigen politischen Entscheidungen in der Europäischen Union".
Zugleich erinnerte Brand daran, dass auch Bürgerinnen und Bürger, die ihre Wahlbenachrichtigung nicht mehr finden, ihr Kreuzchen unter Vorlage ihres Personalausweises oder Reisepasses machen können. Voraussetzung ist, dass sie im Wählerverzeichnis ihres Wahlbezirks eingetragen sind.
Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern
Parallel zur Europawahl sind die Wahlberechtigten am Sonntag in mehreren Bundesländern aufgerufen, ihre Kommunalparlamente zu wählen: Entscheidungen über Vertretungen wie Kreistage, Gemeinderäte oder Bezirksversammlungen stehen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt an.
In Thüringen, wo bereits vor zwei Wochen die Kommunalwahlen stattfanden, können viele Bürgerinnen und Bürger zudem über ihren künftigen Landrat oder Oberbürgermeister entscheiden. In 15 Landkreisen und kreisfreien Städten kommt es zur Stichwahl – in neun Fällen stehen auch AfD-Kandidaten zur Wahl. Die Partei hatte in der ersten Runde der Kommunalwahlen zwar etliche Mandate in den Kommunalparlamenten dazugewonnen, ein Durchmarsch in die Rathäuser und Landratsämter war ihr aber nicht gelungen.
Interessant dürfte auch das Abschneiden der Parteien in Brandenburg und Sachsen werden – dort gelten die Kommunalwahlen vor den Landtagswahlen im September als Stimmungstest.
Demonstrationen gegen rechts und für Demokratie
Am Samstag war der Europawahlkampf in Deutschland mit Kundgebungen, Demonstrationen und Aufrufen zur Stimmabgabe zu Ende gegangen. Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte beim Wahlkampfabschluss der SPD in Duisburg seine Ukraine-Politik und sagte, dass es keine Nato-Soldaten in dem Land geben werde. Frankreich berät allerdings über die Entsendung von Militärausbildern in die Ukraine.
In mehreren Städten gingen Menschen am Tag vor der Wahl gegen Rechtsextremismus und für Demokratie auf die Straße. Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen hatte dazu unter anderem in Berlin, Hamburg, München, Köln und Dresden aufgerufen. Allein in Berlin kamen nach Angaben der Polizei etwa 15 000 Menschen zusammen. Dort waren auf den Demo-Schildern unter anderem Sprüche wie "Herz statt Hetze", "Menschenrechte statt rechte Menschen" und "Vielfalt ohne Alternative" zu lesen.
Der Wahlkampf war bis zuletzt auch durch Angriffe auf Politiker geprägt. In Dresden wurde am Samstag ein AfD-Politiker angegriffen. Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte nach einer körperlichen Attacke am Freitagabend mehrere Termine ab.
Merz wirbt für EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen
CDU-Chef Friedrich Merz rief am Samstag in seiner wöchentlichen Mail an seine Anhänger zur Unterstützung der Konservativen auf – er warb für die amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Diese genieße in ganz Europa und auf der Welt höchsten Respekt, schrieb Merz. Die Wähler könnten "mit ihrer Wahl für Kontinuität in Europa auch einen klaren Denkzettel an die Adresse der Ampel in Berlin verbinden".
Die 65 Jahre alte von der Leyen bewirbt sich für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission. In der Regel kann den Spitzenposten diejenige europäische Parteienfamilie besetzen, die bei der Europawahl am besten abschneidet. Von der Leyen hat den Posten seit 2019 inne. Als Kommissionspräsidentin ist sie Chefin von rund 32 000 Mitarbeitern, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt sie bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch.
Von der Leyen wählt in Niedersachsen
Von der Leyen selbst gab am Vormittag in ihrem Wohnort in Niedersachsen ihre Stimme für die Europawahl ab. Kurz nach 10.00 Uhr kam die CDU-Politikerin mit ihrem Ehemann Heiko in das Wahllokal in Burgdorf-Beinhorn (Region Hannover). Von der Leyen grüßte mit einem "Guten Morgen", verzichtete aber auf ein Statement. Nach der Stimmabgabe lächelte sie kurz für Fotos in die Kameras und verließ das Wahllokal nach wenigen Minuten wieder.
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