In seiner Heimatstadt zeichnet Kremlchef Putin eine mögliche neue Weltordnung. Freunde aus Deutschland und den USA folgen seiner Einladung, gegen eine Dämonisierung Russlands zu kämpfen.
In seiner Heimatstadt St. Petersburg ist der frühere Geheimdienstoffizier Wladimir Putin, der im damaligen Leningrad beim KGB war, voll in seinem Element. Beim Wirtschaftsforum präsentiert sich der Kremlchef nach mehr als zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine seinem internationalen Publikum siegessicher und selbstbewusst kämpferisch im Konflikt mit dem Westen, den er als großen Verlierer sieht. Der 71-Jährige lud auch US- und EU-Bürger, darunter etliche Deutsche, an die Newa ein - zur schönsten Zeit des Jahres, zu den Weißen Nächten in der früheren Zarenmetropole.
Der deutsche Dirigent und Pianist Justus Frantz, der wegen seiner Nähe zu Putin bekannte deutsche Dokumentarfilmer und Publizist Hubert Seipel, die frühere österreichische Außenministerin Karin Kneissl, die im Amt einst mit Putin tanzte und einen Knicks vor ihm machte, traten öffentlich auf dem Forum auch. Frantz und Seipel etwa warben für Kontakte auf kultureller Ebene auch in Krisenzeiten. Kultur statt Waffen, hieß die kurze Formel. Den Beteiligten ist völlig klar, dass sie mit solchen Auftritten zu Hause einen Sturm der Entrüstung auslösen können.
Kneissl, die ihr Buch "Requiem für Europa" präsentierte, meinte vor der Europawahl an diesem Sonntag, dass Europa seine Seele verloren habe. Sie sei froh, heute mit ihrem Leben in Russland eine neue Chance zu haben, sagte sie bei einer Diskussionsrunde zum Thema Russophobie. Die Veranstaltung hatte den Titel ""Das Imperium des Bösen": Hat der Westen Russland erfolgreich dämonisiert?". Eine Antwort gab es nicht. Aber gleich drei Amerikaner beklagten, dass die Menschen in den USA zu Russlandhassern erzogen würden.
Die frühere US-Demokratin Tara Reade, die nach von Präsident Joe Biden zurückgewiesenen Vorwürfen der sexuellen Belästigung Zuflucht in Russland gefunden hat und seit einem Jahr in dem Land lebt, beklagte, die Waffenindustrie in den USA verdiene Milliarden am Feindbild Russland. Das Land liefere nicht nur Waffen in die Ukraine zur Bekämpfung von Russen, sondern auch in andere Krisenherde. Zugeschaltet aus den USA war der frühere US-Offizier Scott Ritter, der erzählte, dass er zum Töten von Russen ausgebildet worden sei – nun aber gegen Russophobie kämpfen wolle.
Auf dem Podium bedauerte der Unternehmer Alexander von Bismarck, dass der einst von Putin und dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder gegründete Petersburger Dialog zur Verständigung von Russen und Deutschen aufgelöst wurde. Deshalb wolle er nun einen Bismarck-Dialog aufbauen – und plädierte für eine Wiederannäherung trotz Krieg. Russland könne etwa visafreies Reisen für junge Europäer einführen, damit sie sich selbst leicht ein Bild von dem Land machen könnten, meinte er.
Putin war auf dem Wirtschaftsforum, das am Mittwoch begonnen hatte und an diesem Samstag endet, in seiner eigenen Welt, in der die Rohstoffgroßmacht allen Sanktionen des Westens zum Trotz robust dasteht und vor allem auf Kriegswirtschaft setzt. Schon am Mittwoch bei einem Treffen mit Vertretern großer internationaler Nachrichtenagenturen machte Putin deutlich, dass er sich schon jetzt in dem Konflikt mit dem Westen und im Krieg gegen die Ukraine als Sieger sieht. Putin erklärt immer wieder, die Atommacht sei unbesiegbar. Zugleich betonte er, dass es heute keinen Grund gebe, über einen russischen Atomschlag zur Abschreckung in dem Konflikt nachzudenken.
Mit dem als großes buntes und leuchtendes Spektakel aufgezogenen Forum wollte Putin vor allem auch zeigen, das er mit Nachdruck den Aufbau einer neuen Weltordnung verfolgt. Themen der Dutzenden Veranstaltungen des Forums unter dem Motto "Grundlagen der multipolaren Welt – die Bildung neuer Stellen für Wachstum" waren auch Innovationen, Biotechnologie und Künstliche Intelligenz. Russische Unternehmen aus allen Regionen des Riesenreichs präsentierten sich, darunter neben den großen staatlichen Energieriesen wie Gazprom, Rosneft und dem Atomkonzern Rosatom, der nukleare Kraftwerke auch im Ausland baut, auch Hersteller von Drohnen und Entwickler von menschenähnlichen Robotern.
Wer durch die Hallen des Expoforums geht, sieht Unternehmer und Repräsentanten aus den Russland gegenüber freundlich eingestellten Teilen der Welt – aus Asien, allen voran China; aus den arabischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten. Mit ihnen will Putin noch enger zusammenarbeiten und den Technologietransfer ausweiten. Auch den Wirtschaftsbeziehungen zu Indien war ein Veranstaltungsblock gewidmet. Und die Taliban aus Afghanistan, die Putin als Machthaber anerkennen und sie vom Etikett der Terrororganisation befreien will, waren vertreten.
Großes Interesse der Gäste rief auch die Anwesenheit von Putins Tochter hervor. Maria Woronzowa wurde als Mitglied des Präsidiums der Russischen Vereinigung für die Förderung der Wissenschaft vorgestellt und trat dort bei einer Podiumsveranstaltung zum Thema Biotechnologie, Bioproduktion und Biowirtschaft auf.
Für Putin, der eine multipolare Welt ohne den "Hegemon" USA anstrebt, war das Forum auch eine Art Generalprobe vor seinem großen Brics-Gipfel im Herbst in der tatarischen Hauptstadt Kasan an der Wolga. An dem Treffen nehmen nicht nur die Gründerstaaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (Brics) teil, sondern auch die neuen Mitglieder: Saudi-Arabien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten und Äthiopien. Sie alle zusammen deckten 36 Prozent der Weltwirtschaft ab. Die globale Ökonomie, sagte Putin in seiner Rede, sei in die Epoche "kardinaler Veränderungen" eingetreten. "Es entsteht eine multipolare Welt mit neuen Zentren des Wachstums", sagte Putin.
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+++ Redaktioneller Hinweis: Diese Meldung wurde basierend auf Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erstellt. Bei Anmerkungen oder Rückfragen wenden Sie sich bitte an hinweis@news.de. +++
kns/roj/news.de