Soll die Ukraine mit aus dem Ausland gelieferten Waffen Ziele in Russland angreifen dürfen? Neue Äußerungen der Nato-Staaten zu dieser Frage lassen aufhorchen. Gleich mehrere Länder sprechen sich für Ukraine-Attacken auf russische Gebiete aus.
- Debatte um Angriffe auf russische Gebiete entfacht
- Immer mehr Nato-Länder wollen Ukraine-Angriffe erlauben
- Macron und Stoltenberg für Aufhebung von Beschränkungen
- So denken Pistorius und Scholz über den Waffeneinsatz
- USA deuten Flexibilität in Debatte um Waffeneinsatz in Russland an
Über zwei Jahren dauert der von Wladimir Putin entfesselte Krieg in der Ukraine schon an. Und die Situation in der Ukraine spitzt sich weiter zu. Insbesondere in Charkiw, das nur 25 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, kommt es nahezu täglich zu Raketenangriffen. Ein zentrales Problem der Ukraine besteht darin, dass sie die vom Westen gelieferten Waffen nicht nutzen darf, um Putins Stellungen und Stützpunkte in Russland anzugreifen, obwohl von dort aus tödliche Angriffe auf Zivilisten erfolgen. Angriffe auf russisches Territorium könnten die Situation verbessern – aber viele Staaten stellen sich quer. Zumindest bis jetzt. Gleich mehrere Nato-Länder haben sich dafür ausgesprochen, die Einsatzbeschränkungen für Waffen gegen militärische Ziele in Russland aufzuheben.
Wladimir Putin zittert: Immer mehr Nato-Länder wollen Ukraine-Attacke erlauben
- Neben Finnland hat sich auch Großbritannien für einen Strategiewechsel ausgesprochen. Der britische Außenminister David Cameron hatte vor wenigen Wochen bei einem Besuch in Kiew gesagt, es sei der Ukraine überlassen, ob sie die Waffen gegen Stellungen in Russland richte.
- Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Dienstag deutlich gemacht, der Ukraine erlauben zu wollen, militärische Stellungen auf russischem Territorium auch mit westlichen Waffen anzugreifen. "Wir denken, dass wir ihnen (der Ukraine, Anm. d. Red.) erlauben sollten, die Militärstandorte, von denen aus die (russischen) Raketen abgefeuert werden, zu neutralisieren", sagte Macron bei seinem Staatsbesuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD).
- Zuletzt hatte auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Druck gemacht, bestehende Beschränkungen in dieser Frage aufzuheben. "Das ist Selbstverteidigung. Selbstverteidigung ist in der UN-Charta verankert. Es ist legal, es ist legitim", erklärt der Nato-Generalsekretär.
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Pistorius und Scholz äußern sich zurückhaltend zu Waffeneinsatz
Verteidigungsminister Boris Pistorius äußerte sich zu der Diskussion mit Blick auf von Deutschland gelieferte Waffen derweil zurückhaltend. "Klar sollte sein, im Interesse auch militärischer Taktik und Strategie, dass man nicht öffentlich darüber diskutiert, was geht, was erlaubt ist und was wir möchten oder sehen möchten oder nicht", sagte der SPD-Politiker beim Besuch der Flugabwehrraketengruppe 21 in Sanitz in Mecklenburg-Vorpommern, die das Waffensystem Patriot einsetzt. "Das Völkerrecht lässt das alles zu. Was dann im Einzelnen geregelt ist zwischen den Staaten, das hat der Kanzler gestern gesagt, ist eine Regelung zwischen den Staaten."
Konkret erklärte Olaf Scholz auf mögliche Angriffe auf russische Gebiete angesprochen: "Sie (die Ukraine, Anm. d. Red) ist angegriffen und darf sich verteidigen." Experten zufolge gestattet das Völkerrecht angegriffenen Staaten, zur Selbstverteidigung auch auf dem Territorium der Aggressoren Angriffe durchzuführen.
Kommt es bald zum Einsatz deutscher Waffen auf russischem Boden?
Wird es also bald zu Einsätzen deutscher Waffen gegen militärische Einrichtungen auf russischem Boden kommen? Laut einem Bericht von "Politico" hat der Bundeskanzler am Dienstag angedeutet, dass die Ukraine mit westlichen Waffen auch auf russischem Territorium zurückschlagen könnte. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte am Mittwoch bezüglich der möglichen Verwendung deutscher Waffen auf russischem Boden lediglich: "Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil das Abkommen vertraulich ist."
Einsatz von US-Waffen in Russland: Blinken signalisiert Flexibilität
Allerdings deutet sich auch in den USA ein Kurswechsel an. In der Debatte um den Einsatz westlicher Waffen durch die Ukraine gegen militärische Ziele in Russland hat US-Außenminister Antony Blinken Flexibilität angedeutet. Seit Beginn des Krieges habe die US-Regierung ihre Unterstützung für die Ukraine an die sich verändernden Bedingungen angepasst, sagte Blinken am Mittwoch während eines Besuchs im kleinen Nachbarland Moldau. Und er sei "zuversichtlich, dass wir das auch weiterhin tun werden".
US-Außenminister stellt klar: Ukraine soll selbst entscheiden, wie sie sich am besten verteidigt
Blinken war bei einer Pressekonferenz mit Moldaus Präsidentin Maia Sandu in der Hauptstadt Chisinau von einem Journalisten gefragt worden, ob US-Präsident Joe Biden zu einer Aufhebung der bestehenden Einschränkungen bewegt werden könne. Blinken entgegnete, die US-Regierung habe Angriffe mit US-Waffen auf Ziele außerhalb der Ukraine weder ermöglicht noch dazu ermutigt. Die Ukraine müsse selbst entscheiden, wie sie sich am besten verteidigen könne. "Wir werden dafür sorgen, dass sie die dafür notwendige Ausrüstung erhält."
Wörtlich betonte Blinken, ein Kennzeichen der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine in den mehr als zwei Jahren seit Kriegsbeginn sei es stets gewesen, "sich anzupassen, wenn die Bedingungen sich verändern, wenn das Schlachtfeld sich ändert, wenn Russland sein Handeln verändert (...). Wir haben uns ebenfalls daran angepasst und verändert, und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch weiterhin tun werden."
Einem Bericht der "New York Times" zufolge ist unklar, wie viele andere Mitglieder der Biden-Regierung diesen neuen Kriegskurs unterstützen. Allerdings gilt Blinken als einer der engsten Mitarbeiter und Vertrauten des eher vorsichtigen US-Präsidenten.
Fakt ist jedoch: Sollten die USA ihre Haltung tatsächlich ändern und der Ukraine gestatten, die gelieferten US-Waffen auf russischem Gebiet einzusetzen, werden wahrscheinlich auch andere westliche Staaten diesem Beispiel folgen.
Außenministerinnen und Außenminister der 32 Nato-Staaten beraten über nächste Schritte
Die Außenministerinnen und Außenminister der 32 Nato-Staaten wollen an diesem Donnerstag und Freitag bei einem informellen Treffen in Prag die Vorbereitungen für den nächsten Bündnisgipfel vorantreiben. Bei dem Spitzentreffen im Juli in Washington soll unter anderem beschlossen werden, Aufgaben zur Unterstützung der Ukraine, die bislang von den USA übernommenen wurden, auf das Bündnis zu übertragen.
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sba/fka/news.de/dpa
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