Wahlkampf ist die Zeit der Bilder und der Slogans - manchmal pfiffig, manchmal rätselhaft. Aber worum geht es den Parteien im Europawahlkampf eigentlich genau?
Im Endspurt vor dem 9. Juni ist der Funke auf viele Bürgerinnen und Bürger noch nicht so richtig übergesprungen. Europawahl, war da was? Es prangen zwar wieder die großen Plakate. Es werben Kanzler und Minister, Promis und Unbekannte. Die einen fordern: "Europa. Einfach. Machen." Die anderen: "Besonnen handeln." Wieder andere fragen: "Ampel oder Überholspur?". Aber was wollen die Parteien konkret? Ein Überblick.
Die SPD: Topthema Frieden
Die SPD versucht vor allem mit drei Themen zu punkten: Frieden, Rente, Mindestlohn. Frieden steht groß auf den Wahlplakaten mit Spitzenkandidatin Katarina Barley und Kanzler Olaf Scholz, obwohl ein Ende der Kriege in der Ukraine und in Gaza nicht absehbar ist. Mit "Besonnenheit" meint der Kanzler: Kein Risiko eingehen, dass der Krieg zu einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Russland eskaliert. Das Thema Rente hat mit Europa weniger zu tun als mit dem aktuellen Haushaltsstreit in der Ampel. Scholz will das Rentensystem und das Renteneintrittsalter nicht infrage stellen lassen, er will auch keine Abschaffung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, wie von der FDP gefordert. Und dann hat Scholz noch einen Schlager aus dem Bundestagswahlkampf 2021 reaktiviert: eine Erhöhung des Mindestlohns, zuerst auf 14 und dann auf 15 Euro. Das zumindest hat mit der Europäischen Union zu tun, denn es gibt europäische Vorgaben.
Die Grünen: Gegen rechts
Für die Grünen geht es bei der Europawahl um zwei große Themen: Rechtsruck verhindern und Klimaschutz. Beides gehört aus Sicht der Partei zusammen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte 2019 den Green Deal präsentiert, mit dem die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden soll - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als auch wieder gebunden werden können. Die Grünen fürchten, das ehrgeizige Programm könnte gestutzt werden, wenn entsprechende politische Mehrheiten zustande kommen. Die Union und rechte Kräfte versuchten, "die Axt an den Green Deal zu legen", warnte Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke. Insgesamt feiern die Grünen im Wahlprogramm namens "Was uns schützt" die EU als Garant für Frieden und Wohlstand. Die Partei würde gern noch weitere Punkte europäisch regeln, zum Beispiel "rechtsverbindliche und einklagbare Arbeits- und Sozialstandards".
FDP: "Eurofighterin" gegen von der Leyen
Die FDP inszeniert das Wahlkampffinale als Showdown zweier Frauen: Das ist zum einen ihre Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bisher Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, nun genannt "Eurofighterin". Auf der anderen Seite steht Kommissionspräsidentin von der Leyen, von der FDP gewissermaßen zur Hauptgegnerin erklärt. Zu viel Bürokratie, zu wenig Einsatz für den Freihandel, das Aus für Verbrennermotoren, kein klares Nein zu neuen EU-Gemeinschaftsschulden - die Liste der Vorwürfe gegen die CDU-Frau an der Spitze der EU-Kommission ist lang. "Weniger von der Leyen, mehr von der Freiheit", lautet der dazugehörige Slogan der FDP. Zu ihren konkreten Forderungen zählen Abbau von Bürokratie und Aufbau einer europäischen Armee, Unterstützung für das international vereinbarte Klimaziel von Paris, aber keine ordnungsrechtlichen Vorgaben bis auf den Emissionshandel.
CDU und CSU: Für eine massive Aufrüstung
Auch CDU und CSU hadern bisweilen mit einigen Ideen ihrer Kandidatin von der Leyen: Die von allen EU-Gremien beschlossene Abkehr von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 will CDU-Chef Friedrich Merz rückgängig machen. Das Wahlprogramm der Union mit dem Titel "Mit Sicherheit Europa - Für ein Europa, das schützt und nützt" ist betont konservativ. Es soll sich sowohl von Antieuropäern als auch von den Ampelparteien absetzt. Im Zentrum stehen die Schlagworte Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Angesichts der Bedrohung durch Russland fordern CDU und CSU eine massive Aufrüstung der EU. Migration soll begrenzt, die Außengrenzen sollen besser geschützt werden. Laut Umfragen hat die Union gute Chancen, stärkste Kraft in Deutschland zu werden - sie liegt stabil bei 30 Prozent, was fast doppelt so viel ist wie jeweils SPD, Grünen und AfD vorhergesagt wird.
AfD will den Komplettumbau der EU
Die 2013 als "Anti-Euro-Partei" gegründete AfD bleibt sich im Wahlkampf 2024 treu: "Wir wollen nationale Währungen zur Stärkung unserer Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit wieder einführen", fordert die Partei. Sie nennt die EU insgesamt ein "undemokratisches Konstrukt" und bezeichnet sie als gescheitert. Stattdessen will die AfD einen "Bund europäischer Nationen" gründen. Im AfD-Grundsatzprogramm heißt es: "Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht verwirklichen lassen, streben wir einen Austritt Deutschlands beziehungsweise eine demokratische Auflösung der Europäischen Union und die Neugründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an." Tagespolitisch setzt die AfD auf ihr Kernthema Migration: Asylverfahren etwa soll es nur noch außerhalb Deutschlands geben. Die Partei will eine Rückkehr zur Atomkraft und ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland, um wieder russisches Erdgas zu beziehen.
Linke: Besteuern und umverteilen
Die Linke spart inzwischen mit Fundamentalkritik an der EU und schreibt in ihrem Wahlprogramm: "Trotz all ihrer Unzulänglichkeiten und Fehlkonstruktionen darf es kein Zurück hinter den politischen Erfolg der europäischen Integration, kein Zurück zum Nationalstaat geben." Stattdessen setzt die Linke die Ziele: Armut bekämpfen, Großkonzerne stärker besteuern und die EU-Schuldenregeln lockern. Unterm Strich soll Wohlstand umverteilt, mehr investiert und die europäische Wirtschaft angekurbelt werden. Im Wahlprogramm bezeichnet die Linke die Klimaziele des Green Deal als viel zu niedrig. Dazu passt, dass die Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete Co-Spitzenkandidatin ist. Eine Idee für die Klimawende: Die Linke will den Zugverkehr mit einer "United Railways of Europe" über Grenzen hinweg ausbauen - eine "persönliche Lieblingsforderung" von Parteichefin Janine Wissler. Ihre Vision lautet: "Züge aller Länder vereinigt euch."
BSW für ein "unabhängiges Europa"
Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht platziert im Europawahlkampf die Schlagwörter wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, Frieden, Meinungsfreiheit und Demokratie. Die Partei der früheren Linken-Politikerin Wagenknecht fordert ein "unabhängiges Europa" auf Distanz zu den USA. Konkret will sie, dass "der Ukrainekrieg schnellstens mit einem Waffenstillstand und der Aufnahme von Friedensverhandlungen beendet wird". Auch das BSW findet die Wirtschaftssanktionen gegen Russland falsch und die Begrenzung von Migration richtig. So sollen Asylverfahren an die EU-Außengrenzen oder in Drittländer verlegt werden. Den Green Deal in jetziger Form sieht das BSW kritisch und will lieber "Klimapolitik und Umweltschutz durch technologische Innovation". Rotes Tuch ist auch für Wagenknecht das Aus für Neuwagen mit Verbrennermotor 2035. Insgesamt kommt sie zu dem Schluss: "Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee."
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