Angesichts der Lage in Gaza halten viele russische Muslime zu den Palästinensern. Doch blieb es nicht bei Protesten gegen die israelische Politik. Mobs machten in Russland an mehreren Orten Jagd auf vermeintliche Juden.
Nach dem blutigen Großangriff der Hamas auf Israel und den seitdem anhaltenden Angriffen Israels im Gazastreifen kommt es in Russlands muslimisch geprägtem Nordkaukasus verstärkt zu antijüdischen Übergriffen. In Machatschkala in der Teilrepublik Dagestan drang eine Menschenmenge am Sonntagabend in den Flughafen ein, weil dort eine Maschine aus Tel Aviv gelandet war, in der angeblich Flüchtlinge aus Israel saßen. Zahlreiche Menschen liefen auch auf das Flugfeld.
Wegen Landung angeblicher Israel-Flüchtlinge: Russische Muslime stürmen Flugplatz inMachatschkala
Der Flugplatz wurde vorübergehend geschlossen, ankommende Flugzeuge wurden auf andere Flughäfen umgeleitet, wie die staatliche Flugaufsicht Rosawiazija der Agentur Tass zufolge mitteilte. Später teilte Rosawiazija mit, Sicherheitskräfte hätten das Gelände geräumt. Der Flughafen bleibe aber bis zum 6. November geschlossen. Laut "Focus" sei zur Räumung die Nationalgarde angerückt. Wie die "Berliner Morgenpost" unter Berufung auf das zuständige russischeMinisterium berichtet, seien bei der Flugplatz-Stürmung mehr als 20 Menschen verletzt worden, darunter Polizisten sowie Zivilisten. Es seien mehr als 150 aktive Teilnehmer der Unruhen identifiziert und 60 festgenommen worden.
Antijüdische Übergriffe in Russland: Männer drangen in Hotel in Chassawjurt, um Pässe zu kontrollieren
Am Samstag umringte eine Menge aufgebrachter Menschen ein Hotel in der Stadt Chassawjurt in Dagestan, weil es das Gerücht gab, dort seien Flüchtlinge aus Israel untergebracht. Die staatliche Agentur Ria bestätigte diesen Vorfall. Nach örtlichen Berichten drangen mehrere Dutzend Männer in das Hotel ein, um angeblich die Pässe der Hotelgäste zu kontrollieren. Die Polizei riegelte das Hotel ab.
Verschärft wird die Lage dadurch, dass die Evakuierungsflüge für russische Staatsbürger aus Tel Aviv im Nordkaukasus landen, nämlich auf den Flughäfen Machatschkala, Mineralnyje Wody und Sotschi. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern halten viele russische Muslime zu den Palästinensern.
In Naltschik: Reifen neben jüdischen Kulturzentrum im Bau angezündet
In Naltschik wurden am Sonntag Reifen neben einem jüdischen Kulturzentrum im Bau angezündet, wie die Nachrichtenagentur Ria meldete. Das Gebäude wurde nach Angaben der Sicherheitsbehörden der Teilrepublik Kabardino-Balkarie mit extremistischen Losungen beschmiert. Fotos zufolge stand dort "Tod den Juden". In der Teilrepublik Karatschajewo-Tscherkessien riefen Demonstranten dazu auf, die örtliche jüdische Bevölkerung auszusiedeln.
Laut "Focus" seien die antijüdischen Übergriffe im Nordkaukasus durch Gerüchte ausgelöst worden, die Regierung wolle israelische Flüchtlinge in dem Gebiet ansiedeln. Diese würden sich in sozialen Netzwerken verbreiten, wo auch Aufrufe zu antisemitischen Demonstrationen geteilt würden. Ein Telegram-Kanal, in dem offenbar zu dem Protest am Flughafen aufgerufen wurde, sei inzwischen abgeschaltet worden.
Republikchef Melikow: Bevölkerung darf sich nicht von Extremisten aufstacheln lassen
Der Republikchef von Dagestan, Sergej Melikow, rief die Bevölkerung auf, sich nicht von Extremisten aufstacheln zu lassen, die die Lage destabilisieren wollten. "Wegen der Fakes, die von unseren Feinden verbreitet werden, waren einige noch ganz junge Leute drauf und dran, die Gesetze zu verletzen", schrieb er auf Telegram. Auch die islamische Geistlichkeit der Region stellte klar: "Der Antisemitismus hat keinen Platz im multiethnischen Nordkaukasus."
Wegen der Gewalt im Nahen Osten hatte sich Präsident Wladimir Putin vergangene Woche mit den Oberhäuptern der in Russland vertretenen Religionen getroffen. Dabei beschwor er ein friedliches Zusammenleben der Völker und Religionen. Ein Sprecher der Rabbiner in Dagestan glaubt daran angesichts der kürzlichen Übergriffe aber wohl nicht. Er forderte, wie "Focus" berichtet, deshalb alle Juden auf, die Region zu verlassen. "Russland ist nicht die Rettung. [...] Auch in Russland gab es Pogrome." Zudem habe die ultranationalistische Russisch-Orthodoxe Kirche die lasche Reaktion der Behörden auf die judenfeindlichen Proteste kritisiert. Experten der US-amerikanischen Denkfabrik "Institute for the Study of War" zufolge aus Angst, es könnte zu anti-russischen Bewegungen kommen.
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rad/news.de/dpa