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Razzia in 12 Bundesländern: Schlag gegen Nazi-Sekte - Faeser erlässt "Artgemeinschaft"-Verbot

Vergangene Woche hat Innenministerin Nancy Faeser eine Neonazi-Gruppierung verboten. Jetzt geht es gegen andere Rechtsextremisten. Die Polizei durchsuchte in zwölf Bundesländern Wohnungen von Anhängern der rassistischen Siedlungsbewegung "Artgemeinschaft".

Bei einer Razzia in zwölf Bundesländern ermitteln Einsatzkräfte gegen die rechtsextremistische Sekte "Artgemeinschaft" (Symbolfoto). (Foto) Suche
Bei einer Razzia in zwölf Bundesländern ermitteln Einsatzkräfte gegen die rechtsextremistische Sekte "Artgemeinschaft" (Symbolfoto). Bild: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat eine rechtsextremistische Vereinigung verboten, die sich "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" nennt. Faeser beschrieb in einer Mitteilung "Die Artgemeinschaft" als "sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung". Die Ministerin begründete ihre Entscheidung auch mit dem Kindeswohl. Sie sagte: "Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen."

Das Verbot gegen die Vereinigung, die sich häufig in einem Hotel in Thüringen traf, wurde nach Angaben des Ministeriums seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Maßgeblich seien hierbei Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewesen, hieß es. Die Vereinigung richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung.

Razzia gegen Nazi-Sekte "Artgemeinschaft" in 12 Bundesländern

Wie das Ministerium weiter mitteilte, durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei am Morgen des 27. September 2023 26 Wohnungen von 39 Vereinsmitgliedern und Räume des Vereins in zwölf Bundesländern. Laut Bundesinnenministerium umfasst das Verbot auch alle Teilorganisationen der Bewegung, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden rund 150 Mitglieder hat. Dazu gehörten sogenannte "Gefährtschaften", "Gilden", "Freundeskreise" und ein Verein namens "Familienwerk". Durchsucht wurde den Angaben zufolge in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, eine größere Siedlung zum gemeinschaftlichen Wohnen habe die "Artgemeinschaft" nicht gegründet.

Essener Arzt unter Verdacht: Pflegt der Mediziner Verbindung zur "Artgemeinschaft"-Sekte?

Eines der Objekte, das bei der Razzia auf links gedreht wurde, soll das Wohn- und Praxishaus eines Mediziners aus Essen-Bereney (Nordrhein-Westfalen) sein. Der Allgemeinmediziner soll Angaben der "Bild" zufolge zwar nicht festgenommen worden sein, dennoch bestehe der Verdacht, dass der Vater dreier Söhne in die Machenschaften der Nazi-Sekte verstrickt sein.

Sektenähnlich, rechtsextrem, antisemitisch: Das ist das kranke Weltbild der "Artgemeinschaft"-Anhänger

An den Razzien beteiligt waren demnach mehrere Hundertschaften und Spezialeinheit sowie Fahnder des Staatsschutzes beteiligt. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung erläuterte, gilt die Nazi-Gruppierung "Artgemeinschaft" als "sektenähnliche, religiös-völkische, anti-christliche und rechtsextreme Organisation", die zahlreiche Verbindungen zu anderen rechtsextremen Gruppierungen unterhalte. Ins Leben gerufen wurde die Sekte Anfang der 1950er Jahre und später sogar als eingetragener Verein mit Sitz in der Bundeshauptstadt Berlin beglaubigt. Die Gruppierung verstehe sich der "Bild" zufolge als "Bewahrer einer nordisch-germanischen Rasse, die anderen Menschen überlegen ist und sich im Kampf gegen diese durchsetzen muss", das Selbstbild der Nazi-Sekte sei durchwirkt von rassistischen, sozialdarwinistischen und antisemitischen Verschwörungstheorien und bestehe in der Tradition der von den Nazis im Dritten Reich verbreiteten Rassenlehre, wie der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen informiert.

Nancy Faeser erlässt "Artgemeinschaft"-Verbot nach Schlag gegen "Hammerskins"

In der vergangenen Woche hatte Faeser die elitäre Neonazi-Gruppierung "Hammerskins Deutschland" verboten. Vor allem durch die "manipulativ indoktrinierende Erziehung ihrer Kinder" und den Vertrieb entsprechender Schriften sei die "Artgemeinschaft" nicht weniger gefährlich als die "Hammerskins", sagte die Ministerin.

Zur Begründung des Verbots führte Nancy Faesers Ministerium aus, die Siedlerbewegung verbreite unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ein gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild. Zentrales Ziel sei die Erhaltung und Förderung der eigenen "Art", was mit dem nationalsozialistischen Begriff der "Rasse" gleichzusetzen sein.

Hegt die "Artgemeinschaft" Verbindungen zur Terrorzelle NSU?

Es lohne sich, Verbindungen der "Artgemeinschaft" zur rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrunds" herauszuarbeiten, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic. Zudem soll der Rechtsextremist Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hatte, der nun verbotenen Vereinigung zeitweilig angehört haben. Darauf deutet nach Informationen aus Sicherheitskreisen eine alte Mitgliederliste hin.

Die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan sprach von einem wichtigen Schlag gegen die organisierte rechte Szene. Es brauche aber mehr als Vereinsverbote. Sie sagte: "Wir müssen endlich die Finanzstrukturen der Rechtsextremisten trockenlegen, ihre Entwaffnung voranbringen und eine konsequente Gesamtstrategie gegen Rechts auflegen."

Der Verfassungsschutz führt Siedlungsbestrebungen von Rechtsextremisten in seinem aktuellen Jahresbericht gesondert auf. In dem Bericht heißt es, Ziel dieser Bewegungen sei zumeist der "Erhalt der Deutschen". "Deutschsein" werde hierbei vor allem unter Rückgriff auf den ethnischen Volksbegriff im Sinne der völkischen "Blut-und-Boden"-Ideologie definiert. Die "Artgemeinschaft" taucht hier nicht auf. In einer Publikation des Verfassungsschutzes von 2020 wurde die Gemeinschaft als "die derzeit größte deutsche neonazistische Vereinigung mit völkischer, rassistischer, antisemitischer sowie antichristlicher Ausprägung" bezeichnet. Ihre Mitglieder werden angehalten, möglichst viele Kinder zu bekommen.

Das "American Jewish Comittee Berlin" begrüßte das Verbot. In einer Mitteilung hieß es: "Seit seiner Gründung 1951 nahm der Verein eine zentrale ideologische und organisatorische Scharnierfunktion zwischen verschiedenen neonazistischen und rechtsextremistischen Milieus und Organisationen ein, die bis in den Bereich des Rechtsterrorismus reichten."

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/news.de/dpa

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