Die Debatte um die Kindergrundsicherung dauert an. Christian Lindner mischt sich ein und setzt sogar den Rotstift an. Zuletzt sah er Leistungserhöhungen kritisch und sprach sich dagegen aus. Doch Zahlen widerlegen Lindners Argumentation.
Die Kinderarmut in Deutschland muss jetzt bekämpft werden, fordern Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen), Verbände und Experten. Deshalb setzt sie sich vehement für die Kindergrundsicherung ein. Doch Finanzminister Christian Lindner stellt sich quer. Seine Aussagen stehen deutlich im Gegensatz zur Realität. Das zeigen Studien und Zahlen.
Kindergrundsicherung: Christian Lindner sieht Leistungserhöhungen kritisch
Mit der Kindergrundsicherung sollen Leistungen für Familien zusammengefasst und zugleich erhöht werden. Die Pläne dazu von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) werden momentan weiter regierungsintern beraten. Die FDP sieht Leistungserhöhungen kritisch und hatte unter anderem auf das bereits erhöhte Kindergeld verwiesen. Parteichef und Finanzminister Christian Lindner hatte außerdem die Frage gestellt, ob höhere Zahlungen an Eltern die Situation von Kindern verbessern oder ob nicht eher in Sprachförderung, Integration, Kitas und Schulen investiert werden sollte. "Höhere Sozialleistungen an die Eltern können doch nicht die Lösung sein, sondern wir müssen das Problem an der Wurzel packen", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der Nachrichtenagentur dpa. Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert seien, hatte er erklärt. Mit diesen Aussagen fing er sich viel Kritik ein.
Sind nur Kinder von Bürgergeldempfängern arm?
Lindner fokussiert sich bei der Kinderarmut auf Bürgergeldempfänger. In Deutschland "lebten im Sommer 2022 rund 1,9 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren in Haushalten, die Sozialleistungen beziehen", heißt es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Nicht nur Sozialleistungen fördern Kinderarmut, sondern auch ein geringes Einkommen. Die Armutsgefährdungsquote liegt bei Kindern, in denen Eltern weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdienen höher, als in Bedarfsgemeinschaften, zeigt eine Statistik der Bertelsmann Stiftung. Die Armutsgrenze lag im Jahr 2020 bei Alleinerziehenden bei 14.076 Euro im Jahr, bei einem Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei29.560 Euro.
Kinder von Alleinerziehenden haben ein erhöhtes Armutsrisiko
Arbeitslosigkeit ist ein Risikofaktor, aber nicht der einzige. Die FDP argumentierte auch, dass Eltern in Arbeit gebracht werden müssen. Doch auch Erwerbstätige können armutsgefährdend sein. Gerade Familien mit drei oder mehr Kindern sowie alleinerziehende Mütter haben ein höheres Armutsrisiko. "Von den insgesamt eine Million Frauen, die ihr minderjähriges Kind überwiegend allein betreuten, arbeiteten zudem mehr als vier von zehn in Vollzeit. Ihr Anteil lag mit 42,8 % deutlich über dem von vollzeiterwerbstätigen Müttern in Paarfamilien (32,0 %)", zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. "Das größte Armutsrisiko haben Kinder in Mehrkindfamilien mit einem alleinerziehenden Elternteil (86 Prozent)", zeigen weitere Zahlen. Hinzu kommen auch noch oftmals schlechtere Betreuungsmöglichkeiten, die es Eltern oder Alleinerziehenden unmöglich machen Vollzeit zu arbeiten.
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Immer mehr Kinder aus Migranten-Familien armutsgefährdet? Das sagen die Zahlen wirklich
Was ist mit Lindners Aussage, dass statistisch gesehen mehr Kinder mit migrantischem Hintergrund oder Flüchtlinge in Armut leben? Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass im Dezember 2015 von den 1,8 Millionen Minderjährigen die dauerhaft Sozialleistungen erhielten, rund jeder Fünfte eine ausländische Nationalität hatte. 2022 waren es schon weniger. Es waren immer noch 1,8 Millionen Minderjährige, die von diesen Geldern lebten. Doch nur noch die Hälfte davon hatte eine ausländische Nationalität. Davon waren hauptsächlich darunter Kinder aus der Ukraine oder Ländern wie Syrien. Viele Migranten mit deutschem Pass bekamen aber keine Transferleistungen vom Staat mehr. Zu allem Überfluss wurde auch noch argumentiert, dass die Gelder gar nicht bei den Kindern ankommen. Das sei eine "eine entwürdigende Unterstellung, dass arme Eltern das Geld nicht an ihre Kinder weitergeben würde, für die es keine empirischen Belege gibt", schreibt Bettina Kohlund, Direktorin vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) auf X, früher Twitter. Sie bezieht sich auf eine Studie von Dr. Holger Stichnoth und seinem Team vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für die Bertelsmann Stiftung.
Lindners teurer Sparzwang
Lindners Sparkurs helfe armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen auch nicht. Der Finanzminister sieht für die Kindergrundsicherung statt der von Paus veranschlagten sieben Milliarden Euro - zuvor waren es zwölf Milliarden Euro - nur zwei Milliarden vor. Um die Kinderarmut zu bekämpfen, braucht es deutlich mehr Geld. Denn die Kosten für die Gesellschaft fallen deutlich höher aus. "Das ist ein Bruchteil der Summe, die Staat und Steuerzahler heute schon schultern müssen, wenn Kinderarmut nicht energischer bekämpft, sondern stattdessen lieber die enormen Folgekosten in Kauf genommen werden", sagte Ulrich Lilie, Diakonie-Präsident. Ein neues Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kam mithilfe einer aktuellen OECD-Studie zu dem Ergebnis, dass sich die gesellschaftlichen Gesamtkosten durch vergangene und aktuelle Kinderarmut in Deutschland im Jahr 2019 auf etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beliefen, also mehr als 100 Milliarden Euro. Die Kosten umfassen vor allem Ausgaben für Bildung und Gesundheit. Würde nicht darin investiert werden, schade das Kindern. Armutsbetroffene Kinder haben statistisch gesehen ein höheres Risiko krank zu werden oder in die Arbeitslosigkeit abzurutschen.
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Kampf gegen Kinderarmut: Kindergrundsicherung statt mehr Kindergeld
Deshalb muss es die Kindergrundsicherung jetzt geben, mahnen Experten. Lindner sollte seinen Sparzwang ablegen und in die Zukunft von Heranwachsenden investieren. Das wünschen sich viele. Vor allem politische Maßnahmen und eine Förderung zur Teilhabe werden sich gewünscht. Natürlich muss das geplante Gesetz so umgesetzt werden, dass Kinder unbürokratisch geholfen wird. Kindergeld allein hilft nicht. "Eine Erhöhung des Kindergeldes ist teuer, vermeidet aber keine Armut, denn es kommt bei Familien im SGBII-Bezug nicht an. Die Kindergrundsicherung muss die Verteilung mit der Gießkanne beenden und gezielt denjenigen helfen, die besonders darauf angewiesen sind", sagt Anette Stein, Direktor Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung.
Quellen: Bettina Kohlrausch, Bertelsmann Stiftung, Malteser, Kinderreport 2023, ZDF, Statistisches Bundesamt.
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bos/bua/news.de/dpa