+++ EU stellt Kiew keine weitreichenden Sicherheitsgarantien in Aussicht +++
Die EU stellt der Ukraine vorerst keine weitreichenden Sicherheitsgarantien für die Zeit nach einem möglichen Ende des russischen Angriffskrieges in Aussicht. Beim EU-Gipfel in Brüssel konnten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten am Donnerstag lediglich darauf verständigen, vage ihre Bereitschaft zu erklären, zu "künftigen Sicherheitszusagen" beizutragen. Unter diesem Begriff wird in der Regel keine direkte militärische Unterstützung verstanden. Er gilt deswegen schwächer als der von Sicherheitsgarantien.
Grund für die zurückhaltende Wortwahl war die Haltung von Ländern wie Österreich, Irland und Malta. Sie wollen militärisch neutral bleiben und sind deswegen auch nicht Mitglied der Nato. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer sagte am Donnerstag zum Thema Sicherheitsgarantien: "Da ist es für uns als neutrale Staaten klar, dass es diese so nicht geben kann." Österreichs militärische Neutralität ist in einem Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahr 1955 geregelt.
Zukünftige Sicherheitszusagen sollen der Ukraine laut der Erklärung dabei helfen, sich langfristig zu verteidigen, Aggressionshandlungen abzuwenden und Destabilisierungsbemühungen zu widerstehen. Wie sie konkret aussehen könnten, wird allerdings nicht erläutert. Theoretisch könnte es zum Beispiel darum gehen, EU-Ausbildungsprogramme für die ukrainischen Streitkräfte oder andere Militärhilfen langfristig fortzusetzen.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz äußerte sich am Donnerstag zunächst nur knapp zum Thema Sicherheitsgarantien. «Deutschland ist schon seit langem mit seinen engsten Verbündeten dabei, solche Diskussionen mit der Ukraine zu führen», sagte er. «Das werden wir auch weiter tun.»
+++ Greta Thunberg in Kiew - Gespräche über kriegsbedingte Umweltschäden +++
Zur Erfassung der durch den russischen Angriffskrieg verursachten Umweltschäden ist die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg gemeinsam mit einer internationalen Arbeitsgruppe in die Ukraine gereist. "Wir brauchen Ihre professionelle Hilfe", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der die Gruppe am Donnerstag in Kiew empfing. Er wies vor allem auf die schlimmen Verwüstungen im südlichen Gebiet Cherson hin, die durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und darauf folgende Hochwasser seit Anfang Juni verursacht wurden.
"Ich denke nicht, dass die Reaktion der Welt auf diesen Ökozid ausreichend war", sagte Thunberg ukrainischen Medien zufolge. "Ich denke nicht, dass irgendeine Reaktion ausreichend sein kann. Denn es gibt einfach keine Worte, um diese Brutalität zu beschreiben." Selenskyj berichtete zudem von Problemen bei der Trink- und Nutzwasserversorgung in Cherson und im angrenzenden Gebiet Mykolajiw. Geschädigt seien zudem der Agrarsektor und die biologische Vielfalt der Region.
Der Umwelt-Arbeitsgruppe gehörten zudem die schwedische Ex-Vizeregierungschefin Margot Wallström, die irische Ex-Präsidentin Mary Robinson und die finnische Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Heidi Hautala, an. Die Arbeit der Gruppe soll dazu beitragen, Russland zu einer Kompensation der durch den Einmarsch vor mehr als 16 Monaten verursachten Schäden zu zwingen.
+++ EU will Ukraine stärker bei Plan für Friedensgipfel unterstützen +++
Die EU-Staaten wollen die Ukraine stärker bei den Planungen für einen internationalen Friedensgipfel unterstützen. Man werde die diplomatischen Kontakte intensivieren, um eine größtmögliche internationale Unterstützung für die zentralen Prinzipien und Ziele der ukrainischen "Friedensformel" zu gewährleisten, heißt es in einer am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel verabschiedeten Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Konkret wurde in diesem Zusammenhang auch der geplante Friedensgipfel genannt, der nach Vorstellungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Schweiz organisiert werden könnte.
Bei ihm sollen sich nach den Vorstellungen der Regierung in Kiew möglichst viele Länder hinter die sogenannte "ukrainische Friedensformel" stellen. Zu ihr gehören der vollständige Abzug russischer Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet, die Freilassung aller Kriegsgefangenen, ein Tribunal gegen russische Kriegsverbrecher sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
Einen Termin für den geplanten Gipfel gab es bis zuletzt nicht. Selenskyj hatte Anfang Juni gesagt, die Vorbereitungen dafür liefen. Weil man so viele Länder wie möglich dabei haben wolle, sei bislang aber noch kein Datum festgelegt worden. Selenskyj wurde bei dem EU-Treffen am Donnerstag per Videokonferenz zugeschaltet.
+++ EU bietet Ukraine nach Staudamm-Zerstörung weitere Hilfe an +++
Die EU bietet der Ukraine nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms weitere Hilfe an. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten seien bereit, zusätzlich zu der bereits laufenden Katastrophenschutzhilfe Unterstützung zu leisten, heißt es in einer am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel verabschiedeten Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Die Staudamm-Zerstörung habe verheerende humanitäre, ökologische, landwirtschaftliche und wirtschaftliche Folgen und bedrohe auch die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja. Es ist das größte Europas.
Der Staudamm in der von russischen Truppen besetzten und unmittelbar an der Front gelegenen Stadt Nowa Kachowka war am 6. Juni gebrochen. Daraufhin strömten riesige Wassermassen aus dem angrenzenden Stausee aus. Viele Orte wurden überschwemmt. Die Ukraine, die sich seit 16 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg verteidigt, ist überzeugt, dass Russland das Bauwerk absichtlich gesprengt hat. Auch viele internationale Experten halten das für wahrscheinlich. Moskau dementiert den Vorwurf.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte indirekt, dass die EU Russland in der Gipfelerklärung nicht klar als Urheber für die Katastrophe nennt. Er warnte in einem per Videokonferenz übertragenen Redebeitrag zum Gipfel, dass das Ausbleiben einer starken EU-Reaktion auf die Staudamm-Zerstörung "russische Terroristen" zu Anschlägen auch auf das Atomkraftwerk Saporischschja verleiten könnte.
+++ Tote und Verletzte bei russischem Beschuss in Cherson +++
In der südukrainischen Stadt Cherson sind am Donnerstag nach Angaben lokaler Behörden mindestens zwei Menschen durch russischen Beschuss getötet und zwei weitere verletzt worden. Ziel der Angriffe waren demnach erneut Wohngebiete der Stadt. Unter anderem seien Wohngebäude, ein medizinisches Zentrum und eine Schule mit einem sogenannten «Punkt der Unbezwingbarkeit» getroffen worden. Dabei handelt es sich um einen zivilen Schutzraum, in dem humanitäre Hilfe an der Bevölkerung geleistet wird.
Die Stadt Cherson kämpft ebenso wie das gleichnamige Gebiet in der Südukraine weiterhin mit den Flutfolgen nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Anfang Juni. Dabei wird die Hauptstadt der Region auch immer wieder zum Ziel russischer Angriffe. Allein am Mittwoch schlugen russische Geschosse zwölf Mal in der Stadt ein, wie der Leiter der regionalen Militärverwaltung, Olexander Prokudin, auf Telegram mitteilte.
+++ Kreml äußert sich nicht zum Verbleib von General Surowikin +++
Der Kreml äußert sich nach Angaben von Sprecher Dmitri Peskow nicht zum Verbleib des russischen Vizegeneralstabschefs Sergej Surowikin. Es handele sich um eine Angelegenheit des Verteidigungsministeriums, sagte Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Donnerstag, nachdem es Berichte über eine Festnahme des Generals gegeben hatte. Peskow hatte am Mittwoch einen US-Medienbericht als "Spekulation" zurückgewiesen, wonach Surowikin von dem Aufstandsplan des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin vorab gewusst haben soll.
Zur Frage, ob Präsident Wladimir Putin Surowikin weiter vertraue, sagte Peskow am Donnerstag, dass der Kremlchef als Oberbefehlshaber mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow zusammenarbeite. Zu deren Untergebenen müsse sich das Ministerium äußern. Eine Stellungnahme von dort lag zunächst nicht vor.
Mehrere russische Medien hatte schon am Mittwoch unter Berufung auf Informanten berichtet, dass Surowikin festgenommen sei. Eine Bestätigung dafür gab es nicht.
Die US-Zeitung "New York Times" hatte zuvor unter Berufung auf US-Sicherheitskreise berichtet, dass Surowikin im Vorfeld von dem Aufstand der Wagner-Gruppe gewusst habe. "Es gibt jetzt um diese Ereignisse herum viele unterschiedliche Spekulationen und Tratsch", sagte Kremlsprecher Peskow dazu. "Ich denke, das ist ein Beispiel dafür." Die Armee und die Bevölkerung hätten während des Aufstands "alle beim Präsidenten gestanden".
Surowikin gilt zwar als Verbündeter Prigoschins, er hatte sich aber noch in der Nacht zum Samstag öffentlich auf die Seite des Machtapparats in Moskau geschlagen. In einer Videobotschaft hatte Surowikin Prigoschin dazu aufgerufen, den Machtkampf zu beenden.
Wagner-Chef Prigoschin hatte am Samstag zwischenzeitlich unter anderem die südrussische Stadt Rostow am Don besetzt und ließ seine Kämpfer dann Richtung Moskau marschieren. Rund 200 Kilometer vor der russischen Hauptstadt gab er überraschend auf. Vermittelt hatte in dem Konflikt der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko. Prigoschin und seinen Söldnern wurde von Putin Straffreiheit zugesichert.
+++ Litauen verstärkt Kontrollen an Grenzen zu Russland und Belarus +++
Litauen hat die Kontrollen an seinen Grenzen zu Russland und Belarus verstärkt. Innenministerin Agne Bilotaite wies am Donnerstag den Grenzschutz des baltischen EU- und Nato-Landes an, die Dokumente und Visa von einreisenden Personen aus den beiden Nachbarländern genauer zu prüfen. Litauen sei zudem bereit, die Staatsgrenze zu schließen, sollte sich die Bedrohungslage in der Region ändern, hieß es einer Mitteilung des Ministeriums.
Konkrete Gründe für die Entscheidung wurden nicht genannt. In Litauen hat aber nach dem Aufstand von Söldnergruppen-Chef Jewgeni Prigoschin in Russland und der geplanten Verlegung von Wagner-Söldnern nach Belarus die Besorgnis über die Sicherheitslage zugenommen. In knapp zwei Wochen richtet der Baltenstaat zudem am 11. und 12. Juli den Nato-Gipfel in der Hauptstadt Vilnius aus.
Litauen hat wie seine baltischen Nachbarn und Polen als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Einreise für viele Menschen aus den beiden Nachbarländern bereits gestoppt. Nach Angaben des Innenministeriums wurden in diesem Jahr bislang rund 1 200 belarussische und 1 300 russische Bürger an der Grenze abgewiesen, die zugleich die EU-Außengrenze bildet.
+++ Ukraine fordert Bevölkerung an russischer Grenze zur Flucht auf +++
Wegen ständigen russischen Beschusses hat die ukrainische Armee die Bevölkerung der Grenzkreise im nordöstlichen Gebiet Sumy zur Flucht aufgefordert. "Ich rufe alle dazu auf, bitte flieht, um das eigene Leben zu retten!", schrieb Generalleutnant Serhij Najew am Donnerstag bei Telegram. Die örtlichen Behörden seien bei der Evakuierung behilflich. Russland setze täglich Raketenwerfer, Artillerie und Gleitbomben in diesem Gebiet ein. "Der Abschnitt Sumy bleibt der gefährlichste im nördlichen Operationsgebiet", unterstrich Najew.
Die Ukraine wehrt seit über 16 Monaten eine russische Invasion ab. Das Gebiet Sumy stand zu Kriegsbeginn mehrere Wochen großteils unter russischer Kontrolle. Im Mai drangen von der Ukraine unterstützte Bewaffnete vom Gebiet Sumy in das angrenzende russische Gebiet Belgorod vor und verwickelten die russischen Sicherheitskräfte in Kämpfe. Nach kurzer Zeit zogen sie sich jedoch wieder auf ukrainisches Gebiet zurück.
+++ Ukraine verkündet langsamen Vormarsch an mehreren Abschnitten +++
Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben den russischen Gegner an mehreren Frontabschnitten um über einen Kilometer zurückgedrängt. Insbesondere im Umland der russisch kontrollierten Stadt Bachmut im ostukrainischen Gebiet Donezk liege die Initiative derzeit auf ukrainischer Seite, teilte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar bei Telegram mit. Namentlich erwähnte sie Vorstöße in Richtung der Dörfer Klischtschijiwka und Kurdjumiwka südwestlich der zerstörten Stadt.
Die Ukrainer setzen sich demnach derzeit auf neu erreichten Positionen fest. "Der Feind zieht seine Reserven heran und klammert sich an Bachmut mit allen seinen Kräften", unterstrich sie. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unmittelbar unabhängig überprüfen. Bachmut war von den Russen im Mai unter hohen Verlusten nach monatelangen schweren Kämpfen erobert worden.
Bei den Kämpfen an der Südfront an der Grenze zwischen den Gebieten Saporischschja und Donezk haben sich die ukrainischen Truppen Maljar zufolge in den eroberten Stellungen festgesetzt. "Sie lassen das gegnerische Offensivpotenzial ausbluten, zerstören Ausrüstung, Lager, Kommando- und Kontrollpunkte und Personal", schrieb sie. Die russische Seite ziehe in diesen Bereichen ebenso Reserven heran.
+++ Zahl der Opfer in Kramatorsk weiter gestiegen +++
In Kramatorsk im Donezker Gebiet war am Dienstag bei einem Raketenangriff eine Pizzeria getroffen worden. Jüngsten Angaben zufolge wurden mindestens elf Menschen getötet und mehr als 60 verletzt. Unter den Toten sind ukrainischen Angaben zufolge auch drei Kinder. Noch immer wird unter den Trümmern nach möglichen Verschütteten gesucht.
+++ Putin-Vertrauter in Haft: General Surowikin offenbar festgenommen +++
Nach Angaben der "Moscow Times" wurde der hochrangige russische General Sergej Surowikin verhaftet. Das Blatt beruft sich in seinem Bericht auf zwei dem Büro des Verteidigungsministeriums nahestehende Quellen. Bereits zuvor hatte die "New York Times" unter Verweis auf Angaben von US-Beamten mit Zugang zu entsprechenden Geheimdienstinformationen berichtet, dass der Putin-Vertraute Surowikin von Jewgeni Prigoschins Aufstands-Plänen gewusst haben soll.
Der 56-jährige Surowikin war im Oktober 2022 Oberbefehlshaber der kompletten russischen Streitkräfte in der Ukraine. Im Januar 2023 wurde er zum Leiter der russischen Weltraumabwehr ernannt. In den russischen Medien wird Surowikin wegen seiner brutalen Art auch "General Armageddon" genannt.
+++ Pistorius: Entwicklungen in Russland legen Risse offen +++
Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht in dem bewaffneten Aufstand der Söldnerarmee Wagner ein Zeichen für Risse im Machtapparat von Putin. "Ich glaube, da muss man kein Russland-Experte sein, um zu erkennen, dass eine Situation, die so weit gedeihen kann in so kurzer Zeit, dass die ein eindeutiges Signal dafür ist, (...) dass dort einiges in Schieflage geraten ist und dass es Risse gibt", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch (Ortszeit) in Washington. Er antwortete auf die Frage einer Journalistin, wie angeschlagen der russische Präsident seiner Ansicht nach sei. Pistorius fügte hinzu, wie tief diese Risse seien und welche Folgen sie für Russland, für die innere Stabilität des Landes und für Putin hätten, ließe sich noch nicht abschätzen. Es gebe auch «kein klares gefestigtes Lagebild», sagte er.
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