In ihren anderthalb Jahren Regierungszeit haben die Grünen schon einige Kompromisse gemacht. Nun kommt ein weiterer hinzu: Ausgerechnet mit ihrer Beteiligung beschließen die EU-Staaten eine Verschärfung der Asylregeln. Das stößt einigen übel auf. Baerbock bemüht sich um Erklärung.
Nachdem die Bundesregierung der geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln zustimmte, entbrannte eine hitzige Diskussion bei den Grünen. Außenministerin Annalena Baerbock fleht um Entschuldigung und erklärt sich in einem Brief.
Verschärftes Asylrecht! Bundesregierung stimmt EU-Kompromiss zu
Die Asylverfahren in der EU sollen angesichts der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden. Eine ausreichend große Mehrheit an Ministern stimmte für umfassende Reformpläne. Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.
"Moralischen Kompass verloren!" Asylkompromiss löst heftige Debatte bei Grünen aus
Nachdem die Grünen als Teil der Ampel-Regierung mit SPD und FDP den schwierigen europäischen Kompromiss zugelassen haben, distanziert sich ein Teil des Führungspersonals öffentlich davon. Führende Grüne mühten sich nach der für viele in der Partei schmerzhaften Entscheidung um eine gemeinsame, wenn auch nicht einheitliche Kommunikation. So meldete sich Co-Parteichef Omid Nouripour mit einer Serie an Tweets zu Wort, in denen er das Für und Wider abwog, mit dem Ergebnis: "In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen."
Mit-Parteichefin Ricarda Lang äußerte sich ähnlich differenziert, aber mit dem Resultat, "dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen". Sie schrieb auf Twitter aber auch: "Das ist eine verdammt schwierige Entscheidung, die sich niemand leicht gemacht hat. Deshalb habe ich Respekt für alle, die in der Gesamtabwägung zu einem anderen Entschluss gekommen sind als ich." GEAS steht für Gemeinsames Europäisches Asylsystem.
Massive Kritik kam auch von Europaparlamentariern der Grünen. "Die EU-Mitgliedsstaaten haben ihren moralischen Kompass verloren", monierte der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen. "Es ist beschämend, dass auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampel-Koalition diesem Vorschlag zugestimmt hat." Die Fraktionschefin im Europaparlament, Terry Reintke, monierte: "Die Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit." Die Fraktion lehne den Beschluss des Rats ab.
"Der Kompromiss ist kein einfacher!" Annalena Baerbock fleht in Brief an die Grünen um Verständnis
Außenministerin Annalena Baerbock verteidigte den Kompromiss unter Verweis auf die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. "Der Kompromiss ist ganz und gar kein einfacher. Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätte beschließen können, dann sähe sie anders aus", schrieb die Grünen-Politikerin am Donnerstag in einer Erklärung. "Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird."
Ein Scheitern der Reform hätte bedeutet, "dass Familien und Kinder aus Syrien oder aus Afghanistan, die vor Krieg, Folter und schwersten Menschenrechtsverletzungen geflohen sind, ewig und ohne Perspektive an der Außengrenze festhängen", schrieb Baerbock weiter. "Ein Nein oder eine Enthaltung Deutschlands zu der Reform hätte mehr Leid, nicht weniger bedeutet." Der bittere Teil des Kompromisses seien die Grenzverfahren an der Außengrenze für Menschen aus Ländern mit einer geringen Anerkennungsquote. "Ohne diese Grenzverfahren hätte sich aber niemand außer Deutschland an dem Verteilmechanismus beteiligt."
Baerbock verteidigt EU-Asylkompromiss
Gemeinsam mit der EU-Kommission habe die Bundesregierung dafür gesorgt, dass die Grenzverfahren nur für einen kleinen Teil der Geflüchteten gelten würden - "nämlich für jene, die kaum darauf hoffen können, dass ihr Asylantrag positiv entschieden wird", schrieb Baerbock. Für den Großteil der Geflüchteten, die an der Außengrenze ankommen - also Syrer, Afghaninnen, Iraker - würden diese nicht gelten. "Und wir haben hart dafür gekämpft, Kinder und ihre Familien auszunehmen, leider ziemlich alleine."
Gut sei, dass unbegleitete Minderjährige von Grenzverfahren ausgenommen sind, so Baerbock. "Nicht gut ist, dass es keine pauschalen Ausnahmen von Familien gibt. Aber es greifen besondere Schutzregeln - insbesondere nach der Kinderrechtskonvention."
Baerbock schrieb: "Hätte Deutschland heute unter anderem mit Ungarn und Polen gegen den Kompromiss gestimmt, wäre eine gemeinsame europäische solidarische Asylpolitik auf Jahre tot. Stattdessen hätten all jene, die ohnehin nationale Mauern in Europa wieder hochziehen wollen, einen Freifahrtschein." Der Kompromiss sei auch deshalb nötig gewesen, um ein Europa ohne Kontrollen an den Binnengrenzen zu erhalten.
Grüne Jugend regierte entgeistert auf Asyl-Kompromiss
Geradezu entgeistert äußerte sich das Führungsduo der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, Timon Dzienus und Sarah-Lee Heinrich. Dzienus schrieb über den Kompromiss auf Twitter: "Das ist unmenschlich und ich werde das so nicht akzeptieren". Heinrich schrieb in einem Tweet: "Ich bin fassungslos. Abschottung sorgt nicht dafür, dass weniger Menschen fliehen. Es bedeutet, dass mehr Menschen leiden." Fast 500 Grüne hatten zuletzt in einem Schreiben an Spitzenvertreter ihrer Partei vor den Asylplänen gewarnt.
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bua/sba/news.de/dpa
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