Erstellt von Dinah Rachko - Uhr

Flüchtlingsgipfel: Abschiebungen, Finanzierung und Co.! Scholz' Migrationspläne sorgen für Unmut

Schirmt sich Deutschland bald vollständig ab? Seit fast zehn Jahren steckt die Bundesrepublik in einer Flüchtlingskrise, hat Millionen Menschen Unterschlupf gewährt. Doch die Migrationswelle ebbt nicht ab. Grenzkontrollen sollen es richten. Das geht unter anderem aus einer Beschlussvorlage hervor, die vor dem Flüchtlingsgipfel feststand. Auch schnellere Abschiebungen sind geplant.

Bundeskanzler Olaf Scholz scheint bundesweite Grenzkontrollen einführen zu wollen. (Symbolbild) (Foto) Suche
Bundeskanzler Olaf Scholz scheint bundesweite Grenzkontrollen einführen zu wollen. (Symbolbild) Bild: picture alliance/dpa | Matthias Balk

Am Mittwoch fand der große Migrationsgipfel im Kanzleramt statt. Anlass dafür waren zahlreiche Beschwerden aus deutschen Kommunen, die sich seit Monaten mit der Flüchtlingskrise überfordert und alleingelassen fühlen. Bundeskanzler Olaf Scholz tagte deshalb nun mit den 16 Länder-Chefs und will offenbar deutschlandweite Grenzkontrollen auf den Weg bringen.

Olaf Scholz greift durch: Knallharte Grenzkontrollen in Deutschland geplant

Das geht jetzt aus dem "Beschlussvorschlag – Entwurf Bundeskanzleramt", einem internen Papier, hervor, das "Bild" bereits vor der Konferenz vorlag. In dem wird das Migrations-Problem in Deutschland deutlich gemacht: "Im letzten Jahr ist auch die Zahl der Geflüchteten aus anderen Staaten in Deutschland deutlich angestiegen. Auch in den ersten Monaten dieses Jahres sind die Zugangszahlen aus Drittstaaten hoch. Aus anderen Staaten als der Ukraine sind sie gegenüber 2019 (dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie) um ca. 50 Prozent gestiegen." Die aktuell Ankommenden kämen "zunehmend aus anderen Drittstaaten". Auch die Zahl der Asylanträge hätte "in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 um 78,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen." Es seien 101.981 Anträge eingegangen, hauptsächlich von Personen aus den Staaten Syrien,Afghanistan und der Türkei. Im vergangenen Jahr hatten rund 218.000 Menschen erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Außerdem müssen die Kommunen mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterbringen. Diese müssen keine Asylanträge stellen.

Wie es in dem Schreiben heißt, möchte die Bundesregierung nach wie vor Hilfe für Geflüchtete leisten, jedoch auch eine strenge Maßnahme umsetzten, um illegale Einwanderung zu verhindern. Sie wollen "unter Wahrung der humanitären und rechtlichen Verpflichtungen Deutschlands den Zugang der Geflüchteten stärker steuern."

Man habe humanitäre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen, bekenne sich zur "gemeinsamen finanziellen Lastentragung" und wolle "Migrationspartnerschaften" mit Herkunftsländern abschließen. Darüber hinaus befürworte man in der Migrations-Krise Maßnahmen auf europäischer Ebene, wie etwa der Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex.

Bundesregierung will Grenzkontrolle wie zu Österreich "auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands"

Kanzler Scholz will jedoch offenbar nicht nur die Außengrenzen des Schengen-Raums schützen, sondern auch die der deutschen Bundesrepublik. Unter Punkt 1.4. des Beschlussvorschlags sind "Maßnahmen für einen besseren Schutz der Grenzen" aufgeführt. Darin heißt es: "Lageabhängig wird der Bund das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands etablieren." An der Grenze zu Österreich gibt es bereits für alle Reisenden feste, stationäre Grenzkontrollen. Diese sind dem Papier zufolge somit künftig auch an allen anderen deutschen Grenzen, wie etwa der zu den Niederlanden, möglich. Dies müsste Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dann bei der EU-Kommission anmelden.

Eigentlich gibt es im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören, keine stationären Personenkontrollen an den Grenzen. In den vergangenen Jahren hatten aber mehrere Staaten eine Ausnahmeregelung genutzt. Deutschland kontrolliert seit Herbst 2015 in Bayern an der Grenze zu Österreich, nachdem sich Zehntausende Flüchtlinge und andere Migranten von Griechenland über die Balkan-Route auf den Weg nach Westeuropa gemacht hatten.

"So, wie die Debatten in den letzten Tagen geführt wurden, ist die Humanität aus dem Blick geraten", kritisierte die Grünen-Migrationsexpertein Filliz Polat nach dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch. "Abschottung und Abschreckung tragen in keiner Weise dazu bei, die Aufgaben bei der Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden zu bewältigen."

Flüchtlingsgipfel: EU-Außengrenzen besser schützen

Außerdem sollen laut dem Beschlusspapier die EU-Grenzen besser geschützt werden. Es seien auf "europäischer Ebene [...] weitere Anstrengungen erforderlich, um die Kontrolle und den Schutz der EU-Außengrenzen wirksamer auszugestalten." Des Weiteren sollen ankommende Flüchtlinge solidarischer verteilt werden und Deutschland soll Einsatzkräfte bereitstellen, die die Außengrenzen sichern. Durch den Schutz der Außengrenzen sollen auch Kommunen stärker entlastet werden.

Straffällige Asylsuchende schneller abschieben

Einen zentralen Punkt bilden straffällige Asylsuchende. "Personen, die nicht in Deutschland bleiben können, konsequent zurückzuführen. Insbesondere müssen Straftäterinnen und Straftäter zügig zurückgeführt werden", heißt es in dem Papier. Weiterhin sollen "Migrationspartnerschaften" mit den Herkunftsländern abgeschlossen werden, damit Staatsangehörige zurückgenommen werden können.

Um Abschiebungen konsequenter durchzusetzen, hätten sich Bund und Länder darauf verständigt, die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams von derzeit 10 auf 28 Tage zu verlängern, sagte Scholz nach der Konferenz. In Ausreisegewahrsam können Menschen genommen werden, die in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollen, sich aber häufiger unkooperativ verhalten haben - zum Beispiel mit falschen Angaben über ihre Staatsangehörigkeit. Vereinbart wurden den Angaben zufolge auch erweiterte Zuständigkeiten der Bundespolizei und ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Justiz- und Ausländerbehörden.

"Um Bund, Länder und Kommunen zu entlasten, ist die irreguläre Migration spürbar zu reduzieren", heißt es in dem Beschluss, auf denen sich die Teilnehmer des Flüchtlingsgipfels einigten. Wer dafür die Verantwortung trägt, blieb allerdings offen.

Mehr Geld für Betreuung und Integration von Flüchtlingen geplant

Die Beschlussvorlage umfasst zudem die schnellere Registrierung von Flüchtlingen und Asylverfahren sollen schnell und "konsequent" digitalisiert werden. Zudem sei es wichtig "eine angemessene Unterbringung, Betreuung und Integration der Geflüchteten zu gewährleisten." Sprachkurse bilden auch eine wichtige Säule in der Flüchtlingspolitik. Dafür sollen rund 2,7 Milliarden Euro für Integrationsleistungen anfallen.

So viel sollen die Pläne kosten

Der Bund will die Flüchtlingskosten weiterhin zu Teilen tragen, "insbesondere durch die Flüchtlingspauschale, die Zahlung von Bürgergeld an hilfsbedürftige Geflüchtete aus der Ukraine und an anerkannte Asylsuchende sowie durch die mietzinsfreie Überlassung von Gebäuden und Grundstücken des Bundes." Das Vorhaben soll Kommunen und Länder entlasten. Dafür zahlt der Bund 15,6 Milliarden Euro.

Harte Verhandlungen um Geld bei Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel

Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen haben die Regierungschefs der Länder bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihre Forderung nach einer dauerhaften zusätzlichen finanziellen Unterstützung durch den Bund bekräftigt. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen wurde am Mittwoch im Kanzleramt bis zum Abend in unterschiedlich besetzen Runden verhandelt. Zwischenzeitlich berieten beide Seiten getrennt voneinander. Ein konkretes finanzielles Angebot habe der Bund zunächst noch nicht vorgelegt, hieß es von Teilnehmern. Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten hatten schon vor Beginn des Flüchtlingsgipfels klargemacht, sie wollten mehr als eine Einmalzahlung.

Der Bund verwies seinerseits auf bereits geleistete Beiträge in Milliardenhöhe. Die Länder fordern jedoch ein System, bei dem die Zahlungen des Bundes automatisch steigen, wenn mehr Menschen ins Land kommen, die versorgt werden müssen.

Teilergebnisse, die keinen Einstieg in dauerhafte Finanzierungszusagen bedeuten würden, wären "kein Ergebnis" der Bund-Länder-Runde zur Flüchtlingspolitik, sagte der Vizevorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU).

Die Länder wollen an einem - bis 2021 aus ihrer Sicht bewährten - Vier-Säulen-Modell festhalten, zu dem vor allem die vollständige Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete zählt. Außerdem pochen die Länder auf Zahlung einer monatlichen Pro-Kopf-Pauschale nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für Integration sowie für unbegleitete Flüchtlinge.

Bund gibt noch eine Milliarde für Flüchtlingskosten - Neue Beratungen geplant

Zunächst haben Bund und Länder bei ihrem Flüchtlingsgipfel keine Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel zur Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden getroffen. Der Bund wird aber für das Jahr 2023 die Flüchtlingspauschale an die Länder um eine Milliarde Euro erhöhen. Damit sollen die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren. Der Bund hatte zuvor bereits 1,5 Milliarden Euro für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in diesem Jahr zugesagt sowie 1,25 Milliarden Euro für andere Geflüchtete.

Man sei sich einig, dass es sich bei der Bewältigung der Fluchtmigration um eine dauerhafte Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen handelt, hielten die Teilnehmer des Treffens fest. Vor diesem Hintergrund wollten Bund und Länder miteinander klären, wie die Finanzierung dieser Aufgabe in Zukunft geregelt werden könne. Eine Entscheidung dazu solle bei einer Zusammenkunft im kommenden November getroffen werden.

In dem gemeinsamen Beschluss heißt es weiter, eine Arbeitsgruppe werde diese Entscheidung vorbereiten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder würden bei ihrer regulären Zusammenkunft Mitte Juni den Zwischenstand beraten.

"Wir haben eine Diskussion vor uns, die auch jede Mühe wert ist, das will ich ausdrücklich sagen. Aber die Aufgabe zu lösen ist auch nicht einfach, weil in den letzten Jahren viel passiert ist", sagte Scholz nach dem Ende der Beratungen. "Wir gehen da als offener Prozess rein und das Ergebnis kann niemand vorhersagen." "Mehr war eben nicht drin", bilanzierte Wüst. "Das muss man heute so klar sagen." Auf die zentrale Frage nach einer dauerhaft höheren Beteiligung des Bundes hätten die Länder noch keine Antwort erhalten. Dennoch sei die zusätzliche Milliarde vom Bund anzuerkennen. Immerhin gebe es nun einen Fahrplan, wie auf dem Weg zu einer dauerhaft fairen, verlässlichen Finanzierung voranzuschreiten sei.

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) sagte, der Beschluss sei besser als das, was er noch vor ein oder zwei Tagen für möglich gehalten habe. "Wir sind uns, Bund und Länder, der gemeinsamen Verantwortung bewusst", sagte er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK).

Sachsen, Bayern und Sachsen-Anhalt hielten nach dem Migrationsgipfel in einer Protokollerklärung zu dem Beschluss fest: "Das zentrale Problem ist die fortgesetzte irreguläre Migration. Alle bisher von Bundesseite getroffenen Maßnahmen haben nicht zu einer nachhaltigen Zuzugsbeschränkung geführt." Die vom Bund vorgesehene Erhöhung um eine Milliarde Euro sei "völlig unzureichend" und werde der Belastungssituation in den Kommunen nicht gerecht. Thüringen sprach sich in einer weiteren Protokollerklärung gegen eine Verlagerung von Asylverfahren an die EU-Außengrenzen aus, wie sie derzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird.

Kommunen kritisieren Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels

Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels von Bund und Ländern sind sowohl bei den Kommunen also auch bei der Opposition im Bundestag auf Kritik gestoßen. "Eine Einigung erst im November kommt für das Jahr 2024 deutlich zu spät und stößt bei den Kommunen auf große Enttäuschung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der "Rheinischen Post" (Donnerstag). Er äußerte sich mit Blick darauf, dass eine dauerhafte Lösung zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung auf den Herbst vertagt worden war. "Das ist ein schlechtes Signal an die Städte", sagte Städtetags-Präsident Markus Lewe der Zeitung.

"Mit einer Vertagung drängender Probleme können die Landkreise nicht wirklich zufrieden sein", sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Vertreter der Kommunen waren zu dem Treffen nicht eingeladen worden. Die zugesagte Milliarde Euro vom Bund sei "nur ein Tropfen auf den heißen Stein", kritisierte Landsberg.

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, nannte die Runde im Kanzleramt im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) einen "Enttäuschungsgipfel". Die Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alice Weidel und Tino Chrupalla, bezeichneten die Ergebnisse als "nicht geeignet, die dringend erforderliche Migrationswende in Deutschland einzuleiten. Noch mehr Geld für noch mehr Flüchtlinge wird die Flüchtlingskrise nicht lösen, sondern verlängern."

Die Aufstockung der Beteiligung gilt als Zugeständnis an die Länder. Die sehen allerdings den Bund grundsätzlich in der Pflicht. "Der Bund allein hält den Schlüssel zur Steuerung und Begrenzung der Migration in der Hand. Solange er diesen Schlüssel nicht ausreichend nutzt, muss er sich an den Kosten der Länder und Kommunen beteiligen", sagte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der im November Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) sein wird. In dem Beschlusspapier des Gipfels heißt es auch: "Aus Sicht der Länder bedarf es eines atmenden Systems, bei dem sich die finanzielle Unterstützung des Bundes an den Zugangszahlen der Geflüchteten orientiert." Wie "Focus" berichtet, stehe in dem Papier gleich danach jedoch auch: "Aus Sicht des Bundes wurde ein atmendes System für die Unterstützung der Länder und Kommunen bereits etabliert." Um diesen Punkt dürfte bei der nächsten Konferenz aller Voraussicht nach somit gestritten werden. Überwiegend begrüßt wurden Absichtserklärungen der Bundesregierung, die sogenannte irreguläre Migration stärker einzudämmen, auch wenn hierfür noch Verhandlungen auf EU-Ebene bevorstehen. 

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rad/bua/news.de/dpa

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