Die Energiekrise und Inflation setzt den Bürgern zu. Um sie zu entlasten, hat die Bundesregierung Steuerentlastungen beschlossen. Wer profitiert eigentlich wirklich von den angepassten Steuer-Werten?
Die hohenPreise belasten viele Bürger bereits seit Monaten. Der Staat solle daran nicht auch noch über die Einkommensteuer mitverdienen, meint die Ampel-Regierung. Im Bundestag fand die Änderung der Steuer-Eckwerte eine große Zustimmung. Am Donnerstag, den 10. November) hat der Bundestag eine steuerliche Entlastung für 48 Millionen Bürger beschlossen. Was gut klingt, halten viele Bürger und Bürgerinnen aber für keine gute Idee. Sie sehen in dem Schritt keine wirkliche Erleichterung.
Inflation treibt die Preise hoch: Bundestag beschließt Steuerentlastungen
Die Auswirkungen der hohen Inflation auf die Einkommensteuer - die sogenannte kalte Progression - sollen damit komplett ausgeglichen werden. Außerdem soll es die größte Kindergeld-Erhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik geben. Wie das Parlament am Donnerstag beschloss, verzichtet der Staat in den nächsten zwei Jahren so auf Steuereinnahmen von rund 50 Milliarden Euro. Die Änderungen können erst in Kraft treten, wenn der Bundesrat zugestimmt hat.
Viel Lob gab es im Bundestag für das Gesetz auch von der oppositionellen Union, die ihre Zustimmung gab. Es gehe um eine Selbstverständlichkeit, sagte Fraktionsvize Mathias Middelberg. "Wir geben ihnen (den Bürgern) das zurück, was ihnen durch die Inflation, durch die Preisentwicklung, sonst zusätzlich genommen würde." Middelberg kritisierte aber zugleich, im laufenden Jahr würden die Auswirkungen der hohen Inflation nicht ausgeglichen. Die AfD kritisierte, die Ampel entlaste mit dem Gesetz nicht, sondern erhalte nur die Kaufkraft der Bürger. Die Linke bemängelte, dass Spitzenverdiener von der Anpassung in absoluten Zahlen stärker profitieren als Geringverdiener - das sei in der aktuellen Krise nicht angemessen.
Kalte Progression - eine automatische Steuererhöhung wird abgefedert
Die Ampel-Regierung will mit dem Gesetz verhindern, dass der Staat auch noch bei der Einkommensteuer von den derzeit hohen Preisen profitiert. Die kalte Progression, quasi eine inflationsbedingte heimliche Steuererhöhung, wird abgefedert. Diese entsteht bei hoher Inflation, wie es sie durch den russischen Krieg in der Ukraine und die folgende Energiekrise in Deutschland gerade gibt. Prognosen gehen davon aus, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr über sieben Prozent liegen könnte.
Hohe Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro weniger kaufen können. Wenn dann das Gehalt weniger stark steigt als die Inflation, muss man zudem weiterhin hohe Steuern zahlen, kann sich aber weniger leisten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte zuletzt argumentiert: Wenn ein Einkommen von eigentlich 43 000 Euro durch die Inflation im kommenden Jahr nur noch eine Kaufkraft von 39 000 Euro habe, dürfe der Staat nicht so viel Steuern erheben, als seien es noch 43 000 Euro Kaufkraft.
Die Steueranpassungen kommen
Um das aufzufangen, dreht die Regierung an den Stellschrauben des Einkommensteuertarifs. Der Grundfreibetrag, also das Einkommen, bis zu dem keine Steuer gezahlt werden muss, soll steigen - um 561 Euro auf 10 908 Euro im kommenden Jahr. 2024 soll er dann auf 11 604 Euro angehoben werden.
Zudem soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent im kommenden Jahr erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 62 827 Euro greifen. Derzeit wird er schon ab 58 597 Euro fällig. 2024 würde dieser Eckwert auf 66 779 Euro steigen. Die Grenze für den noch höheren Reichensteuersatz von 45 Prozent tastet die Bundesregierung bewusst nicht an, weil sie in dieser Einkommensklasse keine zusätzliche Entlastung für nötig hält.
Familien bekommen mehr Kindergeld
Familien können sich auf eine zusätzliche Entlastung einrichten: Das Kindergeld soll auf einheitlich 250 Euro pro Monat und Kind angehoben werden. Das bedeutet für das erste und zweite Kind ein Plus von 31 Euro und für das dritte Kind ein Plus von 25 Euro im Monat.
Profitieren Steuerzahler von der Entlastung?
Das Finanzministerium hat mehrere Beispielrechnungen aufgemacht: Demnach muss ein Single mit Bruttolohn von monatlich 2400 Euro im kommenden Jahr 197 Euro weniger Steuern zahlen. Eine Familie mit zwei Kindern und gemeinsamem Bruttolohn von 4667 Euro im Monat hätte 818 Euro mehr in der Tasche. Ein Single mit Bruttolohn von monatlich 13 000 Euro müsste 674 Euro weniger Steuern zahlen.
Kritik an Christian Lindner: Werden nur Spitzenverdiener entlastet?
In absoluten Zahlen werden Topverdiener damit stärker entlastet als Geringverdiener - bei ihnen ist der Effekt der hohen Inflation aber auch stärker. Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) warf Lindner vor, Spitzenverdiener über Gebühr zu begünstigen. Der Grundfreibetrag solle voll angepasst werden, schon beim Spitzensteuersatz sei das aber weder geboten noch bezahlbar.
Wirtschaftsweisen forderten höhere Steuern für Reiche - Lindner lehnte das ab
Zuletzt schlugen die Wirtschaftsweisen vor, zur Finanzierung von Entlastungen in der Energiekrise Spitzenverdiener stärker zu belasten. Derzeit würden auch diejenigen entlastet, die es nicht nötig hätten. Es werde "zu viel Geld ins System" gegeben. Konkret schlugen die Ökonomen einen befristeten Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. Dies sorgte für scharfe Kritik vor allem bei Wirtschaftsverbänden. Christian Lindner erklärte daraufhin, dass keine Steuern erhöht werden. "Die Bundesregierung wird nicht zusätzlich die Steuern erhöhen", betonte der FDP-Politiker am Mittwoch. Die Wirtschaft und die Bürger seien stark genug durch die gestiegenen Preise belastet.
Deutschland erlebe eine wirtschaftliche Abkühlung und stark gestiegene Preise. "Was wir jetzt tun müssen, ist doch, Schaden von unserer wirtschaftlichen Substanz abzuwenden, Arbeitsplätze sicher zu halten und Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen», sagte Lindner. "Und deshalb wären in einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit zusätzliche Belastungen bei der Steuer enorm gefährlich." Ein solches Experiment wolle die Bundesregierung nicht unternehmen. Stattdessen halte sie daran fest, die Bürger zu entlasten.
Kritik an Steuerentlastungen
Der Beschluss reicht nicht aus, meinen viele im Netz. Gerade Geringverdiener würden von den Steuerentlastungen nicht profitieren. "Wieder mit der Gießkanne! Und damit, in absoluten Zahlen gesehen, scheißt der Teufel mal wieder auf den dicksten Haufen. Viele Mindestlohnbeziehende werden von den paar Euro fufzich die dabei rumkommen immerhin ein Bruchteil ihrer Rechnungen zahlen können", heißt es in einem Twitter-Beitrag. "Was für ein unglaublich dummes Narrativ ... der Staat ist genauso Nachfrager von Leistungen und profitiert - wenn überhaupt - nur sehr kurzfristig, während er langfristig ebenfalls Nachteile hat ... das bringt also nur Menschen etwas, die eh schon immer profitiert haben", schreibt ein weiterer Nutzer.
Die Kritik ist nicht neu. Als Christian Lindner hatte bereits im August 2022 verkündet den Grundfreibetrag anheben zu wollen. Damals wurde ihm vorgeworfen, dass so nur wieder Geld von unten nach oben verteilt würde.
So viel kosten die Steuerentlastungen den Staat
Durch die Verschiebung der Eckwerte nehmen Bund, Länder und Gemeinden im kommenden Jahr 18,6 Milliarden Euro weniger Steuern ein. Im Jahr 2024 sind es sogar 31,8 Milliarden. Das ist deutlich mehr als in einem ersten Entwurf vorgesehen - hier hatte Lindner aber noch mit einer niedrigeren Inflation gerechnet. Trotzdem profitiert der Bund weiter von der hohen Teuerung - etwa, weil er deutlich mehr Mehrwertsteuer einnimmt.
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bos/news.de/dpa
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