Mit dem 9-Euro-Ticket wollte die Bundesregierung ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Neue Studienergebnisse zeigen hingegen, dass das Billig-Ticket sogar für mehr Verkehr auf deutschen Straßen sorgt.
An das 9-Euro-Ticket werden große Erwartungen geknüpft. Nicht nur Menschen sollen entlastet, sondern auch die Verkehrswende zum Schutz des Klimas eingeläutet werden. Zu Beginn löste es einen regelrechten Boom aus. Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zufolge wurden bundesweit bislang rund38 Millionen Millionen Tickets verkauft. Die Menschen nutzen Busse und Bahn immer häufiger, was zuletzt auch zu Chaos wegen überfüllter Züge führte. Dennoch sieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing das günstige ÖPNV-Ticket als Erfolg an. Ist das berechtigt? Sorgt das 9-Euro-Ticket für Klimaschutz?
Neue Studienergebnisse: Mehr Verkehr trotz 9-Euro-Ticket?
Ersten wissenschaftlichen Auswertungen zufolge führt das 9-Euro-Ticket nicht dazu, dass viele Menschen ihr Auto stehen lassen. "Viele der aktuellen Daten muss man mit Vorsicht genießen", sagte der Projektleiter Öffentlicher Verkehr des Interessenverbands Agora Verkehrswende, Philipp Kosok, der Deutschen Presse-Agentur. "Das, was vorliegt, sind allerdings sehr alarmierende Daten. Es deutet darauf hin, dass mit dem 9-Euro-Ticket mehr Verkehr erzeugt und vor allem kaum verlagert wird." Der Versuch habe somit keine positive Klimaschutzwirkung, möglicherweise sogar eine negative, sagte Kosok weiter. "Es deutet sich an, dass wir hier keinen klaren Klimavorteil mit dieser Aktion haben."
Image-Boost statt Verkehrswende mit dem 9-Euro-Ticket
Die Untersuchungen bescheinigen der Fahrkarte vor allem Erfolge bei der eigenen Vermarktung. "Mit fast 98 Prozent kennt fast jeder Befragte das 9-Euro-Ticket, zwei Drittel kennt es sogar gut", teilte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen im Juli mit. Er befragt jede Woche rund 6.000 Verbraucherinnen und Verbraucher, mit vielen Sonderfragen speziell für Nutzer der Fahrkarte. Insgesamt hätten allein im Juni mehr als 30 Millionen Menschen das Ticket besessen - inklusive der Abonnentinnen und Abonnenten, die das 9-Euro-Ticket nicht extra kaufen mussten.
9-Euro-Ticket sorgt für Reisenden-Ansturm bei der Deutschen Bahn
Die hohe Nachfrage spüren auch die Reisenden und die Beschäftigten in den Bussen und Bahnen. "Das Ticket führt zu einer höheren Nutzung des Öffentlichen Verkehrs, aber vor allem selektiv auf bestimmten Strecken - sogar soweit, dass dort der Verkehr zusammenbricht", sagt Christian Böttger, Bahn-Experte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Eine Auswertung von Mobilfunkdaten durch das Statistische Bundesamt ergab Anfang Juli: "Im Juni 2022 lagen die bundesweiten Bewegungen im Schienenverkehr im Schnitt 42 Prozent höher als im Juni 2019." Das Problem: Rund ein Viertel der im ÖPNV angetretenen Fahrten wäre ohne das Ticket gar nicht erst gemacht worden, ermittelte der VDV. Es handelt sich also um zusätzliche Reisen und nicht um Ersatzfahrten, die sonst mit dem Auto gemacht worden wären. "Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich nur ein leichter Verlagerungseffekt von der Straße auf den Öffentlichen Verkehr von bestenfalls zwei bis drei Prozent erkennen", sagt etwa HTW-Forscher Böttger.
Weniger Staus in Großstädten dank 9-Euro-Ticket
Das deckt sich mit ersten Ergebnissen einer Studie aus dem Großraum München, die unter anderem die Bewegungsdaten Hunderter Teilnehmer auswertete. Sie kam zum Schluss, dass 35 Prozent der Probanden häufiger mit Bus und Bahn fuhren - aber nur 3 Prozent ihr eigenes Fahrzeug seltener nutzten. Allerdings stellten die Forscher eine gewisse dämpfende Wirkung auf den Straßenverkehr in München fest. Statt im Juni - wie üblich - leicht zu steigen, ging er um drei Prozent zurück. Auch eine Auswertung des Verkehrsdatenspezialisten TomTom für die Deutsche Presse-Agentur hatte in der ersten Phase des 9-Euro-Tickets auf einen Rückgang der Staus in großen deutschen Städten hingedeutet.
Eine radikale Änderung des täglichen Verhaltens sei nicht zu erwarten gewesen, ordnete der Leiter der Münchner Studie, Klaus Bogenberger von der TU München, die Ergebnisse bei ihrer Vorstellung im Juli ein. Er zieht ein positives Zwischenfazit. "Das wichtige Ergebnis ist: Viele haben die öffentlichen Verkehrsmittel in ihren Alltag integriert." Allerdings untersucht die Münchner Studie einen Bereich mit relativ dichtem ÖPNV-Angebot. Das würde laut der Universität Kassel einen großen Unterschied beim Kaufverhalten machen.
Forscher um Jan Christian Schlüter von der TU Dresden haben sich vor allem der Kaufentscheidung und der Preissensibilität bei möglichen Nachfolgeangeboten gewidmet. Wichtigste Argumente für die Nutzung des 9-Euro-Tickets waren demnach der Preis und die Einfachheit des Angebots. Viele Menschen hätten aber auch angegeben, den ÖPNV ausprobieren zu wollen. Hier werde es spannend sein, ob Nutzer das Ticket auch ein zweites Mal kauften, sagte er.
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Experten erklären: So gelingt die Verkehrswende
Für ein Nachfolgeangebot können sich viele Menschen auch höhere Preise vorstellen, wie die Dresdner Befragung zeigt. Die meisten Menschen nannten dabei Werte zwischen 60 und 90 Euro. Doch aus Sicht der Forschenden ist der Preis eines ÖPNV-Tickets für den langfristigen Erfolg der Verkehrswende nicht ausschlaggebend. "Wenn wir wirklich stabiles Wachstum wollen im Öffentlichen Verkehr, dann müssen wir vor allem die Kapazitäten entsprechend erweitern", sagt HTW-Experte Böttger. "Was wir gesehen haben, ist, dass das System wirklich am Anschlag ist." Es muss in den Neu- und Ausbau des Eisenbahnverkehrs investiert werden. "Die Regierung ist weit, weit davon entfernt, diese Investitionen bereit zu stellen", so Böttger.
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bos/fka/news.de/dpa
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