Das Reizthema Impfpflicht wühlt viele auf. Ist sie gerechtfertigt, um die Pandemie zu besiegen? Und wenn ja, wie genau? Auch im Parlament ist die Diskussion in einer ausführlichen Aussprache nicht einfach. Kommt jetzt die allgemeine Impfpflicht? Drei Vorschläge stehen aktuell zur Debatte.
Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht im Kampf gegen die Corona-Pandemie ist im Bundestag hoch umstritten. In einer ersten ausführlichen Debatte über diese gesellschaftlich brisante Frage prallten am Mittwoch die Meinungen von Befürwortern und Gegnern aufeinander. Prominente Befürworter wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sahen darin den einzigen Weg zum Überwinden der Pandemie. Gegner wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki oder Gregor Gysi von der Linken hielten eine Impfpflicht dagegen für untauglich, unverhältnismäßig und gefährlich für das Vertrauen in die Demokratie. In der leidenschaftlich, aber weitgehend sachlich geführten Debatte lehnte nur die AfD eine Impfpflicht generell ab.
Erste Impfpflicht-Debatte im Bundestag: Lauterbach will im Herbst gerüstet sein
Lauterbach warb eindringlich für das Impfen und warnte davor, die Frage einer Impfpflicht jetzt nicht zu klären. Eine Umsetzung dauere mindestens fünf bis sechs Monate. "Wenn wir die Impfpflicht jetzt beschließen und dann umsetzen, dann sind wir im Herbst gerüstet. Wenn wir das Problem vor uns wegschieben, dann wird das Problem in voller Stärke zurückkommen." Dies könne man Kindern, Pflegekräften, Ärzten und gefährdeten Menschen nicht weiter zumuten. "Wir müssen handeln." Ohne Impfung werde man "nicht zurückkommen zu dem Leben, was wir geliebt und geschätzt haben".
Wolfgang Kubicki ist für die Impfung, aber gegen eine Impfpflicht
Auch Impfpflichtgegner wie Kubicki bekannten sich ausdrücklich zum Impfen. "Es gibt gute Gründe für eine Impfung, die für eine Impfpflicht überzeugen mich nicht", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende. Es gehe bei der Debatte im Kern auch um den Minderheitenschutz, der durch eine Impfpflicht berührt würde. "Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was man als vernünftig anzusehen hat, und was man nach Mehrheitsmeinung tun muss, um solidarisch zu sein."
Erste Impfpflicht-Debatte ohne konkreten Gesetzesentwurf
Der Orientierungsdebatte lag kein konkreter Gesetzentwurf zugrunde. Bislang zeichnen sich drei Modelle ab: eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, eine Impfpflicht ab 50 Jahren und der Verzicht auf eine Impfpflicht. Diese bezieht sich ausschließlich auf das Coronavirus.
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt, plädierte für die Impfpflicht ab 18. "Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung und auch als weitere Einschränkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche, aber viele andere mehr treffen mit harten Folgen." Man könne die Pandemie auch einfach laufen lassen, sagte Schmidt. "Das führt irgendwann zu einer Grundimmunität. Vorher aber führt es zu vielen Toten, Kranken und Long-Covid-Patienten."
Kappert-Gonther plädiert für Impfpflicht: "Impfen ist der Weg aus der Pandemie"
Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther argumentierte ähnlich: "Impfen ist der Weg aus der Pandemie." Der Linke-Abgeordnete Gysi warnte dagegen vor einer Vertiefung der Spaltung der Gesellschaft. "Weil Impfen wichtig ist, müssen wir einen anderen Weg gehen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!" Statt einer Impfpflicht benötige man deutlich mehr Vertrauen. "Sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen." Der FDP-Politiker Andrew Ullmann plädierte für verpflichtende Aufklärungsgespräche für Impfskeptiker.
Bundesjustizminister Marco Buschmann plädierte dafür, vor einer Entscheidung über eine allgemeine Impfpflicht zunächst alle milderen Alternativen zu prüfen. "Ich traue mir da heute keine abschließende Meinung zu", sagte er als FDP-Bundestagsabgeordneter. Es sei auch denkbar, dass sich die Frage durch wirksame Medikamente erledige.
Union kritisiert fehlenden Gesetzesentwurf der Ampel-Regierung für Impfpflicht
Die Abgeordneten der CDU/CSU hielten sich deutlich mit einer eigenen Positionierung zurück. Sie kritisierten vor allem vehement, dass die Ampel-Regierung keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Die Vize-Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) sprach von "Arbeitsverweigerung" und monierte: "Die Ampel ist in der Frage der Impfpflicht führungs- und orientierungslos." Die geplante Vielzahl von unterschiedlichen Anträgen im Parlament zeichne ein Bild der Planlosigkeit und führe zu Verunsicherung in der Bevölkerung.
Union plädiert für Anlegen eines Impfregisters
Der CDU-Abgeordnete Tino Sorge warf Gesundheitsminister Lauterbach ein Versteckspiel vor. Er habe sich geweigert, einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) gebe keine Richtung vor. "Man spielt so lange Verstecken und hofft, dass irgendjemand ein Konzept zur Impfpflicht vorlegt, wenn man nur lange genug darauf wartet." Die Unionsabgeordneten forderten das Anlegen eines Impfregisters.
AfD lehnt Impfpflicht in Deutschland "vollständig" ab
Die AfD lehnte eine Impfpflicht sowohl für einzelne Berufsgruppen wie auch allgemein "vollständig" ab. Fraktionschef Tino Chrupalla sagte, man sei an einem Punkt angelangt, an dem Impfstoffe schon fast eine religiöse Stellung erhielten. "Wer nicht glaubt und von seinem Grundrecht auf Selbstbestimmung gebraucht macht, ist automatisch ausgeschlossen." Die zweite Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warnte: "Wenn der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elementarer Zivilisationsbruch." Es gebe für eine Impfpflicht keine Rechtfertigung: "weder medizinisch, noch ethisch noch juristisch". Es sei ein "Amoklauf" gegen die Freiheit. Man müsse mit dem Virus leben.
Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen wie Pflegeheimen und Kliniken ab 15. März
In der Sache geht es streng genommen um eine Impfnachweis-Pflicht. Denn klar ist, dass niemand gegen seinen Willen zu Impfungen gedrängt werden kann. Vorbild könnte die erste begrenzte Corona-Impfpflicht sein, die schon besiegelt ist: Beschäftigte in Einrichtungen wie Pflegeheimen und Kliniken müssen bis 15. März Impfnachweise vorlegen. Vorgeschaltet sind mehrere Monate Vorlauf, um sich noch impfen zu lassen. Das könnte bei einer allgemeinen Pflicht auch so sein.
Mindestens 42,6 Millionen Menschen in Deutschland bereits "geboostert"
Davon wäre gut die Hälfte der Bundesbürger wohl gar nicht selbst berührt: Mindestens 42,6 Millionen Menschen oder 51,3 Prozent aller Einwohner sind schon "geboostert". Sie haben also meist drei Spritzen bekommen und damit alle empfohlenen Impfungen. Viele zweimal Geimpfte dürften noch folgen. Unter den 69,4 Millionen Erwachsenen sind aber laut Robert Koch-Institut (RKI) noch 15 Prozent nicht geimpft - bei Menschen ab 60 mit größerem Corona-Risiko 11,4 Prozent.
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sba/fka/news.de/dpa
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