In vielen deutschen Städten wurde am Wochenende gegen die Corona-Politik demonstriert. Oft blieb es friedlich, mancherorts ging es aber ziemlich aggressiv zu. Experten halten die zunehmende Radikalisierung für "mehr als beängstigend".
In der Politik wächst die Sorge vor einer Radikalisierung von Gegnern staatlicher Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung. In zahlreichen deutschen Städten gab es am Wochenende (11. und 12.12.2021) angemeldete, aber auch nicht genehmigte Demonstrationen. Dabei kam es zum Teil auch zu Ausschreitungen.
Deutschlandweite Proteste gegen Corona-Maßnahmen - Gewalttätige Proteste nehmen zu
Nach Polizeiangaben wurden allein in Greiz in Thüringen 14 Beamte verletzt, in Bennewitz bei Leipzig seien Polizisten und auch Journalisten tätlich angegriffen worden. Auch aus Reutlingen in Baden-Württemberg und dem thüringischen Gotha wurden gewaltsame Auseinandersetzungen gemeldet.
Mehrere Polizisten bei Corona-Protesten verletzt
Nach Aufrufen in sozialen Medien hatten sich am Samstag in Greiz bis zu 1.000 Menschen versammelt, wie die Polizei am 12. Dezember mitteilte. Protestierende versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen. Die Polizei setzte daraufhin Pfefferspray ein. In auf Twitter verbreiteten Videosequenzen war zu sehen, wie Protestierende mit den Einsatzkräften rangelten, um die Absperrung zu durchbrechen. Ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete von einer aggressiven Stimmung. Zwei verletzte Polizisten seien vorübergehend nicht mehr dienstfähig, hieß es von der Polizei. Eine verletzte Beamtin sei zeitweilig im Krankenhaus behandelt worden. Die Polizei stellte die Identität von 207 Protestierenden fest, sprach 108 Platzverweise aus und leitete 44 Strafverfahren ein. Zudem liefen 47 Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten.
Polizei rechnet mit weiteren Ausschreitungen in den kommenden Tagen
Auch in Hamburg, Trier, Berlin, Schwerin und verschiedenen sachsen-anhaltischen und bayerischen Städten gingen Menschen ebenfalls gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße, es blieb jeweils friedlich. So demonstrierten im Landkreis Dachau am Sonntagabend in zwei Orten insgesamt 750 Menschen. Zu Wochenbeginn erwartet die Polizei in Sachsen-Anhalt nach eigener Aussage wieder zahlreiche Zusammenkünfte mit Corona-Bezug.
Politiker besorgt über extremistischen Teil der Protestierenden
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul äußerte sich am Sonntagabend besorgt über den extremistischen Teil der Protestierenden. "Die sind brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten", sagte der CDU-Politiker im der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen". Rechtsextremisten würden die Proteste zunehmend für ihre Zwecke missbrauchen. Es seien zunehmend "demokratiefeindliche Töne, verfassungswidrige Töne" dabei. Das mache ihm große Sorgen. Deshalb könne er allen Demokraten nur raten, "dass wir gemeinsam sagen: Jetzt ist Schluss, hier gibt es eine Grenze."
Corona-Proteste immer radikaler
Auch Thüringens Innenminister Georg Maier mahnte im "Bild"-Talk: "Da müssen wir als Gesellschaft eine ganz klare Sprache finden." Eine kleine Minderheit werde "immer lauter, immer radikaler", sagte der SPD-Politiker. Rechtsextreme nutzten das für sich. Als "perfide und unerträglich" kritisierte der Minister Aufrufe, die Adressen von Politikern zu veröffentlichen, "damit die kein schönes Leben mehr haben".
Experten fürchten zunehmende Terror-Gefahr durch Fackel-Mob
Der Terrorismusexperte Peter Neumann schloss auch terroristische Gefahren ausgehend von diesen Protesten nicht aus. "Was wir vereinzelt bereits gesehen haben, sind komplexere Anschläge auf das RKI zum Beispiel oder auf Kliniken und auf Impfstellen." Deshalb könne er sich vorstellen, "dass wir in einigen Monaten tatsächlich möglicherweise von einer terroristischen Kampagne sprechen müssen", sagte Neumann in der Sendung.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas fordertVerbot von Demonstrationen
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas konstatierte ebenfalls eine "spürbare" Radikalisierung bei den Protesten. "Das ist durchaus eine Gefährdung unserer Demokratie", sagte die SPD-Politikerin am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Sie forderte ein Verbot von Demonstrationen vor Privathäusern von Politikerinnen und Politikern sowie eine verschärfte Beobachtung von Telegram-Chatgruppen. Über den Messengerdienst vernetzen sich viele Kritiker von Corona-Maßnahmen.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sprach von einer "fortschreitenden Radikalisierung einer kleinen Minderheit". Dem müsse mit "absoluter Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden" begegnet werden, sagte er der "Welt" (Montag). Wiese warnte: "Wir erleben den organisierten Versuch, zu spalten und zu hetzen."
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz hält zunehmende Radikalisierung der Proteste für "mehr als beängstigend"
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz hält die zunehmende Radikalisierung der Proteste für "mehr als beängstigend". Zu lange seien Reichsbürger und sogenannte Querdenker als harmlos abgetan worden, dagegen müsse man sich "als Demokratie entschlossen aufstellen", forderte von Notz in der "Welt". FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle mahnte dort: "Jeder Einzelne hat eine Verantwortung, sich von militanten Gruppen fernzuhalten." Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) unterstrich: "Der Staat darf in dieser Situation keinesfalls als schwach erscheinen."
Manuela Schwesig: Man darf "den Radikalen nicht die Straße überlassen"
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig rief dazu auf, "den Radikalen nicht die Straße überlassen". "Viele verfolgen ganz andere Ziele als Corona, sie benutzen die emotionale Debatte um die Impfpflicht, um zu spalten", sagte die SPD-Politikerin der "Bild"-Zeitung (13.12.2021). Demokratische Entscheidungen müssten von allen akzeptiert werden. "Hier muss unsere Demokratie eine Brandmauer gegen Gewalt errichten. Unsere Gesellschaft und der Staat müssen den Spaltern und Corona-Hetzern Paroli bieten. Denn am Ende bedrohen sie nicht nur Politiker, sondern uns alle."
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sba/loc/news.de/dpa
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