Wenn Ärzte nicht mehr heilen können: Berufsunfähigkeit trifft auch Mediziner

Sie retten Leben, lindern Schmerzen und stehen täglich unter enormem Druck. Doch was passiert, wenn Ärztinnen und Ärzte selbst erkranken und ihren Beruf nicht mehr ausüben können?

Erstellt von Cori Brossmann - Uhr

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Cathrin Müller/dpa Bild: Cathrin Müller/dpa

Der medizinische Alltag birgt gesundheitliche Risiken, über die kaum gesprochen wird.

Hohe Belastung, hohes Risiko: Der Arztberuf im Fokus

Ein Leben für die Heilung anderer ist die Berufung vieler Ärzte und Ärztinnen. Doch dieser Beruf, der so viel Verantwortung und Erfüllung verspricht, ist gleichzeitig mit enormen Belastungen verbunden. Lange Arbeitszeiten, ständiger Zeitdruck und eine enorme emotionale Beanspruchung sind für viele Mediziner Alltag. Schon während des Studiums wird deutlich: Wer den Arztberuf ergreift, muss belastbar sein. Die Jahre der Ausbildung sind intensiv, die ersten praktischen Erfahrungen oft von Schlafmangel und hoher Stressbelastung geprägt. Und auch nach dem Einstieg in den Beruf bleibt es anspruchsvoll. Ärzte tragen nicht nur die Verantwortung für das Leben und die Gesundheit ihrer Patienten, sondern müssen auch im Team funktionieren, komplexe medizinische Entscheidungen treffen und sich stetig weiterbilden.
Der Klinikalltag ist geprägt von Schichtdiensten, oft mit Nachtschichten und Diensten an Wochenenden oder Feiertagen. Erholungsphasen sind knapp bemessen, die körperliche Erschöpfung nimmt zu. Der physische Einsatz ist nicht zu unterschätzen: Stundenlanges Stehen im OP, das Heben und Lagern von Patienten, unergonomische Arbeitsbedingungen und der Umgang mit Infektionskrankheiten stellen tägliche Herausforderungen dar. Gleichzeitig kann die emotionale Belastung enorm sein, besonders in der Notfallmedizin oder der Palliativversorgung. Doch auch niedergelassene Ärzte spüren den Druck. Der bürokratische Aufwand wächst, Wartezimmer sind überfüllt, und die Angst vor Behandlungsfehlern ist allgegenwärtig.

Typische Erkrankungen bei Ärzten

Die körperlichen und psychischen Belastungen spiegeln sich in den häufigsten Erkrankungen wider, die Mediziner betreffen:

  • Psychische Erkrankungen: Burnout und Depressionen sind unter Ärzten keine Seltenheit. Der hohe Druck, die ständige Verfügbarkeit und die Konfrontation mit Leid und Tod können über Jahre hinweg die mentale Gesundheit beeinträchtigen.
  • Orthopädische Leiden: Bandscheibenvorfälle, chronische Rückenschmerzen oder Gelenkprobleme sind häufige Folgen des langen Stehens, schwerer körperlicher Arbeit oder einer schlechten Haltung im OP.
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Dauerstress erhöht das Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkte oder Schlaganfälle – Erkrankungen, die gerade unter medizinischem Personal überdurchschnittlich oft auftreten.
  • Unfälle, Infektionen und andere Risiken: Nadelstichverletzungen, der Kontakt mit infektiösen Patienten oder Unfälle im hektischen Klinikalltag gehören zum Berufsrisiko. Während der COVID-19-Pandemie wurde besonders deutlich, wie gefährlich die Arbeit in der Medizin sein kann.

All diese Faktoren tragen dazu bei, dass auch Ärzte irgendwann an einen Punkt gelangen, an dem sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Doch wie oft kommt das tatsächlich vor? Der nächste Abschnitt gibt Antworten.

Berufsunfähigkeit im Gesundheitswesen: Zahlen und Realität

Die Vorstellung, dass Ärzte selbst berufsunfähig werden können, scheint auf den ersten Blick paradox, schließlich sind sie es, die anderen Menschen helfen. Doch die Realität zeichnet ein anderes Bild. Rund zwei Prozent der Medizinerinnen und Mediziner sind aufgrund einer Berufsunfähigkeit nicht mehr tätig. Psychische Erkrankungen sind der häufigste Grund, gefolgt von Krebs, Erkrankungen des Bewegungsapparats, Kreislaufbeschwerden und Unfallfolgen.

Verglichen mit anderen akademischen Berufen sind Mediziner einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt, berufsunfähig zu werden. Während Büroangestellte oder Ingenieure vor allem mit altersbedingten Einschränkungen oder chronischen Erkrankungen kämpfen, sind es bei Ärzten oft berufsbedingte Belastungen, die eine Weiterarbeit unmöglich machen. Ein zentraler Faktor ist die Kombination aus hohem Zeitdruck, emotionalem Stress und körperlicher Beanspruchung. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Pflichtgefühl: Viele Mediziner ignorieren erste Warnsignale und arbeiten weiter, obwohl die eigene Gesundheit bereits leidet.

In vielen Fällen beginnt der Weg in die Berufsunfähigkeit schleichend: Erste Erschöpfungssymptome werden übergangen, Rückenschmerzen ignoriert, Schlafmangel als selbstverständlich hingenommen. Erst wenn der Körper oder die Psyche endgültig versagen, ziehen viele die Notbremse. Dann ist es jedoch oft schon zu spät.

Wenn Heiler selbst Hilfe brauchen: Der Fall der Berufsunfähigkeit

Der Arztberuf ist für viele mehr als nur ein Job. Umso schwerer ist es, wenn gesundheitliche Probleme eine Weiterarbeit unmöglich machen. Doch was genau bedeutet Berufsunfähigkeit in diesem Kontext?

Definition und rechtliche Einordnung von Berufsunfähigkeit

Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn eine Person aufgrund von Krankheit, Unfall, Kräfteverfall oder anderer gesundheitlicher Einschränkungen ihren erlernten und ausgeübten Beruf nicht mehr in einem wesentlichen Umfang ausüben kann. In der Regel gilt eine Grenze von 50 Prozent: Wer weniger als die Hälfte seiner bisherigen Tätigkeiten noch leisten kann, gilt als berufsunfähig. Auch der Zeitraum spielt eine Rolle. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn eine Person voraussichtlich dauerhaft oder für mindestens sechs Monate nicht mehr in der Lage ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben, so wie er ohne gesundheitliche Einschränkungen ausgestaltet war.

Im privaten Versicherungsrecht wird nicht geprüft, ob andere Tätigkeiten ausgeübt werden könnten (sofern die Versicherung auf eine sogenannte abstrakte Verweisung verzichtet). Entscheidend ist die individuelle Tätigkeit, nicht der erlernte oder allgemein ausgeübte Beruf. In der gesetzlichen Rentenversicherung (zum Bespiel bei der Erwerbsminderungsrente) wird hingegen geprüft, ob noch irgendeine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist, unabhängig vom erlernten Beruf. Das ist deutlich strenger.

Bei Ärzten gestaltet sich die Bewertung oft komplizierter als in anderen Berufen. Während ein Chirurg mit einer schweren Handverletzung eindeutig nicht mehr operieren kann, ist die Situation bei psychischen Erkrankungen oder chronischen Schmerzen schwieriger zu beurteilen. Die Frage ist dann: Gibt es eine alternative ärztliche Tätigkeit, die noch ausgeübt werden kann? Durch ihr breites Fachwissen gibt es möglicherweise andere Bereiche, in denen der Beruf weiter ausgeübt werden könnte. Andererseits sind viele auf ihre praktische Arbeit angewiesen, denn ein Internist beispielsweise kann seine Patienten nicht aus der Ferne behandeln.

Warum Ärzte oft länger durchhalten – und welche Risiken das birgt

Ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, der Druck durch Kollegen und der eigene Anspruch an sich selbst sorgen dafür, dass viele Mediziner weit über ihre Grenzen hinaus arbeiten. Das Credo „Der Patient zuerst" ist in der Medizin tief verankert. Aber wer selbst nicht mehr leistungsfähig ist, kann auch anderen nicht mehr helfen. Viele Ärzte arbeiten dennoch trotz eigener Krankheit weiter, weil sie befürchten, als schwach oder nicht belastbar zu gelten. Doch das hat Folgen: Ein nicht behandeltes Burnout kann sich in eine schwere Depression verwandeln, chronische Schmerzen können sich verschlimmern, und das Risiko für ernsthafte gesundheitliche Schäden steigt.

Versicherungsschutz für Mediziner: Notwendigkeit oder Luxus?

Berufsunfähigkeit kann jeden treffen und doch wird sie oft verdrängt. Eine BU-Versicherung kann vorm finanziellen Absturz schützen und gehört bei Medizinern zu den wichtigsten Absicherungen. Denn anders als viele denken, erhalten Ärzte im Falle einer Berufsunfähigkeit oft nur geringe oder gar keine staatlichen Leistungen. Angestellte Ärzte, die über die Deutsche Rentenversicherung pflichtversichert sind, erhalten maximal Erwerbsminderungsrente – und das auch nur, wenn sie gar keinen Beruf mehr ausüben können.

Eine BU-Versicherung zahlt eine monatliche Rente, wenn die ärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann. Doch nicht jede Versicherung ist gleich. Entscheidend sind die Vertragsbedingungen. Einige wichtige Aspekte sind hierbei:

  • Verzicht auf abstrakte Verweisung: Manche Versicherungen verlangen, dass ein Arzt eine andere Tätigkeit annimmt, wenn er beispielsweise nicht mehr operieren kann. Gute Tarife verzichten auf diese sogenannte abstrakte Verweisung.
  • Dynamik und Nachversicherungsgarantien: Da sich das Einkommen von Ärzten über die Jahre steigert, sollte die Versicherung flexibel anpassbar sein.
  • Gesundheitsprüfung: Viele Mediziner haben bereits bei Vertragsabschluss gesundheitliche Einschränkungen. Eine sorgfältige Prüfung und gegebenenfalls eine anonyme Voranfrage bei verschiedenen Anbietern ist ratsam.

Ein Arzt gilt in vielen Versorgungswerken allerdings erst dann als berufsunfähig, wenn er gar keine ärztliche Tätigkeit mehr ausüben kann, also auch nicht beratend, administrativ oder im Rahmen der Lehre.

Je nach Karrierestufe gibt es Unterschiede in der Absicherung. Assistenzärzte stehen am Anfang ihrer Laufbahn und haben oft noch ein niedriges Einkommen. Eine frühzeitige BU-Versicherung ist jedoch sinnvoll, da junge und gesunde Antragsteller bessere Konditionen erhalten. Fachärzte haben meist ein höheres Einkommen und eine größere Verantwortung. Eine BU-Rente, die den Lebensstandard sichert, ist für sie essenziell. Praxisinhaber tragen zusätzlich finanzielle Verantwortung für ihre Praxis. Eine Berufsunfähigkeit kann hier nicht nur das eigene Einkommen, sondern auch die Existenz der Praxis gefährden. Manche Versicherer bieten spezielle Policen, die auch Fixkosten der Praxis abdecken.

Im Leistungsfall gibt es für Mediziner oft Hürden, denn die Versicherungen prüfen genau, ob wirklich eine Berufsunfähigkeit vorliegt. Besonders bei psychischen Erkrankungen ist der Nachweis kompliziert. Ein ärztliches Gutachten und detaillierte Dokumentation sind hier entscheidend. Eine gute Absicherung kann den Unterschied zwischen finanzieller Sicherheit und existenzieller Krise bedeuten.

Berufsunfähig – was nun? Perspektiven und Alternativen

Wenn ein Arzt oder eine Ärztin plötzlich nicht mehr arbeiten kann, ist das nicht nur ein tiefer Einschnitt in das Berufsleben. Die eigene Tätigkeit aufzugeben, bedeutet mehr als nur den Verlust des Einkommens, es bedeutet oft auch, den Verlust eines Lebensinhalts. Doch auch nach der Diagnose „berufsunfähig" gibt es Wege, wie es weitergehen kann:

  • Teilweise Weiterarbeit: Nicht jeder ist vollständig berufsunfähig. In manchen Fällen ist es möglich, bestimmte Aufgaben weiter auszuüben – etwa administrative Tätigkeiten oder Beratung.
  • Reduzierte Arbeitszeit: Ein vollständiger Ausstieg ist nicht immer notwendig. In Absprache mit Arbeitgebern oder in einer eigenen Praxis können Arbeitszeiten angepasst und Belastungen reduziert werden.
  • Berufliche Neuorientierung: Für einige kann ein beruflicher Neustart, sei es innerhalb des Gesundheitswesens oder in einem ganz anderen Bereich, eine neue Chance bedeuten.

Die wichtigste Voraussetzung: Zeit zur Genesung und sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Viele Ärzte erleben nach dem Ende ihrer aktiven Laufbahn zunächst einen tiefen Einschnitt. Die Verarbeitung dieser Veränderung braucht Raum, Unterstützung und Perspektiven.

Umschulungen, Gutachtertätigkeiten, Lehrtätigkeiten

Trotz gesundheitlicher Einschränkungen verfügen berufsunfähige Ärzte über wertvolles Wissen und Erfahrungen. Diese Kompetenzen können in neuen Berufsfeldern zum Einsatz kommen. Wer körperlich oder psychisch nicht mehr in der Lage ist, praktizierend tätig zu sein, kann sich in verwandte Bereiche einarbeiten, wie zum Beispiel in den Medizinjournalismus, das Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen oder in die medizinische Informatik. Ärzte, die nicht mehr im Klinikalltag bestehen können, können für Versicherungen oder Gerichte als medizinische Gutachter tätig sein. Die Aus- und Weiterbildung von medizinischem Nachwuchs eröffnet ebenfalls neue Wege. Wer nicht mehr operieren kann, kann dennoch sein Wissen an Studierende oder Assistenzärzte weitergeben.

Soziale und finanzielle Folgen

Der Verlust der Berufsfähigkeit hat weitreichende soziale und finanzielle Auswirkungen. Neben dem Einkommensverlust leiden viele Mediziner auch unter einem Identitätsverlust. Wer sich über Jahre hinweg mit seiner Rolle als Arzt oder Ärztin identifiziert hat, muss sich neu finden. Auch im sozialen Umfeld ist die Veränderung spürbar. Die plötzliche Distanz zum früheren Kollegenkreis, Unsicherheit über die eigene Zukunft und die Angst vor dem gesellschaftlichen Stigma „krank zu sein" können belastend sein.

Finanziell hängt vieles davon ab, ob und wie gut eine BU-Versicherung abgeschlossen wurde. Ohne entsprechende Absicherung drohen Einkommensverluste, die besonders bei selbstständigen Ärzten existenzbedrohend sein können. Staatliche Hilfen reichen selten aus, um den gewohnten Lebensstandard zu halten.

brc/news.de

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