Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg war erst zwölf Jahre alt, als sie starb - mutmaßlich getötet von zwei Mädchen, die mit zwölf und 13 Jahren selbst noch Kinder sind. Warum begingen die Heranwachsenden eine so grausame Tat? Und welche Konsequenzen drohen den noch strafunmündigen Mädchen?
Es ist eine Tat, die fassungslos macht: Die zwölfjährige Luise aus Freudenberg in Nordrhein-Westfalen ist tot, die Schülerin starb in einem Waldstück eines gewaltsamen Todes und verblutete, nachdem ihr mehrere Messerstiche zugefügt worden waren. Die mutmaßlichen Täterinnen sind selbst noch Kinder: Zwölf und 13 Jahre alt sind die beiden Mädchen, die Luise getötet haben sollen.
Luise (12) aus Freudenberg getötet: Mutmaßliche Täterinnen sind mit 12 und 13 Jahren strafunmündig
Die Justiz stößt in dem Fall an ihre Grenzen, denn die Täterinnen sind noch zu jung für eine Strafe. Kinder unter 14 Jahren gelten als strafunmündig und sind grundsätzlich schuldunfähig - selbst bei einem so schlimmen Verbrechen wie Mord oder Totschlag. Denn es wird davon ausgegangen, dass sie die Folgen ihres Handelns noch nicht ausreichend überblicken.
Welche Strafe droht den minderjährigen Täterinnen im Fall Luise?
Am Ende der Ermittlungen gibt die Staatsanwaltschaft den Fall an die Jungendbehörden weiter. Welche Maßnahmen dort ergriffen werden, hängt Experten zufolge stark vom Einzelfall ab. Denkbar sei, dass ein Kind eine psychiatrische Behandlung bekommt, unter Umständen auch in einer geschlossenen Einrichtung. Möglich ist auch, dass die Eltern Hilfe bei der Erziehung bekommen - oder dass das Kind eine Zeit lang in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht wird. Die rechtlichen Hürden für eine Trennung von den Eltern gegen deren Willen sind aber hoch. Grundsätzlich gilt im Falle von Delinquenten, die jünger als 14 Jahre sind: Unterstützung geht vor Bestrafung.
So viele Gewalttaten gehen in Deutschland auf das Konto von Kindern unter 14 Jahren
Dass Kinder unter 14 Jahren Gewalttaten wie schwere Körperverletzung, sexuellen Missbrauch, Totschlag oder Mord begehen, kommt eher selten vor. 2021 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahr bundesweit angestiegen (7.477 zu 7.103). Verglichen mit 2019 gab es 2021 jedoch einen Rückgang um rund zehn Prozent.
Bei den Delikten gegen das Leben sind die absoluten Zahlen äußerst niedrig: 2021 gab es in diesem Bereich bundesweit 19 tatverdächtige Kinder, darunter vier Mädchen. Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr stark, in den vergangenen 20 Jahren lagen sie jährlich zwischen vier und 21 Tatverdächtigen. Zur Einordnung: Laut Statistischem Bundesamt lebten in diesem Jahr rund 8,5 Millionen Kinder unter 14 Jahren in Deutschland.
Strafmündigkeit international: Wie unterscheidet sich das deutsche Strafrecht von dem in anderen Ländern?
In Deutschland sind Kinder unter 14 Jahren dem Gesetz zufolge strafunmündig. Ein Vergleich zeigt: Auch in den meisten anderen europäischen Staaten würden Kinder in dem Alter nicht strafrechtlich verfolgt. Teils ist das Alter für die Strafmündigkeit höher. Es gibt aber auch Länder, in denen Kinder vor Gerichte gestellt werden.
Im deutschen Strafrecht kann man auch bei schweren Delikten nur bestraft werden, wenn man schuldhaft gehandelt hat - und dazu braucht es Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, die Kinder in der Regel noch nicht haben. Das heißt aber nicht, dass eine Tat keine Konsequenzen hätte. Das Familiengericht oder Stellen wie das Jugendamt können benachrichtigt werden. Hier geht es jedoch um Unterstützung - nicht um Strafe.
In der Weimarer Republik wurde die Strafbarkeitsgrenze 1923 von zwölf auf 14 Jahre angehoben. Die Nationalsozialisten senkten die Grenze 1943 zwischenzeitlich wieder auf zwölf Jahre. Das wurde in der Bundesrepublik 1953 wieder rückgängig gemacht. Auch in der DDR galt von 1952 an die Grenze von 14 Jahren.
Deshalb liegt die Altersgrenze für Strafmündigkeit in Deutschland bei 14 Jahren
Der Gesetzgeber habe evidenzbasiert entschieden, die Grenze bei 14 Jahren zu ziehen, sagt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt. Nach allem, was man aus anderen Wissenschaften wie Soziologie oder Erziehungswissenschaften über das Aufwachsen und den Entwicklungsstand von Kindern wisse, seien Menschen bis zu dem Alter in der Regel nicht einsichts- und steuerungsfähig und somit nicht schuldfähig. Die Fachwelt ist sich demnach weitgehend einig, dass 14 die richtige Altersgrenze ist.
"Es kann natürlich sein, dass das im Einzelfall anders ist", sagt Singelnstein. "Der Gesetzgeber hat sich aber - aus meiner Sicht zurecht - für eine generalisierende und nicht für eine individualisierende Lösung im Gesetz entschieden." Ansonsten müsse man jeden Einzelfall untersuchen. Die allermeisten Kinder wären mit stigmatisierenden Verfahren konfrontiert, obwohl am Ende rauskäme, dass die Schuldfähigkeit nicht gegeben sei.
Diese Länder verurteilten schon Zehnjährige für Verbrechen
Wie aus einer Aufstellung des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags aus dem Jahr 2019 hervorgeht, beginnt in mehr als der Hälfte der EU-Staaten die Strafmündigkeit mit 14 oder 15 Jahren. Dazu gehören Länder wie Schweden, Finnland und Dänemark (15 Jahre) oder Kroatien, Italien und Spanien (14). Auch in Österreich sind Jugendliche unter 14 Jahren nicht deliktsfähig und können nicht verurteilt werden. Ihnen drohen allenfalls Erziehungsmaßnahmen.
In Portugal beginnt die Strafmündigkeit erst ab 16 Jahren. In Polen ist man ab 17 strafmündig, für ausgewählte Straftaten wie Mord oder Entführung können aber auch 15-Jährige bestraft werden. In Frankreich werden Kinder unter 13 Jahren als nicht urteilsfähig gewertet. Auch wenn diese Einschätzung im Einzelfall aufgehoben werden kann, kann ein Jugendrichter maximal Erziehungsmaßnahmen verhängen.
In den Niederlanden liegt die Altersgrenze dagegen bei zwölf Jahren. Auch Ungarn änderte das Alter der Strafmündigkeit 2013 von 14 auf zwölf. In Irland liegt die Altersgrenze bei zwölf, bei schweren Taten gibt es eine Ausnahme für Kinder zwischen zehn und elf.
In der Schweiz sind Kinder schon ab dem 10. Geburtstag strafmündig. Für sie gilt das Jugendstrafrecht, das zwar für ältere auch Strafen, aber vor allem Schutzmaßnahmen vorsieht. Erst ab dem 16. Geburtstag können Jugendliche eine Freiheitsstrafe bekommen.
Im Vereinigten Königreich können bereits Kinder zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt werden. Die Strafmündigkeit beginnt in England, Wales und Nordirland bei zehn Jahren, in Schottland bei zwölf.
In den USA ist die Regelung von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. In knapp der Hälfte gibt es überhaupt kein Mindestalter, ab dem Kinder vor Gericht gestellt werden können. In vielen Staaten liegt die Altersgrenze zwischen zehn und dreizehn Jahren. Teils gilt die Grenze aber nicht für Straftaten wie Mord.
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loc/news.de/dpa
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