Das plötzliche Ende der Null-Covid-Strategie fliegt China jetzt mit voller Wucht um die Ohren: Die Kliniken sind rappelvoll, Krematorien überlastet und Medikamente ausverkauft. Welche Folgen hat Chinas Corona-Explosion für den Westen?
Von Null-Covid zu planloser Lockerung: Seit der Explosion der Corona-Fälle und dem abrupten Ende der rigorosen Null-Toleranz-Strategie in China Anfang Dezember 2022 verbreitet sich das Virus mit hoher Geschwindigkeit im Milliardenvolk. Vielerorts sind die Krankenhäuser voll. In Peking kommen die Krematorien mit der Einäscherung der Toten nicht mehr nach. Nach Schätzungen muss mit Hunderttausenden Toten gerechnet werden. Doch die Regierung möchte am liebsten nur noch von einer harmlosen "Corona-Erkältung" sprechen.
Hunderttausende Tote befürchtet! Corona-Welle in China explodiert nach Lockerung von Pandemie-Regeln
Der Sprung ist gewaltig: Mussten Infizierte Anfang Dezember noch in Krankenhäuser, erlauben ihnen mehrere Metropolen heute sogar schon die Rückkehr zum Arbeitsplatz. Voraussetzung ist nur, dass sie keine oder nur leichte Symptome zeigen. So etwa geschehen in Guiyang in Südwestchina: Dort erging ein solcher Ruf zurück zur Arbeit an Beschäftigte von Supermärkten, medizinischen Einrichtungen, Lieferdiensten und Behörden. Das Parteiblatt "Global Times" sprach von einer "besseren Balance zwischen epidemischer Vorbeugung und sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung".
Null-Covid-Strategie ist Geschichte: China lockert sich in explosive Corona-Welle hinein
Nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Zwangsquarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung hatte das bevölkerungsreichste Land der Erde am 7. Dezember seine harte Null-Toleranz-Politik plötzlich aufgehoben. Die Kehrtwende wurde damit begründet, dass die Infektionen mit den neuen Omikron-Varianten nicht mehr so schwer verliefen. Doch sah die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Grund vor allem darin, dass die Lage wegen vieler Proteste außer Kontrolle geraten war und die harten Maßnahmen nicht mehr durchgehalten werden konnten.
Impfschutz bei Älteren mangelhaft - Corona-Infektionen legen chinesische Krankenhäuser lahm
Die Wende traf die Krankenhäuser unvorbereitet, weil es bis dahin "keine Strategie" für eine Lockerung gab, wie ein europäischer Gesundheitsexperte schilderte. Die Impfkampagne war nur unzureichend vorangetrieben worden. Viele der 260 Millionen älteren Menschen über 60 Jahre sind unzureichend geschützt: Nur 70 Prozent der mehr als 60-Jährigen und 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren haben eine Booster-Spritze bekommen. Moderne ausländische Impfstoffe sind aus politischen Gründen nicht zugelassen. Bei vielen Chinesen liegt die letzte Impfung weit zurück, so dass sie die Krankheit voll trifft.
Statt Krankenhäuser auszubauen und mehr Intensivbetten zu schaffen, waren vielmehr Quarantänelager für Zehntausende gebaut worden. Auch waren keine Vorräte an Medikamenten angelegt worden. Fieber- und Erkältungsmedizin oder Schnelltests waren sofort nach der Lockerung ausverkauft. Auch nach zwei Wochen fehlt der Nachschub: "Wir Chinesen sind zu viele", erklärt eine Apothekerin ihre leeren Regale.
Halb Peking an Sars-CoV-2 erkrankt - China ächzt unter Wegfall von No-Covid-Strategie
Offizielle Zahlen zur Infektionslage gibt es nicht mehr, aber allein von den 21 Millionen Pekingern ist nach groben Schätzungen mehr als jeder Zweite erkrankt. Viele Restaurants, Unternehmen, Geschäfte, Banken haben geschlossen. Erst wochenlanger Lockdown, jetzt kranke Mitarbeiter: Viele Läden und Restaurants haben wirtschaftlich nicht überlebt, wie verklebte Fensterfronten in Einkaufszentren zeigen.
Lange hatte die chinesische Führung ihre Null-Covid-Strategie als Zeichen für die systemische Überlegenheit des kommunistischen Systems gegenüber westlichen Gesellschaften gepriesen. Eindringlich wurde das Volk vor den Gefahren des Corona-Virus und der Folgeschäden gewarnt. Doch jetzt, wo die Maßnahmen nicht mehr greifen und der Preis für die zweitgrößte Volkswirtschaft steigt, wird das Risiko und die Schwere der Erkrankung mit ähnlicher Vehemenz heruntergespielt und die bisherige Politik als "völlig korrekt" verteidigt.
Die staatliche Propaganda wird nicht müde, davon zu sprechen, dass die Kehrtwende oder vielmehr "Optimierung", wie es beschönigend heißt, "zum richtigen Zeitpunkt" gekommen sei - auch ungeachtet der winterlichen Erkältungszeit. Die Pandemie sei jetzt "kontrollierbar", wird beteuert. "Eine Rückkehr zu voller Normalität kann im Frühjahr erwartet werden", will die "China Daily" Hoffnung machen.
Experten prognostizieren gewaltige Corona-Wellen in China: 90 Prozent der Bevölkerung werden erkranken
Vorher werden aber noch drei Corona-Wellen durch das Land rollen, wie Experten vorhersagen. Die erste wird bis Mitte Januar städtische Gebiete betreffen. Die zweite wird bis Mitte Februar folgen, wenn Hunderte Millionen Menschen zum chinesischen Neujahrsfest am 22. Januar traditionell in ihre Heimatdörfer reisen werden. Mit der Rückkehr der Reisenden ist dann die dritte Infektionswelle bis Mitte März zu erwarten. Am Ende werden sich 80 bis 90 Prozent der 1,4 Milliarden Chinesen angesteckt haben, wird vorhergesagt.
⚠️THERMONUCLEAR BAD—Hospitals completely overwhelmed in China ever since restrictions dropped. Epidemiologist estimate >60% of ???????? & 10% of Earth’s population likely infected over next 90 days. Deaths likely in the millions—plural. This is just the start—????pic.twitter.com/VAEvF0ALg9
— Eric Feigl-Ding (@DrEricDing) December 19, 2022
Lieferketten in Gefahr: Wie schwer trifft das chinesische Corona-Chaos die Weltwirtschaft?
Auch wenn die Krankheit mit Omikron nicht mehr so schwer verläuft, drohen China nach mehreren Studien zwischen einigen Hunderttausend bis hin zu fast einer Million Tote. Die Höhe hängt davon ab, wie schnell mit Booster-Präparaten geimpft wird, Medikamente zur Behandlung eingesetzt werden, wie viel Maske getragen wird oder weiter öffentliche und soziale Gesundheitsmaßnahmen ergriffen werden.
Die düstere Prognose sollte jedoch nicht nur in China, sondern rund um den Globus die Alarmglocken schrillen lassen: Durch die zu befürchtenden immensen Infektionswellen droht ein flächendeckender Ausfall von Arbeitskräften im Reich der aufgehenden Sonne, was sich auf die Versorgung von fernöstlichen Konsumgütern für den Westen auswirken dürfte.
Krematorien kommen mit Einäscherung von Corona-Leichen nicht mehr nach trotz 24-Stunden-Betrieb
Krematorien in Peking haben heute schon lange Wartezeiten. "Seit der Covid-Öffnung sind wir mit Arbeit überlastet", schildert eine Mitarbeiterin der Dongjiao-Einäscherunganstalt dem "Wall Street Journal". "Im Moment sind es 24 Stunden am Tag. Wir kommen nicht nach." Viele Covid-Opfer werden in der Statistik aber gar nicht gezählt, weil die Todesursache vielmehr an Vorerkrankungen festgemacht wird. Nur wer nach einer Infektion an Lungenentzündung oder Versagen der Atemwege gestorben ist, wird nach einer sehr engen, neuen Definition auch als Corona-Toter gezählt.
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loc/news.de/dpa