Das massive Fischsterben in der Oder wirft weiter Fragen auf: Wie verendeten die Fische wirklich? Es gibt mehrere Theorien, wie es zu der Umweltkatastrophe kommen konnte. Sind Abwässer oder der Hitze-Sommer schuld?
Das Fischsterben in der Oder ist eine der schwersten Umweltkatastrophen der letzten Jahre. Stromabwärts zeigte sich ein Bild des Schreckens: Tote Fischkadaver trieben im Wasser. Nach Schätzungen sind dort bereits rund 36 Tonnen verendete Fische gefunden worden, wie das Bundesumweltministerium am Mittwoch unter Berufung auf Helfer und Landkreise in Brandenburg mitteilte. Allein in Polen hatte die Feuerwehr nach eigenen Angaben bis Dienstag fast 100 Tonnen tote Fische aus dem Grenzfluss und einem kleineren Fluss geborgen. Die Ursache ist weiterhin unklar. Die Suche nach dem Grund für das massenhafte Fischsterben wirft einige Theorien auf. Was steckt dahinter? Eine Spurensuche.
Umweltkatastrophe in der Oder: Fischsterben nimmt zu
In der polnischen Stadt Oppeln (Opele), die südlich von Breslau liegt, schwammen Ende Juli verschiedene Fischarten mit dem Bauch nach oben flussabwärts. Behörden versuchten herauszufinden, was die Tiere verenden ließ. In den Wasserproben fanden sie die Ursache nicht. Erst am 9. August wurde der Umweltskandal auch in Deutschland von Binnenschiffern oder Anglern bemerkt. Die Naturkatastrophe erreichte sogar das Stettiner Haff an der Ostsee. Die Oder mündet in das Stettiner Haff, durch das die deutsch-polnische Grenze verläuft und das mit der Ostsee vor Usedom verbunden ist. Das Mündungsgebiet ist weit verzweigt und das Haff mit rund 900 Quadratkilometern etwa doppelt so groß wie der Bodensee. Dort schwammen bislang aber weniger tote Fische, dennoch ist die Sorge vor Auswirkungen groß. Auch hierzulande wird deshalb akribisch nach der Ursache gesucht.
Fischsterben in der Oder: Führten giftige Abwässer mit Quecksilber zum Massensterben?
Zunächst ging man davon aus, dass die andauernde Hitze einen Sauerstoffmangel in der Oder begünstigte und so die Fische sterben mussten. Danach wurde eine Papierfabrik in Olwa beschuldigt, giftige Abwässer in die Oder geleitet zu haben, nachdem Quecksilber-Ablagerungen gefunden wurden. Der Chef der Fabrik sagte gegenüber "Bild" ganz deutlich: "Wir haben nichts damit zu tun." Denn flussabwärts wurden an einer Schleuse tote Fische entdeckt. Das bedeutet: Die Substanzen hätten gegen die Strömung fließen müssen.
"Eventuell ist ein Stoff schon früher ins Wasser gelangt, aber jetzt ist seine Konzentration hoch genug, um giftig zu sein", vermutet Umweltexperte Johannes Giebermann im Gespräch mit "Bild". Seiner Meinung nach könnte die Hitze die unbekannte Substanz erhöht haben.
Gift-Alge oder eingeleitetes Salz: Suche nach Ursache für Oder-Vergiftung läuft weiter
Auf der Suche nach der Ursache für die rätselhafte Umweltkatastrophe hatten Forscher auch am Mittwoch weiter eine giftige Algenart im Blick, die sich im Fluss rasant entwickelt hat. Mittlerweile sei die Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum identifiziert worden, sagte der Gewässerökologe Christian Wolter der Deutschen Presse-Agentur. Unklar sei nach wie vor, ob das Toxin der Alge der Grund für das Fischsterben in der Oder sei.
Ob sie in diesem Fall Giftstoffe produziert hat, müsse noch nachgewiesen werden, betonte der Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er sprach von einer massiven Algenblüte mit 200 Mikrogramm pro Liter und mehr als 100 000 Zellen pro Milliliter Wasser. Für den Menschen sei das Toxin der Alge aber ungefährlich. Dass diese Algenart dafür verantwortlich sei, widerspricht sich durch den hohen Salzgehalt. "Dagegen spricht der ungewöhnlich hohe Salzanteil, der in der Oder gefunden wurde. Dies wird eigentlich nicht durch Algen verursacht", erklärt der Biologe und promovierte Toxikologe Dr. Carsten Schleh auf Twitter. Polnische Experten glauben, dass aufsteigendes Grubenwasser oder eingeleitetes Industriewasser den hohen Salzgehalt begünstigt haben könnte. Darüber berichtete die "Gazeta Wyborzca".
(Naturkatastrophe an der #Oder - Update - 1/10): Inzwischen sind erste tiefergehende Analysen auf Schadstoffe in den Laboren gelaufen. Es konnte bisher kein einzelner Giftstoff gefunden werden, der für das massive Fischsterben verantwortlich sein kann. #OderVergiftung
— Dr. Carsten Schleh (@Schleh_Tox) August 17, 2022
Doch die Suche nach dem Stoff erweist sich als mühselige Angelegenheit. Aufgrund verschiedener Faktoren könnten die Fische verendet sein. "Es ist zu befürchten, dass die Ursache nie gefunden wird", so Giebermann.
Fischsterben nicht natürlich? Brandenburger Landesregierung hegt Zweifel
Die Brandenburger Landesregierung geht nach wie vor davon aus, dass das Fischsterben nicht nur natürliche Ursachen hat. "Das können wir getrost ausschließen, sonst würden sich die hohen pH-Werte und der erhöhte Sauerstoffgehalt und vieles andere mehr nicht erklären", sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in Beelitz. Woidke erneuerte zugleich seine Kritik an der Kommunikation mit der polnischen Seite. "Es ist Tatsache, dass sechs Tage, bevor bei uns Fische gestorben sind, Fische in Polen gestorben sind - und wir wurden nicht informiert." Daher sei er "tief enttäuscht" von der polnischen Regierung. Polen wäre aufgrund internationaler Verträge verpflichtet gewesen, frühzeitig zu informieren.
Nicht nur in Deutschland beklagten Politiker die schlechte Informationspolitik polnischer Behörden. Auch im Land selbst wächst der Unmut über das schlechte Krisenmanagement der PiS-Regierung. Die Opposition, Naturschützer und Bürger warfen ihr Passivität und Arroganz der Macht vor.
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bos/rad/news.de/dpa