Von Sabine Dobel, dpa - Uhr

Ein Jahr Coronavirus in Deutschland: 365 Tage Ausnahmezustand! Wie hat uns die Pandemie verändert?

Der erste in Deutschland registrierte Coronavirus-Fall wurde am 27. Januar 2020 publik - seitdem hat die Pandemie die Bundesrepublik von Grund auf verändert. Ein Rückblick auf 365 Tage im Ausnahmezustand.

Der erste Fall einer Coronavirus-Infektion in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 bestätigt - seitdem sind mehr als 50.000 Menschen durch Covid-19 in der Bundesrepublik gestorben. (Foto) Suche
Der erste Fall einer Coronavirus-Infektion in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 bestätigt - seitdem sind mehr als 50.000 Menschen durch Covid-19 in der Bundesrepublik gestorben. Bild: picture alliance/dpa/Europa Press | Niaid

Diese Szenen liegen exakt ein Jahr zurück: Mit ihren Laptops unter dem Arm und ein paar persönlichen Dingen verließen die Menschen frühmorgens eilig das Gebäude: Homeoffice. Die rund 1.200 Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto in Stockdorf bei München folgten vor einem Jahr dem dringlichen Aufruf der Firmenleitung. Spätnachts am 27. Januar 2020 hatte das bayerische Gesundheitsministerium den bundesweit ersten Corona-Fall gemeldet - ein Webasto-Mitarbeiter.

Erster Coronavirus-Fall in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 bestätigt

Keine 48 Stunden später schloss das Unternehmen die Tore - um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, das noch nicht den wissenschaftlichen Namen Sars-CoV-2 trug. Die Rede war damals von einer neuartigen Lungenkrankheit - der Name Covid-19 kam später.

"Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Empfehlungen von Behörden oder Wissenschaftlern. Wir haben die Lage in der Task Force diskutiert", sagt Firmenchef Holger Engelmann im Rückblick. "Wir benötigten schnell eine effektive Maßnahme, und da habe ich gesagt: "Das machen wir jetzt einfach, wir schließen ab.""

Angst vor Sars-CoV-2: Erster Covid-19-Fall in Stockdorf bei Webasto registriert, während anderswo Après-Ski gefeiert wurde

Die Panik vor dem neuen Virus blieb zunächst lokal. Während in Stockdorf Menschen die Apotheken stürmten, wo Mund-Nasen-Schutz und Desinfektionsmittel binnen eines Tages ausverkauft waren, feierten andere in angesagten Skiorten oder anderswo wie eh und je. Viele hielten das Vorgehen von Webasto und den Trubel um die ersten Corona-Fälle für völlig übertrieben. Die Leute benähmen sich, als sei die Pest ausgebrochen, schimpfte ein Hausarzt in Gauting damals.

Ein Jahr Coronavirus in Deutschland: Bislang mehr als 50.000 Todesopfer durch Covid-19

Seitdem haben sich weltweit etwa 100 Millionen Menschen infiziert. Mehr als zwei Millionen sind gestorben, deutschlandweit gibt es mehr als 50.000 Tote. Homeoffice ist weltweit vielerorts fast Normalität. In zahlreichen Ländern sind Schulen und Läden geschlossen. Es gibt Ausgangssperren und abgeriegelte Grenzen. Die Digitalisierung erfährt einen immensen Schub - und in nie gekanntem Rekordtempo sind Impfstoffe auf den Markt gekommen.

Als vor einem Jahr die ersten Patienten aus Stockdorf in der München Klinik Schwabing eintrafen, sah es zunächst fast nach Routine aus. Schließlich sei man fast jedes Jahr mit neuen Infektionskrankheiten konfrontiert, etwa Sars, Mers, Ehec und Ebola, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der dortigen Klinik für Infektiologie, wo die ersten Corona-Patienten fast symptomfrei in Isolierzimmern landeten.

Erste Coronapatienten in Deutschland wurden als Attraktion begafft

Vor allem verwunderten die Mediziner damals die Geschmacks- und Geruchsprobleme. "Wir hatten den Patienten Wunschkost offeriert. Und wir hatten ihnen dann auch ein gutes bayerisches Bier ins Zimmer gestellt. Aber es war so, dass sie sagten: Sie schmecken das gar nicht", berichtet Wendtner. "Es gab einen Patienten, der hatte ständig Vanille im Raum gerochen, obwohl es gar nicht nach Vanille roch."

Der Ausbruch bei Webasto wurde bestaunt - ein spektakuläres Ereignis. Die Virologin Ulrike Protzer, die eine infizierte Familie eines Webasto-Kollegen in Traunstein mitbetreute, berichtet, die Patienten hätten vor Neugierigen geschützt werden müssen und seien bis in die Klinik verfolgt worden.

Mini-Lockdown bei Webasto dämmte Ausbreitung im Kleinen ein - doch Corona wütete weiter

Zwei Wochen blieb Webasto geschlossen. Mit diesem konsequenten "Lockdown" stoppte das Unternehmen erfolgreich die weitere Ausbreitung des Virus. Bei 16 Webasto-Kollegen und Angehörigen wurde das Virus nachgewiesen. Kaum jemand rechnete damals damit, bald selbst von den Auswirkungen des Virus betroffen zu sein.

Wendtners damalige Einschätzung zu den Patienten mit fast durchweg leichten Symptomen: sehr wahrscheinlich nicht schlimmer als die Influenza. Die Sicht habe sich geändert, als Patienten aus Ischgl kamen. "Mit der Ischgl-Welle haben wir gesehen, dass das hier doch ein anderes Infektionsgeschehen ist. Mit Webasto allein hätte niemand geglaubt, dass es eine Pandemie dieses Ausmaßes geben wird, dass es solche Einschränkungen geben muss, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren." Heute sagt Wendtner: "Jeder, der Covid-19 durchgemacht hat, ist ein warnendes Beispiel für Impfgegner."

Langzeitfolgen von Coronavirus-Infektion werden Patienten wohl lebenslang begleiten

Viele Patienten auch mit mildem Verlauf leiden lange - über Monate. Long Covid nennen manche das Phänomen. Das Virus greift neben der Lunge auch andere Organe und Nervenbahnen an. Manche erleiden Herzinfarkte, Schlaganfälle, Thrombosen oder Nierenversagen. Sehr viele sind lange nach der Genesung erschöpft und unkonzentriert. Und mancher Patient wird wohl nie wieder ganz gesund werden.

Unklar bleibt bis heute oft, warum die Krankheit manche schwer trifft und andere kaum Symptome haben. Covid-19 "ist ein bisschen wie ein Chamäleon", sagt Protzer, die Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München und an der Technischen Universität München ist. "Man kann kaum vorhersagen, wie der Verlauf sein wird und ob es Spätfolgen gibt. Das ist individuell sehr unterschiedlich."

WHO sieht "Liht am Ende des Tunnels": Wann ist die Pandemie ausgestanden?

Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), machte zum Jahreswechsel Hoffnung auf ein Ende der Pandemie: "Es ist Licht am Ende des Tunnels." Der Start von Impfungen bringt Zuversicht. Aber wahrscheinlich ansteckendere Mutationen des Virus aus Großbritannien und Südafrika schüren neue Ängste. Die Furcht ist groß, dass daraus erneut eine Welle wird, dass die Mutation der Pandemie einen neuen Schub versetzt.

Die ersten Corona-Fälle waren am 31. Dezember 2019 aus Chinas Millionenmetropole Wuhan gemeldet worden. Eine chinesische Webasto-Kollegin war es auch, die das Virus nach Stockdorf brachte.

Lockdown gegen das Coronavirus: Was kann Deutschland aus den radikalen Maßnahmen Chinas lernen?

Das Ursprungsland China scheint inzwischen weitgehend Corona-frei - mit radikalen Maßnahmen. "Bei uns würde sich niemand trauen, eine Mehrmillionenstadt wegen 100 Fällen dichtzumachen. Und bei uns wird auch kein Mensch persönlich nachverfolgt", sagt die Virologin Protzer. Eine Ausbreitung in einer freien Gesellschaft sei deutlich schwerer zu verhindern. "Wenn man die Freiheit und Mobilität erhalten will, und das wollen wir ja, muss man mit dem Risiko leben."

Man habe gelernt: "Ich glaube, dass wir bei der nächsten Pandemie schneller und konsequenter sein werden", sagt Protzer. Wann diese komme, sei "Kaffeesatzleserei". "Früher ist man davon ausgegangen, dass es alle 100 Jahre eine Pandemie gibt." Mit der Globalisierung und dem Anwachsen der Weltbevölkerung könne es aber viel schneller gehen.

Ein Jahr Corona in Deutschland - ein Blick zurück

Vor einem Jahr ist die erste Corona-Infektion in Deutschland bekannt geworden. Mittlerweile wurden mehr als zwei Millionen Fälle registriert. Ein Rückblick:

27. Januar 2020: Erste bestätigte Infektion in Deutschland. Zwei Wochen später ist der Mann aus Bayern wieder gesund.

25./26. Februar 2020: Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen melden erste nachgewiesene Fälle. Weitere Bundesländer folgen, am 10. März hat Sachsen-Anhalt als letztes Land seinen ersten Fall.

9. März 2020: In NRW gibt es die ersten Todesfälle innerhalb Deutschlands. Die Zahl der Infektionen steigt bundesweit auf mehr als 1.000.

12./13. März 2020: Immer mehr Theater und Konzerthäuser stellen den Spielbetrieb ein. Die Fußball-Bundesliga pausiert.

16. März 2020: An den Grenzen zu Frankreich, Österreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz gibt es Kontrollen und Einreiseverbote. In den meisten Bundesländern sind Schulen und Kitas geschlossen.

17. März 2020: Mehrere Konzerne kündigen an, ihre Fabriken vorübergehend zu schließen.

22. März 2020: Verbot von Ansammlungen von mehr als zwei Menschen. Ausgenommen sind Angehörige, die im eigenen Haushalt leben. Cafés, Kneipen, Restaurants, aber auch Friseure zum Beispiel schließen.

15. April 2020: Auf eine schrittweise Aufnahme des Schulbetriebs ab 4. Mai verständigen sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs.

20. April 2020: Geschäfte unter 800 Quadratmetern Fläche dürfen wieder öffnen. Als erstes Bundesland führt Sachsen die Maskenpflicht für ÖPNV und Einzelhandel ein. Alle anderen ziehen nach.

22. April 2020: Für Firmen, Arbeitnehmer und Gastronomie werden milliardenschwere Hilfen beschlossen.

6. Mai 2020: Die Länder bekommen weitgehende Verantwortung für die Lockerung von Beschränkungen - etwa für Hotels, Gastronomie, Fahrschulen, Schwimmbäder und Fitnessstudios.

16. Mai 2020: Sachsen-Anhalt registriert als erstes Bundesland seit Ausbruch der Pandemie keine Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag. Die Fußball-Bundesliga legt wieder los - ohne Fans in den Stadien.

16. Juni 2020: Im Kampf gegen das Virus geht eine staatliche Warn-App an den Start. Sie soll dabei helfen, Infektionen nachzuverfolgen.

29. August 2020: Etwa 40.000 Menschen protestieren in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Demonstranten durchbrechen die Absperrung vor dem Reichstag und stürmen auf die Treppe.

30. September 2020: Angesichts wieder steigender Infektionszahlen fordert die Kanzlerin zum Durchhalten auf. "Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erreicht haben", sagt Merkel im Bundestag.

7./8. Oktober 2020: Die Bundesländer beschließen ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus inländischen Risikogebieten.

22. Oktober 2020: Die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Tages hat erstmals den Wert von 10.000 überschritten. Das Robert Koch-Institut (RKI) macht vor allem private Treffen dafür verantwortlich.

2. November 2020: Ein Teil-Lockdown mit Einschränkungen bei Kontakten und Freizeitaktivitäten soll die zweite Infektionswelle brechen.

9. November 2020: Als erste westliche Hersteller veröffentlichen Biontech und der US-Pharmakonzern Pfizer vielversprechende Ergebnisse einer für die Zulassung ihres Corona-Impfstoffs entscheidenden Studie.

18. November 2020: Unter dem Protest Tausender in Berlin machen Bundestag und Bundesrat den Weg für Änderungen im Infektionsschutzgesetz frei.

25. November 2020: Die Beschränkungen für persönliche Kontakte werden für weitere Wochen verschärft. Darauf verständigen sich Bund und Länder.

27. November 2020: Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen in Deutschland hat nach RKI-Daten die Millionenmarke überschritten.

2. Dezember 2020: Als erstes Land der Welt erteilt Großbritannien dem Impfstoff von Biontech und Pfizer eine Notfallzulassung und startet seine Impfkampagne wenige Tage später.

16. Dezember 2020: Der seit November geltende Teil-Lockdown reicht nicht aus. Der Einzelhandel muss mit wenigen Ausnahmen schließen.

18. Dezember 2020: Die Zahl der binnen eines Tages gemeldeten Infektionen in Deutschland ist erstmals auf mehr als 30.000 gestiegen.

21. Dezember 2020: Zum Schutz vor einer infektiöseren Virus-Variante dürfen keine Passagierflugzeuge aus Großbritannien mehr in Deutschland landen. Der Corona-Impfstoff von Biontech erhält von Brüssel die bedingte Marktzulassung. Somit können die Impfungen in der EU beginnen. Am 6. Januar wird auch der von Moderna zugelassen.

24. Dezember 2020: Heiligabend im Zeichen der Pandemie. Familienfeiern sollen klein bleiben, Christmetten wenn überhaupt nur auf Abstand stattfinden. Zudem wird die in Großbritannien aufgetretene Variante des Coronavirus erstmals auch in Deutschland nachgewiesen.

26. Dezember 2020: Einen Tag vor dem offiziellen Impfstart werden in einem Seniorenzentrum in Sachsen-Anhalt eine 101 Jahre alte Frau und etwa 40 weitere Bewohner geimpft.

27. Dezember 2020: In allen Bundesländern beginnen die Impfungen. Zuerst sollen Menschen über 80, Pflegeheimbewohner sowie Pflegekräfte und besonders gefährdetes Krankenhauspersonal immunisiert werden.

1. Januar 2021: Deutschland kommt vergleichsweise ruhig ins neue Jahr. Der Verkauf von Silvesterfeuerwerk war verboten.

14. Januar 2021: Das Statistische Bundesamt schätzt, dass die deutsche Wirtschaftsleistung 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 5,0 Prozent eingebrochen ist.

15. Januar 2021: Mehr als zwei Millionen Corona-Fälle sind hierzulande bekannt geworden, knapp 45.000 Menschen sind an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Sars-CoV-2-Infektion gestorben.

19. Januar 2021: Bund und Länder verlängern den Lockdown bis Mitte Februar. Zudem werden die besser schützenden FFP2-Masken oder OP-Masken in Bus und Bahn sowie beim Einkaufen obligatorisch.

21. Januar 2021: Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben in Deutschland bereits ihre erste Corona-Impfung erhalten, etwa 77.000 auch schon die zweite.

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