Ob Bespitzelung, Rechtsextremismus oder Steuerflucht: Die Skandalgeschichte von Ikea ist lang. Unlängst deckte eine Dokumentation auf, dass DDR-Zwangsarbeiter das Ikea-Sofa Klippan bauen mussten. Ein Überblick über die Schattenseiten des schwedischen Möbelkonzerns.
Ein schwedische Dokumentation deckte den neuesten Ikea-Skandal erst kürzlich auf. Das schwedische Möbelhaus hat jahrelang Möbel aus Zwangsarbeit auch von politischen DDR-Häftlingen im sächsischen Waldheim geliefert bekommen. In der Sendung gaben zwei frühere leitende Mitarbeiter des Möbelkombinats Dresden-Hellerau an, dass in Waldheim ab 1975 unter anderem das Erfolgs-Sofa Klippan auch von Strafgefangenen gefertigt worden sei.
Eine Sprecherin der Stasi-Unterlagenbehörde sagte in Berlin, es habe eine Reihe von DDR-Firmen gegeben, die für den Westen produziert haben. Für Ikea sei auch in normalen Möbelfabriken gearbeitet worden. Wie groß der Anteil sei, der in Gefängnissen hergestellt wurde, sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich. DDR-Strafgefangene mussten nach Angaben der Sprecherin arbeiten - egal, ob sie politische Häftlinge waren oder Kriminelle.
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DDR-Kombinatsleiter lobt Zusammenarbeit
«Wir gingen davon aus, dass das Kriminelle waren. Sicher sind politisch motivierte Straftaten wie Republikflucht und so weiter dabei gewesen. Diese Gefangenen waren dann gemischt», erklärte ein früherer Gefängniswärter aus Waldheim in der TV-Dokumentation über die Arbeit in der Möbelproduktion.
Zu dem Häftlings-Einsatz sagte der frühere Kombinatschef Dietrich Meister: «In jedem Gefängnis in Deutschland, ob West oder Ost, gibt es Möglichkeiten für Strafgefangene zu Arbeit. Das ist ein Weg für sie, in die Gesellschaft zurückzukommen.» Zu den erst 1989 mit dem Fall der Mauer beendeten Lieferungen an Ikea aus der DDR meinte er, das sei eine gute Zusammenarbeit gewesen. «Wir hatten langwierige Verhandlungen, aber am Ende haben sie alle zu guten Ergebnissen geführt», so Meister. Sein früherer Kollege Herbert Kornetsky sagte, dass Ikea mit dem Einsatz der Häftlinge «eigentlich nichts zu tun hatte».
Ikea verspricht gründliche Aufklärung
Als direkt Betroffener berichtete der Ex-Häftling Dieter Ott, wie er 1985 nach der Verurteilung zu einem Jahr Haft wegen seiner Anläufe zur Ausreise aus der DDR als Häftling bei der Möbelproduktion eingesetzt wurde. «Ich saß an einer Stanze, und wir produzierten Möbelrollen und Möbelgriffe und auch Scharniere.» Er habe damals nicht gewusst, für wen die Produktion gedacht war. «Ich glaube, (...) dass es für die Firma Ikea war», meinte Ott weiter. Über die Konsequenzen aus heutiger Sicht sagte er: «Wir bekamen sehr, sehr wenig Geld, und deshalb war es sehr profitabel für Ikea.»
Ikea erklärte vor Ausstrahlung der Sendung, man verurteile die Beschäftigung von politischen Gefangenen in der Produktion «aufs Schärfste». Die Anschuldigungen nehme man «sehr ernst» und habe eigene Untersuchungen eingeleitet. Der schwedische Konzern will nach derzeitigem Kenntnisstand nichts von dem Einsatz von Häftlingen gewusst haben.
Stasi-Beauftragte und Politiker fordern Entschädigung
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat von deutschen Firmen Aufklärung darüber gefordert, ob sie vor 1989 von DDR-Zwangsarbeitern profitierten. «Ich würde es begrüßen, wenn westliche und vor allem bundesdeutsche Unternehmen, die in der DDR produzieren ließen, für Transparenz sorgen würden», sagte Jahn dem Focus laut Vorabbericht vom Samstag. «Unsere Behörde steht für Recherchen zur Verfügung.»
Brandenburgs CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski, der selbst 20 Monate im berüchtigten Gefängnis Cottbus saß, machte sich in der Bild-Zeitung für eine finanzielle Anerkennung seitens der Profiteure stark. «Für die Firmen, die von Häftlingsarbeit profitiert haben, gibt es genug Opfer-Verbände, die Spenden brauchen», sagte er.
Thüringens Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, erklärte: «Auf den Knochen der Häftlinge wurde schmutzige Ware produziert. Da halte ich es für eine moralische Verpflichtung der profitierenden Firmen, die Opfer von einst zu unterstützen.»
Weitere Konzerne unter Verdacht
Neben Ikea stehen auch noch andere bekannte Namen in der Kritik, darunter das mittlerweile aufgelöste Versandunternehmen Quelle. So produzierte Dombrowski als DDR-Gefangener offenbar Waren für den westdeutschen Lieferservice. «Ich habe Gehäuse für Praktica-Kameras hergestellt, die in Versandkatalogen im Westen verramscht wurden», gestand er der Bild-Zeitung.
Mehrere Unternehmen wiesen entsprechende Vorwürfe aus den vergangenen Tagen indes zurück. «Unsere Produkte sind definitiv nicht unter Zwangsarbeit in der DDR produziert worden», sagte etwa Michael Huggle, von 1975 bis 1996 Vorstand bei Schiesser, dem Tagesspiegel am Sonntag. Der Hamburger Kosmetikhersteller Beiersdorf hat nach eigenen Angaben ebenfalls keine Kenntnisse über Zwangsarbeit von politischen Häftlingen, will - wie Ikea - «diesen Themenkomplex aber weiter untersuchen», berichtet das Blatt
Auch Neckermann, Salamander, Thyssen-Krupp und das Spirituosenhersteller Underberg wiesen entsprechende Berichte des Tagesspiegel am Sonntag zurück, räumten aber teilweise ein, Waren aus der DDR bezogen zu haben. Ein Sprecher des bundesdeutschen Stahlkonzerns Klöckner Klöckner & Co. SE bestätigte dem Focus intensive Geschäftskontakte der damaligen Klöckner-Gruppe mit der DDR. Aber «nach mehreren Eigentümerwechseln» sei das heutige Unternehmen kein Rechtsnachfolger.
jag/zij/news.de/dpa/dapd