Sechs Tage wach: Crystal Meth gilt als eine der härtesten Drogen weltweit. 18 Millionen Menschen schniefen, rauchen oder spritzen sie. Die USA hat sie bereits fest im Griff. Jetzt nimmt Crystal auch Kurs auf Deutschland - mit fatalen Folgen. Zwei Konsumenten berichten.
Mirko* war sechs, als er das erste Mal zur Flasche griff und sich einen Rausch antrank. Die Jahre sind vergangen, 21 seitdem, die Drogen nicht. Vor gut einem Monat ist er 27 geworden. Zur Feier des Tages gab es Crystal Speed, die weiß-glitzernde kristalline Substanz, die Deutschland derzeit in Atem hält. Die Zahl der Drogentoten ist laut aktuellem Drogenbericht der Bundesregierung 2011 zwar um 20 Prozent auf 986 gesunken. Doch die der Crystal-Erstkonsumenten stieg im gleichen Zeitraum um knapp 164 Prozent auf 1693.
Wann Mirko das erste Mal «C» genommen hat? Es muss mit 14 gewesen sein, so genau kann er sich nicht mehr erinnern. Zu viel ist seitdem passiert. Das Heroin hat ihn kaputt gemacht. «Ich vermisse es jeden Tag», sagt er. «Es gibt mir Liebe, Wärme, Zuneigung und Geborgenheit.» Eine Entgiftung nach der anderen hat der Leipziger begonnen. 17 Stück insgesamt. Zwei oder drei hat er durchgezogen - um dann doch wieder rückfällig zu werden. Zumindest vom Heroin hat er in den vergangenen anderthalb Jahren die Finger gelassen. Seine tägliche Methadon-Dosis hilft ihm dabei. Und das «C».
Crystal Speed brennt Löcher ins Hirn
Rot-braun verkrustete Quaddeln übersäen sein Gesicht und seine Hände. Typische Anzeichen für den Crystal-Konsum. «Crystal-Abhängige stehen oft stundenlang selbstvergessen vor dem Spiegel und drücken irgendwelche Kristalle oder Pickel aus, die aus ihrer Haut kommen», sagt Roland Härtel-Petri von der Abteilung für Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Andere Abhängige kratzen ihre Haut auf, weil sie glauben, es säßen Käfer darunter.
Seit vielen Jahren beschäftigt sich Härtel-Petri mit Methamphetamin, so der chemische Name von Crystal. Er weiß, dass die Pusteln und der Gewichtsverlust und auch die verfaulenden Zähne die kleinsten Probleme seiner Patienten sind im Gegensatz zu dem, was in ihrem Hirn passiert. «Crystal Speed ist anders als andere Stimulantien extrem neurotoxisch. Es zerstört schon nach relativ kurzer Zeit die Nervenbahnen und führt zu kognitiven Störungen.» Gedächtnisverlust, Paranoia, Selbstmordgedanken, Aggressionen, Gewalttätigkeit, emotionale Verkümmerung. Crystal Meth nimmt Abhängigen ihr altes Leben, es brennt regelrecht Löcher ins Hirn.
Mirko möchte nur an die schönen Seiten von «C» denken. Es macht wacher und aufmerksamer, sechs Tage war er einmal am Stück auf den Beinen. Es hilft ihm, seine Gedankenwelt zu ordnen - und es verstärkt das Gefühl beim Sex. «Unter Crystal-Wirkung macht alles superviel Spaß», weiß auch Härtel-Petri. Stundenlang tanzen, putzen, einen Kugelschreiber zerlegen und wieder zusammenbauen. Ihn erneut zerlegen und wieder zusammenbauen.
18 Millionen Abhängige weltweit
Lässt die Wirkung der Droge nach, hinterlässt sie eine tiefe Leere, Freud- und Antriebslosigkeit. Das ist das Tückische an der Substanz, das viele verleitet, direkt nachzulegen, und was Härtel-Petri zu der Überzeugung bringt, Crystal Speed sei die am schnellsten abhängig machende Droge. Weltweit 18 Millionen Abhängige zählt sie, nach Cannabis liegt sie damit auf Platz zwei der am häufigsten konsumierten Drogen. Erst dahinter kommen Heroin mit 16 Millionen Usern und Kokain mit 14 Millionen.
Wie viele deutsche Crystal-Abhängige es gibt, lässt sich bisher nicht sagen. Entsprechende Studien fehlen noch. «Es ist nur klar, dass es immer mehr werden», so Härtel-Petri. Und dass es den typischen Crystal-User genauso wenig gibt wie den typischen Heroin- oder Kokain-Abhängigen. Spike* ist 19. «Vier Monate lang hab ich mir das bei einem Freund angeschaut, dann noch mal drei Wochen überlegt», sagt er. Eines Abends war er bereit.
Mit einem Plastikkärtchen haben sie die kleinen weiß-funkelnden Kristalle zerdrückt, das Pulver zu einer schmalen Bahn zusammengeschoben. Vier Teile haben sie daraus gemacht. Jeder hat eine Line durch die Nase gezogen. «Beim ersten Mal habe ich nichts gemerkt», sagt Spike. Also hat er direkt die zweite Bahn hinterhergezogen. Dann kam der Flash und er ist mit seinem Freund um die Häuser gezogen. Die ganze Nacht haben sie durchgefeiert. Den nächsten Tag gleich noch drangehängt. Das ist jetzt drei Jahre her.
Heute teilen sich die beiden ihr Crystal immer. Ein Gramm kaufen sie, für jeden 40 Euro. Die Kristalle sind unterschiedlich groß. Sie nehmen immer die kleinen zuerst, die großen warten im Tütchen. Das Beste zum Schluss. Einmal im Monat nimmt Spike Crystal, um draufzukommen. Am nächsten Abend raucht er einen Joint, um schlafen zu können. «Ich kann's kontrollieren», sagt er.
Der Crystal-Schmuggel boomt
Crystal-Experte Härtel-Petri hört solche Aussagen nicht gern, «weil das Menschen dazu anregen könnte, es auch zu probieren mit der Begründung: Ich kann das kontrollieren, ich werde davon nicht abhängig.» So etwas ließe sich jedoch nicht steuern. 2004 hat der Arzt eine Umfrage unter seinen Patienten gemacht. «95 Prozent davon haben gesagt, dass diese Substanz nicht kontrollierbar ist.»
In den USA ist das Crystal-Problem bereits weitaus größer, Kampagnen machen seit Jahren auf die Gefährlichkeit der Droge aufmerksam. Hierzulande schwappt gerade erst eine Metamphetaminwelle von Tschechien herüber. Dabei ist Crystal Speed keineswegs eine neue Substanz. 1919 erstmals von einem japanischen Chemiker synthetisiert, gelangte der Stoff um 1930 nach Deutschland, wo er für den Einsatz im militärischen Bereich weiterentwickelt wurde und kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs als Pervitin auf den Markt kam. «Hitler-Speed», «Fliegersalz» und «Panzerschokolade» nannten die Soldaten ihr neues Wunderdoping, das sie zu immer neuen Höchstleistungen antrieb.
Seinen Status als Aufputschmittel weniger Einzelner hat Crystal längst aufgegeben. Der Schmuggel boomt. Nach Angaben des Bundeskriminalamts registrierten die Behörden 2010 bundesweit 799 Fälle von Crystal-Schmuggel - 2011 lag die Zahl schon bei 2112. Die Menge der sichergestellten Drogen stieg von 26,8 auf 40 Kilogramm. Der Grund für den rapiden Anstieg liegt nicht zuletzt in Tschechiens Drogenpolitik. Seit 1. Januar 2010 dürfen die Tschechen zwei Gramm Crystal ganz legal bei sich führen. «Wir sehen gerade live, was passiert, wenn sich die Gesetzgebung liberalisiert», sagt Härtel-Petri.
Vom Vietnamesenmarkt nach Bayern und Ostdeutschland
In tschechischen Drogenlaboren aus dem legal erhältlichen Erkältungsmittel Ephedrin und verschiedenen Chemikalien aus der Hausapotheke zusammengebraut, wird Crystal zwischen gefälschten Marken-Shirts, DVDs und Zigaretten auf den sogenannten Vietnamesenmärkten vertickt und über die Grenze vor allem nach Sachsen und Bayern eingeführt. An den Innenseiten der Hosenbeine, in Rasierpinseln, Lebensmitteln, ja sogar vaginal in Kondomen. Die Hehler sind gewieft.
Polizei und Zoll wissen um das Problem. Im vergangenen Jahr sind sie verstärkt gegen Dealer vorgegangen und konnten in der «Operation Speedway» mehrere Crystal-Labore ausheben. Ein erster Erfolg. Der zuständige Parlamentarische Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk forderte bei der Auswertung der Aktion, weiterhin dranzubleiben, «das Problem an der Wurzel zu packen und die illegalen Produktionsstätten auszuheben», um den Schmuggel einzudämmen.
Die Rauschgiftkriminalität nimmt zu
Mirko überlegt, nach Tschechien zu fahren und sich eine dieser Küchen anzuschauen. «Dann würde es aber nicht lange dauern und ich hätte hier meine eigene.» Irgendetwas hält ihn bisher davon ab. Noch bekommt er seinen Stoff auch über andere Wege. Nur das Geld reicht nie bis zum Monatsende. 370 Euro Sozialhilfe. Dann steigt er schon mal in einen Keller ein und nimmt ein Fahrrad mit. Oder klaut Kupferdrähte aus leerstehenden Häusern.
Große Dinger dreht er aber nicht. Das machen nur die anderen, beteuert er. In Leipzig ist das Problem der Drogenkriminalität immer wieder Thema. Die Polizei zeigt in der Stadt verstärkt Präsenz, drängt Dealer und Abhängige durch Razzien zurück. «Razzien sind notwendig, um die Angebotsstruktur zu kontrollieren», sagt Lutz Wiederanders von der Leipziger Straßensozialarbeit. Doch bei der Verdrängung allein dürfe es nicht bleiben. Die Süchtigen brauchen ärztliche Hilfe, schließlich handle es sich um Kranke. Entsprechende Konzepte fehlen bislang. In anderen Städten wie Bayreuth klappt das Härtel-Petri zufolge besser.
Mit der flachen Hand fährt sich Mirko über seine linke Kopfhälfte. Eine tiefrote Wunde lugt unter den kurzen Haaren hervor. «Da ist einer auf mich losgegangen. Ich hab ihn nur nach Feuer gefragt.» Irgendwann, sagt er sich, wird er sicher auch einmal erwachsen. Es gibt Momente, in denen sich der 27-Jährige ärgert - über seine Kindheit, sein Leben und darüber, dass er nie genug kriegen kann. Dann nimmt er sich vor, sich beim nächsten Mal zu zügeln. Doch wenn die ersten Entzugserscheinungen einsetzen, sind die guten Vorsätze wieder vergessen.
*Namen der Abhängigen von der Redaktion geändert
iwi/news.de