97 Prozent aller Kinder in Deutschland werden gesund geboren. Bei Verdacht auf eine genetische Erkrankung gibt es eine spezielle Untersuchung. Die ist teuer, unsicher und wird Schwangeren oft ohne umfassende Beratung angeboten, manchen gar aufgeschwatzt. Das nützt dem Geldbeutel der Ärzte mehr als den Patienten.
Nina Radis* ist froh. Es ist ausgestanden. Ihre fünf Monate alte Tochter spielt versonnen mit einer Plüschente, sie lacht. Das Kind ist kerngesund. Am Anfang ihrer Schwangerschaft zweifelte Nina Radis daran, ob das so kommen würde.
Die Schwangerschaft der Frau aus Nordrhein-Westfalen verlief gut, sie freute sich auf ihr Kind. Bis der Frauenarzt ihr von diesem Test erzählte. Ob sie nicht sicher gehen wolle, dass ihre Tochter kein Down-Syndrom habe? Nina Radis war nicht erblich vorbelastet. Aber gerade in ihrem Alter, Anfang 30, steige die Wahrscheinlichkeit für eine solche Krankheit beim Kind, sagte der Arzt. Den Test bezahle die Krankenkasse zwar nicht, aber nur so könne er sehen, ob ihre Tochter behindert sein wird. Nina Radis fühlte sich überrumpelt, wollte aber alles für die Gesundheit ihres Kindes tun.
Sie zahlte die knapp 200 Euro und ließ den Test machen. Es gehört halt dazu, dachte sie. Aber spätestens mit dem Testergebnis war die Routine für Radis zu Ende: Es brachte keine Erleichterung, keine Gewissheit. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:987 hatte ihre Tochter das Down-Syndrom, stand auf dem Befund. Anders ausgedrückt: Zu nahezu 100 Prozent war ihre Tochter gesund – rein rechnerisch also eine absolute Entwarnung, aber die Gedanken der werdenden Mutter begannen zu kreisen: Was, wenn ich die 988. bin?
Der Test, dem Nina Radis zugestimmt hat, heißt ErsttrimestertestDabei misst der Gynäkologe in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft per Ultraschall die sogenannte Nackentransparenz des Kindes. Das ist eine unter der Haut gelegene Flüssigkeitsansammlung im Nacken des ungeborenen Babys. Zusätzlich zur Messung werden zwei Blutwerte der Mutter im Labor untersucht. Aus diesen drei Werten errechnet eine Software die Wahrscheinlichkeit für eine genetische Erkrankung des Kindes. . Er gibt keine klare Antwort darauf, ob ein ungeborenes Kind behindert sein wird. Er errechnet nur eine Wahrscheinlichkeit dafür. Für die allermeisten Frauen ist er mathematisch eine Entwarnung – was nicht überrascht. Denn die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Kind eine TrisomieEine genetische Erkrankung, bei der ein Chromosom anstatt zweimal dreimal vorliegt. wie das Down-SyndromAuch Trisomie 21 genannt. Bei der Erkrankung liegen das 21. Chromosom des Menschen oder Teile davon dreifach vor. hat, liegt durchschnittlich bei 0,17 Prozent. Zwar wird die Krankheit tatsächlich häufiger diagnostiziert, je älter die Schwangere ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und KrankenkassenEin Gremium aus Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen und der Ärzte. Es ist durch den Gesetzgeber beauftragt, darüber zu entscheiden, welche Gesundheitsleistungen von den Krankenkassen übernommen werden. Die Untersuchungen während der Schwangerschaft sind in den Mutterschaftsrichtlinien geregelt. rät trotzdem nur bei einem «genetisch bedingten Risiko» der Frau zum Ersttrimestertest. Er sollte also die Ausnahme sein, nicht die Regel.
«Der Test ist natürlich auch eine Einnahmequelle»
Trotzdem berichten Schwangere davon, wie ihnen der Test mehrfach und nachdrücklich nahegelgt wird. Vom Gynäkologen, von den Feindiagnostikspezialisten. Schon 2006 gaben knapp 30 Prozent der befragten Frauen in einer StudieIm Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Behörde hat die Aufgabe, die Bereitschaft der Bürger zu fördern, sich verantwortungsbewusst und gesundheitsgerecht zu verhalten. an, den Test gemacht zu haben. Aktuelle Umfragen gibt es nicht, aber wer sich heute bei Gynäkologen umhört, erfährt, dass sich zwischen 60 und 90 Prozent der Patientinnen für den Test entscheiden.
Es ist die freie Entscheidung jeder einzelnen Frau, ob sie von einer möglichen Behinderung ihres ungeborenen Kindes wissen will. Doch die Sicherheit des Tests ist umstritten, seine flächendeckende Anwendung gefährdet nach Meinungen von Kritikern gar das Recht der Frau auf Nichtwissen. Sind so viele Tests wirklich nötig, um nach genetischen Erkrankungen zu suchen, die nur mit einer so geringen Wahrscheinlichkeit auftreten? Die Frage ist schwer zu beantworten. Denn hinter ihr steckt ein unübersichtliches Gewirr verschiedener Verfahren, sich widersprechender wissenschaftlicher Studien und wirtschaftlicher Interessen. Im Zentrum: Zwei Organisationen, die jeweils für sich beanspruchen, die bessere Methodik zur Früherkennung von Fehlbildungen zu haben.
Der Ersttrimestertest wird von den meisten Krankenkassen nicht bezahlt. Dass das so ist, hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und KrankenkassenEin Gremium aus Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen und der Ärzte. Es ist durch den Gesetzgeber beauftragt, darüber zu entscheiden, welche Gesundheitsleistungen von den Krankenkassen übernommen werden. Die Untersuchungen während der Schwangerschaft sind in den Mutterschaftsrichtlinien geregelt. entschieden. «Nicht alles, was es gibt, macht Sinn», sagt ein Mitarbeiter der Organisation, als das Gespräch auf das Thema Schwangerschaftsvorsorge kommt. Er will seinen Namen nicht nennen, aber bei Untersuchungen mit geringem Nutzen oder geringer Trefferquote gebe es häufig auch wirtschaftliche Gründe dafür, dass sie angeboten würden.
Je nach Labor und Arztpraxis kostet der Ersttrimestertest für die Patientinnen zwischen 150 und 300 Euro. «Ärzte bekommen eine ziemlich geringe Pauschale für eine normale Geburt», sagt Hildburg Wegener. Sie ist Gegnerin des Tests und engagiert sich im Netzwerk gegen Selektion durch PränataldiagnostikDas Netzwerk ist beim Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen angesiedelt. Unter dem Begriff Pränataldiagnostik werden alle Untersuchungen zusammengefasst, die der Arzt zur Früherkennung von Krankheiten am ungeborenen Baby vornimmt. . «Deshalb ist der Test natürlich auch eine Einnahmequelle und wird entsprechend beworben», sagt sie.
Zum Beispiel von der Fetal Medicine Foundation (FMF). Der gemeinnützige Verein ist eine der beiden Organisationen, die sich für den Ersttrimestertest engagieren. Er will den Test seit seiner Gründung 2002 etablieren und standardisieren. Mehr als 4000 Frauenärzte, zwei Dutzend Humangentiker und knapp 30 Labore wurden von der FMF dafür ausgebildet und zertifiziert. Die Ärzte zahlen für die Kurse und schaffen sich teure, besonders leistungsfähige Ultraschallgeräte an – Investitionen, die sich amortisieren müssen. Zum Beispiel, indem sich möglichst viele Frauen für einen Ersttrimestertest entscheiden. 70.000 Mal im Jahr passiert das in den Praxen von FMF-zertifizierten Ärzten.
Den Vorwurf von Test-Gegnern wie Hildburg Wegener, dass auch wirtschaftliches Interesse hinter einer Empfehlung der Untersuchung stecke, nennt der FMF-Chef «kompletten Unsinn». «Der Test wird den Frauen nicht in die Tasche geredet», sagt Professor Eberhard Merz. Der Gynäkologe ist froh, dass er den Test anbieten kann und nennt die Vorteile: Um eine genetische Krankheit des Kindes festzustellen, konnten Ärzte früher nur das Fruchtwasser der Frau untersuchen. Das musste per Kanüle aus der Gebärmutter geholt werden – ein hohes Risiko, denn dieser Eingriff birgt die Gefahr einer Fehlgeburt. Der Ersttrimestertest dagegen ist für Mutter und Kind ungefährlich.
Warum Kritiker den Test für unsicher halten
Auch heute ist für die endgültige Diagnose über eine Erkrankung des Babys eine Fruchtwasseruntersuchung nötig. Allerdings wird sie nicht mehr blind vorgenommen, sondern erst dann, wenn der Ersttrimestertest eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Krankheit ergibt. Insofern ist die umstrittene Untersuchung ein Fortschritt, ein Instrument zur Vorauswahl, das einen Großteil der gefährlichen Fruchtwasseruntersuchungen unnötig macht, wie der FMF-Chef betont.
Das Problem: Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit ist höchst umstritten. Zwar gilt die FMF in der Branche allgemein als verlässlich, Dachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe loben die hohe medizinische Qualität. Und sogar Hildburg Wegener, eigentlich eine Gegnerin des Ersttrimestertests, meint, dass der Verein seine Arbeit zumindest auf diesem Gebiet «ganz ordentlich» mache. Dr. Peter Schmidt allerdings ist anderer Meinung. «Bis heute liegen keine wissenschaftlich gültigen Studien vor, die belegen, dass die Methodik überhaupt geeignet ist», sagt der Gynäkologe aus Wolfenbüttel. Und: «Der Einsatz der FMF-Deutschland-Software muss als höchst bedenklich eingestuft werden.»
Das zu sagen, ist sein Job. Denn Schmidt ist Geschäftsführer der Prenatal Health GmbH, des einzigen Konkurrenten der FMF in Deutschland und der zweiten Organisation, die in Deutschland die Berechnung des Ersttrimestertestes anbietet. Dabei nutzt Schmidt die gleiche Methodik wie die FMF, allerdings ein anderes Rechenmodell. Ein besseres, wie er betont. Eines, das im Gegensatz zu dem der FMF wissenschaftlich erprobt sei.
Er bietet die Berechnung im Internet an. Pro Test kostet das zwischen vier und elf Euro. Jedes Mal also, wenn ein deutscher Frauenarzt nicht mit der Software der FMF rechnet, verdient Gynäkologe Schmidt Geld. Im Jahr passiert das rund 10.000 Mal. «Allein die DIN-Zertifizierung unserer Website kostete im ersten Jahr 40.000 Euro», antwortet Schmidt ausweichend auf die Frage, ob sein Einsatz für den Ersttrimestertest auch wirtschaftliche Interessen habe. Eindeutiger hört sich das im Handelsregister der Stadt Braunschweig an. «Gegenstand des Unternehmens ist die Vermarktung und Durchführung von vorgeburtlichen Risikoabschätzungen», heißt es dort zu Prenatal Health.
Schmidt verdient also einen Teil seines Geldes damit, dass Ärzte sich gegen das Rechenmodell der FMF entscheiden. Ob und wie sehr er mit seiner Kritik an der Konkurrenz dennoch Recht hat, ist schwer festzustellen: Studien widersprechen sich, die Vertreter beider Seiten sowieso. Klar ist aber: Auch die Stiftung Warentest mahnte im vergangenen Jahr Probleme der FMF-Software an. So spielen für die Diagnose entscheidende Faktoren wie das Gewicht der Frau, Rauchen oder die Abstammung in der Berechnung keine Rolle. Das ist bei dem am längsten erprobten Verfahren der FMF-Muttergesellschaft aus Großbritannien anders. Fachleute ließen das deutsche und das englische Programm mit denselben Daten rechnen. «Die Aussagen waren unterschiedlich, manchmal gegensätzlich», schreibt test.
Für die Patientinnen heißt das Wirrwarr um die Testmethoden: Es ist purer Zufall, welcher Methodik ihr behandelnder Arzt vertraut. Und je nachdem, kann die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung ihres Kindes höher oder niedriger ausfallen.
Warum viele Frauen den Test für Routine halten und warum das ein Problem ist
Test-Gegnerin Hildburg Wegener interessiert sich nur am Rande für die Unterschiede zwischen den Softwareprogrammen und für Wahrscheinlichkeiten. Sie kritisiert Grundsätzliches. Dass der Ersttrimestertest zunehmend normaler Bestandteil der Schwangerenvorsorge ist, zum Beispiel.
«Das Screening wird an symptomfreien Frauen durchgeführt und zielt nur darauf ab, nach einer Trisomie zu suchen», sagt Wegener. «Wenn man eine findet, ist medizinisch nichts dagegen zu machen außer Abtreiben», sagt sie. Der Test als reines Selektionsprogramm? Das will die FMF nicht gelten lassen. Es seien nicht nur Trisomien, sondern auch Herzfehler und Probleme am Skelett des ungeborenen Babys erkennbar. Makulatur, meint Wegener. Nur selten würden Herzfehler mit der Methode diagnostiziert und wenn, dann könne man eh nichts tun. «Eine Operation im Mutterleib findet nicht statt und auf Herzfehler werden Ärzte auch durch Routine-Ultraschalls aufmerksam.»
Ist der Ersttrimestertest nun ein «Suchtest auf Down-Syndrom», wie er in einem Infoblatt der Prenatal Health GmbH bezeichnet wird? Wie genau ist das mit der Erkennung von Herzfehlern und anderen «Fragestellungen zur körperlichen Unversehrtheit», wie es in dem Papier vage weiter heißt? Viele Frauen wissen es nicht, verlieren zwischen den vielen Untersuchungen in der Schwangerschaft den Überblick. Einige stimmen dem Test sogar nur zu, weil sie glauben, er gehöre routinemäßig zur Vorsorge. 2006 gaben das 37 Prozent der befragten Frauen in einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung an. Eine Statistik nur und noch dazu veraltet, aber der Trend hat sich verstärkt. Der Ersttrimestertest werde häufig als Routine wahrgenommen, bestätigt zum Beispiel Angelica Ensel vom Deutschen Hebammenverband.
Im Unterschied zu einem normalen Ultraschall oder einer Blutuntersuchung aber bringt diese Art von Routine vielleicht die Entscheidung über das Leben des Kindes mit sich. «Das können sich viele Frauen nicht klarmachen, weil sie nicht gut beraten werden», sagt Hildburg Wegener. Auch der Gesetzgeber hat das als Problem erkannt und will es mit dem neuen Gendiagnostikgesetz beheben. Ärzte müssen demnach ihren Patientinnen vor jeder genetischen Untersuchung ein ausführliches Gespräch mit einem humangenetischen Experten empfehlen. Seit Februar 2010 ist das Gesetz in Kraft, geändert hat sich aber noch nicht viel: die DurchführungsbestimmungBegleitende Regelungen zu einem Gesetz, die klare Anweisungen an diejenigen geben, die das Gesetz betrifft, in dem Fall ganz besonders die Ärzte. Erst nach deren Veröffentlichung wird ein Gesetz tatsächlich angewandt. fehlt noch, Hildburg Wegener und der Deutsche Hebammenverband hoffen jedoch, dass das Problem nach deren Veröffentlichung angegangen wird.
Auch Nina Radis hatte sich vor der Untersuchung nicht klar gemacht, was das Ergebnis für sie bedeuten würde. In der Kürze der Zeit nicht klar machen können, wie sie sagt. Hinterher quälte sie sich mit dem Gedanken, was sie im Falle einer Behinderung des Kindes eigentlich tun würde. Und ob sie das überhaupt wissen will. Aber da waren ihre Werte auch schon im Labor. Und die Rechnung vom Frauenarzt im Briefkasten.
* Name geändert
kas/voc/bjm/iwi/ivb/news.de
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