SOS heißt es über Funk, wenn irgendwo auf den Ozeanen menschliches Leben in Gefahr ist. Dieses Notrufkürzel müsste allerdings durch ein neues ergänzt werden: SOL - Save Ocean Life. Denn auf den Meeren treibt etwas, das Fischen und Algen langsam den Garaus macht: riesige Mengen Plastik.
Es könnte die Millionen-Euro-Frage im Millionärs-Quiz sein, und kaum ein Kandidat würde sie richtig beantworten: Welche Insel zwischen Hawaii, Japan und Nordamerika ist so groß wie Mitteleuropa und drei Millionen Tonnen schwer? Umweltschützer, Biologen und Ozeanographen können sie auf Anhieb beantworten: der Plastik Ozean.
Sie können im selben Atemzug auch sein Wachstum nennen: jährlich 125 bis 225 Millionen Tonnen aus der weltweiten Kunststoffproduktion. Sie führen zum Beispiel im Nordpazifik dazu, dass auf jedes Kilo tierischen Planktons sechs Kilogramm Plastikabfall kommen.
Kaum jemand denkt an diese alarmierenden Zahlen, denn seit sechzig Jahren sind die aus Erdöl hergestellten verschiedenen synthetischen Werkstoffe aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Ihre Bedeutung im Alltag für die moderne Zivilisation ist so groß, dass in Anlehnung an das Steinzeit, Bronze- und Eisenzeitalter sogar von einem Plastikzeitalter gesprochen wird. Und das zu Recht: Man braucht sich nur unsere Abfallbehälter anzusehen.
Nun haben schon immer unsere Abfälle in die Gewässer gekippt, in den Fluss, den See und schließlich ins Meer. Bestes Beispiel und lange Tradition ist die Angewohnheit, Abfall von Schiffen einfach über Bord zu werfen; und auf diese Weise verursach(t)en besonders Kreuzfahrt- und Frachtschiffe eine große Menge an Müll.
Plastik bleibt für immer
Das geschah lange Zeit in der zu Recht bestehenden Annahme, die Natur – sprich die Strömung - würde das hässlich und stinkende Zeug weit genug von unseren Lebensmittelpunkten hinwegspülen. Sie würde es dabei auch gleichzeitig vernichten, indem sie es durch Bakterien, Wellenschlag und UV-Licht in ihre Bestandteile auflöst und damit wieder in den Nahrungskreislauf zurückführt oder auf dem Gewässergrund für immer begräbt.
Solange es sich um organische Stoffe handelt, trifft das auch zu – nicht jedoch für synthetische. Im Falle des Plastiks ist das leider die berühmte Ausnahme dieser Regel, denn dieses synthetische Material verwest über Jahrzehnte nicht. Bis beispielsweise UV-Strahlung und Oxidation eine Spielzeugente in ihre Moleküle zerlegt haben, können bis zu 500 Jahre vergehen, manche Forscher sprechen sogar von bis zu 1000 Jahren.
Kein Meeresgebiet ist davon ausgenommen. Allein im Ärmelkanal beträgt der Kunststoff- und anderer Müllanteil zwischen zehn und 100 Teile pro Quadratkilometer, in den Gewässern Indonesien sind es stellenweise sogar knapp 4000. Selbst am Meeresgrund liegen nach Greenpeace-Untersuchungen durchschnittlich 100.000 Müllteile je Quadratkilometer.
Nur ein Teil dieses Mülls wird dann an die Küsten der Kontinente oder Inseln angespült. Nach Untersuchungen britischer Wissenschaftler besteht der Sand auf dem Meeresgrund und an den Stränden längst nicht mehr nur aus zerriebenen Muscheln und Sandkörnern, sondern auch aus Kunststoffpartikeln.
Ein Plastikteppich so groß wie Mitteleuropa
Den Rekord dieser Giftmüllkonzentration hält jedoch eine Fläche im Pazifik. Sie hat die Größe Mitteleuropas, also Deutschland, Österreich, Tschechien, Polen, Luxemburg und der Schweiz. Sie breitet sich zwischen Kalifornien und Hawaii aus. Grund ist das riesige hier lagernde Hochdruckgebiet. Es erzeugt einen sanften Strudel gigantischen Ausmaßes mit Zentrum etwa 2000 Kilometer nordwestlich von Hawaii.
Gerät der vor den Küsten Asiens und Amerikas treibende Müll in diese Strömung, verbleibt er nach Angaben der National Oceanic and Atmospheric Aministration (NOAA) mindestens 16 Jahre in diesem Megastrudel, «Östlicher Müllstrudel» genannt. Das ist jedoch eine zu kurze Zeit, um zersetzt zu werden.
So schwimmt das langlebige Zeug oben, ebenso wie das Zooplankton, dessen pflanzliche Nahrung die Sonne braucht. Die Müll-Giftstoffe werden über das Plankton aufgenommen und gelangen in die Nahrungskette; denn für viele im Meer lebende Tiere ist Plankton ein wichtiger Nahrungsbestandteil. Gefahr droht damit der Biodiversität, also Vielfalt der Kleinstlebewesen, die daneben auf das treibende Plastik kriechen, krabbeln und gleiten, an dessen Oberfläche sich wasserunlösliche, giftige Substanzen wie DDT oder PBC anlagern.
Größere Stücke werden dagegen von Walen, Schildkröten und Seevögeln gefressen. Die Tiere verhungern und verdursten, da die Plastikteile keinen Platz mehr für echte Nahrung in den Mägen der Tiere lassen. Außerdem verfüttern sie den Plastikmüll an ihre Nachkommen, die das gleiche Schicksal erleiden. Viele Meeressäuger verheddern sich zudem in abgerissenen Fischernetzen; Seevögel ersticken in Ringen von Six-Pack-Trägern.
Auch das Rauchen trägt erheblich zur Verschmutzung der Meere bei. Laut einer Untersuchung des UN-Umweltprogramms (Unep) und der Schutzorganisation Ocean Conservancy bildeten Zigarettenfilter und Zigaretten mit mehr als 25 Millionen Stück sogar an größten Anteil an den 103 Millionen Stück marinen Mülls.
Was also tun? Das beste wäre Plastiktüten, -flaschen und anderen synthetischen Müll zu recyceln, was teils geschieht, oder ihre Produktion gar auslaufen zu lassen. doch was würde sehr lange dauern. Da das aber mit der Freiwilligkeit und Vernunft des Menschen so eine Sache ist, haben einige Staaten zu drastischen Mitteln gegriffen: Im pazifischen Zwergstaat Palau müssen Reisende, die mit einer Plastiktüte angetroffen werden, einen Dollar Strafe zahlen, und auf Sansibar kann das sogar bis zu happigen 1560 Euro kosten.
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