Im Fernsehen, Internet und selbst im echten Leben: Frau kann gar nicht genug Brust zeigen. Tabu ist nur noch die Brustwarze, sagt der Psychologe Kurt Seikowski. Und bei Naturvölkern und in der Sauna geht auch das - alles eine Frage der Gewohnheit.
Wieviel Brust darf man zeigen?
Seikowski: Das kommt auf den Kontext an. Auf der Arbeitsstelle ist Brust nach wie vor nicht sehr erwünscht. Sie soll nicht von der Arbeit ablenken. In sozialen Berufen, zum Beispiel in Beratungsstellen, wo auch Psychologen arbeiten, ist das nicht mehr so dramatisch. Da kann man sich auch einen weiteren Ausschnitt erlauben. Aber wo strenge Hierarchien existieren, im Bankgewerbe zum Beispiel, wird eher von der Frau erwartet, dass sie die Brust verdeckt. Auf der anderen Seite ist es auch kein Geheimnis, dass in Konkurrenzsituationen bei der Arbeit Frauen mit großen Brüsten andere ausstechen können.
Wie ist es in der Öffentlichkeit?
Seikowski: Da hängt es davon ab, wie viel man zeigen möchte, wie groß der Wunsch nach Bewunderung ist. Die klassische Geschichte funktioniert immer noch: Wenn der LKW-Fahrer pfeift, freuen sich nach wir vor die Frauen. Und nach wie vor bevorzugen Männer pralle Brüste. Und auch die Promis nutzen das aus, um in den Mittelpunkt zu kommen. Im Internet kann man ja schon Promibrüste raten, da staune ich immer, wie gut ich bin. Das spielt bei den Machtspielchen Frau gegen Frau eine große Rolle. Auf der anderen Seite ist es eine Form, Männer um den Finger zu wickeln. Ich erlebe das auch, wenn ich Studentinnen prüfe und die wissen nichts. Da wird sich schon mal vorgebeugt.
Wie reagieren Sie da?
Seikowski: Ich gucke hin und bin trotzdem sachlich.
Wird zu viel Brust nicht auch als billig empfunden?
Seikowski: Männer sagen das garantiert nicht. Wenn Frauen das sagen, sind sie neidisch, kein Zweifel.
Ist die Brustwarze das letzte Tabu?
Seikowski: Ja, die Brustwarzen sind nach wie vor tabu, weil sie als erogene Zone gelten, anders als die ganze Brust. Auch rein anatomisch gibt es mehr Sensoren im Brustwarzen-Bereich, deshalb bleiben die weiterhin im Verborgenen.
Seit der sexuellen Befreiung Ende der 1960er Jahre hat wieder eine gewisse Prüderie eingesetzt. Macht sich das bei der Brust nicht bemerkbar?
Seikowski: Tatsächlich wird viel über Prüderie geschrieben, und das ist auch so, aber nicht, was das Zeigen der Brust betrifft. Es scheint so, dass die Brust nicht so sehr als sexuell empfunden wird, sondern eher als Schönheit.
Wie macht sich die Prüderie denn bemerkbar?
Seikowski: In Deutschland ist es ganz schlimm auf staatlicher Ebene, das bekommt die Bevölkerung gar nicht nicht so mit: Ein Universitätsstudiengang, der mit Sexualität zu tun hat, wird immer dann geschlossen, wenn der Lehrstuhlinhaber in Rente geht. In 10, 15 Jahren wird sich das auch auf die Bevölkerung auswirken. Schon heute wissen die Leute, wenn sie sexuelle Probleme haben, oft nicht mehr, wo sie hingehen können. Viele fragen sich, bin ich normal oder ist der Porno im Internet die Normalität? Eine andere Form von Prüderie ist auch die Mode, sich im Genitalbereich zu rasieren.
Aber das soll doch eher den sexuellen Reiz erhöhen.
Seikowski: Früher galt ein Busch im Genitalbereich noch als etwas erotisches, heute sagen Jugendliche «Ih». Die Natürlichkeit wird weggenommen.
Warum Naturvölker schamlos Brustwarze zeigen
Zurück zur Brust. Beim Karneval in Rio zeigen die Frauen gerade wieder Brust inklusive Brustwarze. Ist das eine kulturelle Frage?
Seikowski: Das ist Ausnahmezustand, aber sie freuen sich sicher, dass sie mal was zeigen können. Kulturhistorisch sind das Reste von früheren Kulturen, wo einmal im Jahr Orgien stattfanden, bei denen Jeder mit Jedem durfte. Das hatte eine regulierende Bedeutung: Was sich sexuell anstaut, muss irgendwann raus. Diese Traditionen wurden von der Kirche aufgehoben.
Bei vielen Naturvölkern zeigen die Frauen ihre Brüste ebenfalls komplett - inklusive erogene Zone.
Seikowski: Dort ist das Gang und Gebe, die erogene Zone wird dadurch, dass sie ständig präsent ist, weniger wahrgenommen. Man verhält sich ein bisschen wie Tiere, und das männliche Tier begattet auch nicht die ganze Zeit das Weibchen, sondern nur, wenn es signalisiert, dass es bereit ist. Bei Naturvölkern ist das Normalität, und im FKK- und Sauna-Bereich gewöhnt man sich ja auch daran.
Wie ist es denn beim Mann? Der hat ja auch Brustwarzen und zeigt sie schamlos.
Seikowski: Da spielen auch biologische Faktoren eine Rolle. Die Brust wird auch deshalb als erogene Zone empfunden, weil sie Sicherheit für das Aufwachsen von Nachwuchs garantiert. Die weibliche Brust weckt den Zeugungsinstinkt des Mannes, die männliche Brust hat da keine Funktion.
Kurt Seikowski ist Psychologe an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Universitätsklinikums Leipzig. Er beschäftigt sich in seinen Studien mit Sexualverhalten und steht der Gesellschaft für Sexualwissenschaft vor.
juz/news.de
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