Vor drei Jahren hat Siegfried Grawert die lästigen Klamotten abgeworfen. Seitdem traut er sich, in der Öffentlichkeit so zu sein, wie er am liebsten ist: nackt. Er trete damit niemandem zu nahe, findet Grawert, und kämpft gegen Vorurteile in der Gesellschaft und bei Richtern.
Die Appenzeller sind es leid, nackte Deutsche durch ihre Berge spazieren zu sehen. 200 Franken (135 Euro) muss ab sofort blechen, wer seinem Bedürfnis nach Einklang mit der Natur in diesem Schweizer Kanton nachgibt.
Per Strafgesetz verbietet das Parlament des Kantons Appenzell-Innerrhoden seit Sonntag das Nacktwandern. Damit steht es auf der Verbotsliste neben Urinieren in der Öffentlichkeit, Lärm, grobem Unfug und wilder Müllentsorgung. Eine Wandergruppe aus Deutschland hatte die Region rund um den Alpstein zu ihrem FKK-Paradies auserkoren und übers Internet publik gemacht.
Für Siegfried Grawert ist dies ein Beweis mehr, dass die Behörden sich über grundlegende Menschenrechte hinwegsetzen. Seit drei Jahren kämpft er in Deutschland für sein Recht, nackt zu sein. Anfangs suchter er zum Nacktradeln noch den Schutz der Dunkelheit, «aber irgendwann fiel die letzte Hemmung ab, und ich habe mich kennengelernt, wie ich mich noch nie kennengelernt habe», schildert Grawert seine Befreiung von den Klamotten.
Seitdem genießt er, dass beim Wandern und Spazierengehen in der Natur keine Kleidung auf verschwitzter Haut reibt. «Es ist hygienischer und gesünder, man hält auch viel besser Temperaturen aus», hat Grawert festgestellt. Der Körper lerne ohne Kleidung, sich seiner Umwelt anzupassen. Und sie im Gegenzug zu schonen. So verbrauche er, obwohl er sich nicht bedeckt, weniger Heizenergie, spart Geld, weil er weniger Kleidung kauft, und Wasser, weil er weniger Wäsche wäscht.
«Es ist einfach gut fürs Wohlbefinden und hat nichts mit Exhibitionismus zu tun», betont Siegfried Grawert. Dieses Missverständnis ist sein großer Kampf. «Manche Leute trauen sich ja kaum, das Wort ‹nackt› auszusprechen.» Zweimal bereits stand er vor Gericht, weil ihm der Paragraph 118, Erregung öffentlichen Ärgernisses, zum Verhängnis wurde. Nacktsein aber sei keine sexuelle Handlung, es sei überhaupt keine Handlung, sondern ein Zustand, und als solcher auch nicht strafbar, sagt Grawert.
Weil nicht alle Menschen diese Ansicht teilen, verbirgt er beim Wandern sein Geschlechtsteil inzwischen hinter einem Tüchlein. «Viele meinen, es sei verboten, und zeigen es deshalb an», erklärt er. Eine Ordnungswidrigkeit, die teuer werden kann.
Dass die Behörden sensibel reagieren, um sexuelle Abartigkeiten zu bekämpfen, findet Grawert eigentlich gut. Doch er wehrt sich dagegen, mit solchen Sraftaten über denselben Kamm geschert zu werden. Zur Zahlung von 500 Euro hat ihn ein Gericht bereits verdonnert. Weil er nicht zahlen wollte, saß er sieben Tage lang in Zwangshaft.
Warum nicht alle FKK-Freunde einer Meinung sind
Ganz andere Erfahrungen hat Michael Zauels mit dem Nacktsein gemacht. Er hält südlich von Bonn Pferde und reitet seit acht Jahren mit Gleichgesinnten ohne Kleidung durch die umliegenden Wälder. «Ich wusste zwar, dass es nichts Verwerfliches ist, aber dass die Leute so freundlich darauf reagieren, hätte ich nicht gedacht», sagt er. Probleme mit der Polizei hatten sie daher nie. «Bei uns ist die Gefahr, für Exhibitionisten gehalten zu werden, natürlich auch geringer als bei Wanderern. Das Pferd verdeckt viel», räumt Zauels ein.
Reiten ohne Kleidung sei wie Klavierspielen ohne Handschuhe, viel direkter. Auch die Arbeiten auf dem Hof macht er am liebsten nackt: «Ich merke, wie ich abgehärtet werde und ein Integralgefühl mit der Natur entsteht.»
Dieses Gefühl suchen auch die Sportler im Deutschen Verband für Freikörperkultur. 160 Gelände hat der Verein in ganz Deutschland, ganz anders als Nacktwanderer oder -reiter erschließen sie jedoch nicht die Öffentlichkeit für sich. Verbandsvorsitzender Kurt Fischer legt großen Wert darauf, die Schamgrenze von Nicht-FKKlern schonen zu wollen. «Es geht um gegenseitige Rücksichtnahme auch den Angezogenen gegenüber», betont er. Fischer will gerade unter jungen Leuten eine neue Prüderie ausgemacht haben, die es den Naturisten besonders schwer macht.
Auch das würde Siegfried Grawert gern ändern. «Ich möchte helfen, zwischenmenschliche Beziehungen zu verbessern, dass man den anderen so akzeptiert, wie er auf die Welt gekommen ist», sagt er. Dazu gehört für ihn auch, sich nackt nicht auf abgeschlossenen Geländen verstecken zu müssen.
Dabei fühlt sich Grawert im Osten Deutschlands wohler als in Mittelfranken, wo er lebt. Dass FKK in der DDR viel populärer war als im Westen, merkt er noch heute, beim Wandern in der Sächsischen Schweiz. Selbst die Naturparkleitung habe offiziell erklärt, sie sehe keinen Anlass, dem zunehmenden Nacktwandern entgegenzutreten, berichtet Grawert.
Richtig offiziell wird das Wandern im Lichtgewand vermutlich bald im Harz. Wenn das Ordnungsamt Harzgerode ihm jetzt nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht, beginnt vor dem Campingplatz von Heinz Ludwig in Wippra bald der erste deutsche Nacktwanderweg.
«Willst du keine Nackten sehen, dann kannst du hier nicht weitergehen» wird Ludwig dann auch ein Schild schreiben, damit sich kein Angezogener erschreckt. Von Wippra zur Talsperre in Dankerode soll der «Zipfelweg» dann führen. Fürs ruhige Wipper-Tal, wo der Tourismus sich bisher dahinschleppt, sind die Naturisten das perfekte Publikum. Denn die suchen Ruhe und Orte, wo sie sich nicht verstecken müssen.
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