Ich halte durch, noch immer, mit Leichtigkeit. Und inzwischen sogar mit Schadenfreude. Denn ich habe entdeckt: Auch andere Leute leben ohne Alkohol, sie müssen sogar.
Gemeint ist mein guter Freund Jens, von dem an dieser Stelle schon einmal die Rede war. Wir treffen uns regelmäßig zu Billard-Duellen, und meistens gewinne ich. Diesmal hatte ich aber noch einen ganz anderen Grund zum Jubilieren: Zuletzt hatte mich Jens stets mit einem verachtenden Blick gestraft und mit Grundsatzfragen über Sinn und Unsinn der Fastenzeit durchlöchert, wenn ich während unserer Partien zu Bionade statt zu Beck's griff. Nun muss er selber quasi enthaltsam leben.
Im Gegensatz zu mir verzichtet er aber nicht freiwillig auf Alkohol. Bei mir geht es um ein Experiment. Bei ihm geht es um die Existenz.
Jens muss abnehmen. Zehn Kilo in drei Monaten, auf Anordnung des Amtsarztes. Nur wenn er es schafft, wird er für den Rest seines Lebens Beamter sein. Denn der Staat will schließlich Diener haben, die gesund und fit sind. Das finde ich vollkommen nachvollziehbar. Jens hingegen ist empört, und abstinent, zumindest beinahe.
Seine neue Diät beinhaltet einen weitgehenden Verzicht auf Genuss aller Art, insbesondere auf Alkohol. Zumindest hatte er das am Telefon so angekündigt. Einmal vor Ort in unserer Stammkneipe, konnte er dem Gerstensaft aber doch nicht abschwören. Immerhin ein Bier gönnte sich Jens während unserer Billardrunde (die ich übrigens mit 7:4 gewann). Zwei Stunden schlürfte er an seinem Glas herum. Ich war nicht neidisch, ich mag Bier nicht, wenn es zwei Stunden alt ist, und trinke es auch sonst eigentlich nur wegen der schicken grünen Flaschen. Aber ich litt mit ihm.
Es war wie eine Spiegelung meines früheren Ich: Auch ich war einmal der Meinung, Bier und Billard seien untrennbar verbunden. Auch ich dachte, ich könnte die Schmach nicht ertragen, an der Theke einen Saft, einen Tee oder ein Wasser zu bestellen. Auch ich dachte, dass ich ja wohl selbst darüber bestimmen kann, was ich meinem Körper antue.
Doch inzwischen, nach 28 Tagen ohne Alkohol, bin ich darüber hinweg. Ein Gefühl der Überlegenheit machte sich in mir breit: Bei mir gab es keinen Zwang, keine Instanz, vor der ich mich rechtfertigen musste - außer mir selbst. Dennoch hatte ich Nein gesagt, konsequent, immer wieder. Jens jedoch wurde beim ersten Anblick eines Zapfhahns schwach.
Und deshalb verfiel ich genau in das Schema, das ich in den vergangenen Wochen so zu hassen gelernt habe: Ich begann, Jens aufzuziehen. «Na, schmeckt's?», «Soll ich Dir noch was von der Theke mitbringen?», «Du solltest mehr trinken, dann triffst Du auch.» Mit Sprüchen solcher Art machte ich mich natürlich nicht über die Abstinenz lustig, sondern über die Inkonsequenz. Und ich rächte mich für all die Provokationen, denen ich in den vergangenen Wochen ausgesetzt war. Die Enthaltsamkeit schlägt zurück, sozusagen. Und Jens war das Opfer.
Später fand ich das ein bisschen albern. Vielleicht hätte ich ihn lieber aufbauen, motivieren sollen, ihn an meinen Erfahrungen teilhaben lassen. Ich musste einsehen: Als Abstinenter ist man vielleicht gesünder. Aber noch lange kein besserer Mensch.
ruk
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