Lesen Sie auf Seite 4, wie es Edda Schönherz im Frauenzuchthaus Hoheneck erging
- «Ich habe nicht gewusst, dass ich so wichtig war» Seite 1
- Bild: Edda Schönherz «Ich habe mein Gehirn eingeschaltet. Ich bin kein Mensch, den man in irgendwelche Normen reinpressen kann, sondern ich mache mir meine eigenen Gedanken aus dem, was ich sehe und erlebe. Mich störte an der DDR vor allem, dass die Grundrechte nicht eingehalten wurden. Grundrecht auf Freiheit, die Menschenwürde, Ehre, das Recht, freie Entscheidungen zu treffen, freies Gedankengut, freie Rede, freies Reisen, dass ich entscheiden kann was ich lese oder sehe, was ich anziehe.» Im August 1974, Edda Schönherz war mit ihren beiden Kindern auf Urlaubsreise in Ungarn, erkundigte sie sich in den Botschaften der Bundesrepublik, Großbritanniens und der USA nach Möglichkeiten, die DDR zu verlassen. «Natürlich habe ich das herausgefordert. Ich wusste schon, dass man in der DDR was dagegen hatte», erzählt die heute 64-Jährige. Ihre Aktion blieb nicht verborgen. Sämtliche Botschaften nichtsozialistischer Länder waren bereits bei der Erbauung mit Wanzen und Kameras ausgestattet worden. Zwei Tage lang hielt der ungarische Geheimdienst Edda Schönherz und ihre Kinder, damals elf und zwölf Jahre alt, in Ungarn fest und verhörte sie. «Die Ungarn haben ein Kopfgeld für jeden DDR-Bürger bekommen, den sie der Stasi ans Messer lieferten», sagt Schönherz. Doch die Familie kam vorerst frei. Man habe, erklärten die Ungarn damals, den Kollegen in der DDR aus humanitären Gründen nicht über den Vorgang Bescheid gegeben. Edda Schönherz habe die Wahl, entweder in Ungarn zu bleiben oder zurück in die DDR zu reisen. «Da stand für mich fest, dass die Lügen, bis sich die Balken biegen.» Sie sollte Recht behalten. Als die Familie in die DDR zurückkehrte, war die Staatssicherheit bereits informiert. Die Spitzel am Flughafen blieben Edda Schönherz nicht verborgen. Aus ihren Akten konnte sie 1993 entnehmen, dass sie von diesem Moment an rund um die Uhr observiert wurde. Jede ihrer Bewegungen wurde penibel von Mitarbeitern der Stasi notiert, ihre Wohnung und das Telefon mit Hilfe von Wanzen abgehört. Am Morgen des 9. Septembers, nur eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Ungarn, standen elf Männer versammelt am Bett von Edda Schönherz. Sie wurde gebeten, «zur Klärung eines Sachverhalts» mitzukommen. «Damals konnte ich nicht ahnen, dass dieser Sachverhalt drei Jahre lang dauern sollte», sagt sie heute mit einer Spur Sarkasmus. Seite 2
- Nach einem zweitägigen Verhör in der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg wurde Edda Schönherz nach Berlin-Hohenschönhausen transportiert, der zentralen Untersuchungshaftanstalt der Stasi. Nach vier Stunden Fahrt quer durch die Hauptstadt, ein beliebtes Mittel zur Desorientierung der Häftlinge, kam die damals 30-Jährige ahnungslos in der Gefängnisschleuse an. «Plötzlich gingen die Scheinwerfer an und wir mussten einzeln aus dem Auto raus. Vom Dunkeln ins Scheinwerferlicht, ohne zu wissen, was los ist, wo du bist. Wir mussten den Kopf unten lassen, durften uns nicht umschauen», erinnert sich Schönherz. Was es zu DDR-Zeiten bedeutete, ein politischer Häftling zu sein, bekam sie schnell zu spüren. «Man legte mit Betreten der Haftanstalt seinen Namen, alle Grundrechte und die Menschenwürde ab. Man war allem ausgeliefert, hatte keine Wehrmöglichkeiten. Wir mussten uns ausziehen, vollkommen nackt. Dabei hat doch jeder Mensch ein Schamgefühl. Wir wurden einer Körperuntersuchung unterzogen. Wir mussten Kniebeugen machen und uns bücken, dabei wurden alle Körperöffnungen mit Gummihandschuhen untersucht. Diese Erniedrigung. Uns wurde gezeigt, was ein Mensch hier wert ist.» Intime Minuten, Zeit für sich, hatte Edda Schönherz in Hohenschönhausen nicht. Sie stand unter ständiger Beobachtung. In der Zelle, etwa zwei mal drei Meter, war sie entweder allein oder mit einer weiteren Gefangenen untergebracht. «Alle fünf Minuten ging der Spion auf und das Licht an, wir durften uns nicht hinlegen, nur sitzen, aber nicht anlehnen. Wenn man doch mal eingeschlafen war, wurde heftig an die Tür geklopft. Das Eisen schepperte so laut», berichtet sie. Der Haftalltag brachte kaum Abwechslung. Wecken um 6 Uhr, danach Frühstück. Anschließend mussten die Zellen von den Häftlingen mit Lappen und Kernseife gereinigt werden. Je nach Belieben der Wärter durfte der tägliche Rundgang von bis zu einer halben Stunde auf dem Hof gemacht werden. Bettruhe war um 22 Uhr. Seite 3
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Ihre Verhöre mit den Mitarbeitern der Staatssicherheit erlebte Edda Schönherz ganz unterschiedlich. Mal war ihr der Vernehmer freundlich, fast väterlich gesonnen, dann wieder feindlich. Die Hände musste sie während der gesamten Vernehmung unter die Oberschenkel klemmen. Eine Taktik, erklärt Schönherz, um die Häftlinge müde zu machen, ihnen die Konzentration zu rauben. Am 23. Dezember 1974 machte die Staatssicherheit der ehemaligen Moderatorin des DDR-Fernsehens ein ihren Worten zufolge besonderes Weihnachtsgeschenk: Im Namen des Volkes sollte ein Richter das Urteil über Edda Schönherz fällen. «Ich fragte den Richter damals, wo denn das Volk sei. Die Verhandlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.» Gegen Edda Schönherz wurden folgende Anklagepunkte hervor gebracht: Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall (ihre Kinder waren dabei), staatsfeindliche Verbindungsaufnahme sowie zoll- und devisenrechtliche Vergehen. Das Strafmaß wurde auf drei Jahre festgesetzt. Erst aus ihren Akten konnte sie später ersehen, dass sich der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke persönlich mit ihrem Fall befasst hatte. «Ich hab gar nicht gewusst, dass ich so wichtig war.» Nach einem halben Jahr U-Haft in Hohenschönhausen verbrachte sie zwei weitere Wochen in der Untersuchungshaftanstalt in der Berliner Keibelstraße. «Das war so dreckig dort, ich hab mich richtig geekelt und war froh, als ich da endlich raus kam. Angekettet ging es dann zum Berliner Ostbahnhof, dort bildeten wir eine Menschenkette im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sind alle zusammen angekettet über den Ostbahnhof gelaufen, die Menschen haben das scheinbar gar nicht für voll genommen, uns nicht bemerkt.»Seite 4
- Nach dreieinhalb Tagen Fahrt gelangte Edda Schönherz nach Hoheneck. Wo sie war, erfuhr sie jedoch erst in der Zugangszelle: dem berüchtigten Frauenzuchthaus der DDR. Ihre Kinder hatte sie in Hohenschönhausen nicht zu Gesicht bekommen und auch in Hoheneck wurde ihr der Kontakt zu ihnen verwährt. Keine 18 Jahre alt und somit nicht volljährig seien beide viel zu jung, um eine Strafanstalt besuchen zu dürfen. Mit dem Wechsel nach Hoheneck verschlechterten sich auch die Haftbedingungen. «Hoheneck war überfüllt. Es gab in der ersten Zeit keine Heizung und kein Warmwasser. Wir haben zum Teil auf dem Boden geschlafen und uns mit unseren Sachen zugedeckt. Es war wahnsinnig kalt», erinnert sich Schönherz. «Irgendwann gab es mal Graupensuppe und bei mir schwamm ein Mausefell drin. War ja auch kein Wunder. Hoheneck ist eine alte Burg und die haben die Säcke auf dem Speicher gelagert. Dort gibt es natürlich auch Mäuse und Ratten. Die werden dann halt mit in den Topf geschmissen. In der Großküche fällt das ja nicht auf. Mir tat nur die Maus leid.» Um die Zeit in Hoheneck zu überstehen, hatte sich Edda Schönherz einen Schutzwall aufgebaut. So wenig wie möglich an sich und die eigene Seele heran lassen, war ihre Devise. «Was im Nachhinein geblieben ist, ist eine ganz andere Sache. Das sind einfach Narben auf der Seele», blickt die heute 64-Jährige zurück. Am 8. September 1977 wurde Edda Schönherz entlassen. Ihre Karriere beim Fernsehen der DDR war beendet. Nichts hielt sie mehr in ihrem Heimatland. Immer wieder stellte sie für sich und ihre beiden Kinder Anträge auf Ausreise in den Westen, auch beim Ministerrat der DDR und bei Erich Honecker persönlich. Immer wieder wurden diese abgelehnt mit der Begründung, man könne nicht riskieren, sie gleich morgen wieder auf den Fernsehbildschirmen des Westens zu sehen. Erst zwei Jahre später durfte sie gehen. «Ich wurde gefragt, wann ich ausreisen möchte und ich hab gesagt: morgen. Der Beamte meinte gleich ‹Um Himmels Willen, wieso denn gleich morgen, sie haben doch Zeit›, aber bevor die sich das wieder anders überlegten...» Am 12. Dezember 1979 verließen Edda Schönherz und ihre mittlerweile 14- und 15-jährigen Kinder die Deutsche Demokratische Republik. Die Rechnung der Stasi war nicht aufgegangen, denn nur wenige Monate später stand die mittlerweile 35-Jährige wieder vor der Kamera. 20 Jahre lang arbeitete sie unter anderem als Ansagerin und Moderatorin beim Bayrischen Fernsehen. Seite 5