Drei junge Brüder verließen 2004 Bielefeld, um die Welt zu bereisen und das Internet zu erobern. Gekommen sind sie bis nach China. Von ihrem Erfolg eingeholt, gründeten sie eine Firma und setzen inzwischen Millionen um. Ein Besuch in Schanghai.
Der Sommer 2004 gab sich alles andere als märchenhaft. Deutschland war sang- und sieglos bei der Fußball-Europameisterschaft ausgeschieden. Das passte gut ins Bild. Denn es gab wenig, was David, Julius und Robert Dreyer zum Bleiben hätte bewegen können. Die Bundesrepublik, besonders ihr Heimatort Bielefeld, erschien ihnen zu eng. Sie wollten reisen, die Welt sehen. Und unterwegs im Internet das Geld dazu verdienen.
Mit dem World Wide Web, so ihre Hoffnung, ließe sich globales Nomaden- mit Unternehmertum verweben. David (22) und Julius (20) hatten nur noch darauf gewartet, bis ihr kleiner Bruder das Abi in der Tasche hatte. Dann schnappten sie ihn und stiegen in den Flieger, drei Weltreisende.
Montagmorgen, knapp neuntausend Kilometer östlich von Bielefeld. Die Straßen Schanghais flirren in der Hitze, die opake Brühe des Suzhou-Flusses, der die Yi-Chang-Straße ein Stück weit begleitet, gluckert träge im Bett. Am Ende der Straße liegt das Büro dreier «Lao Wai» – «Fremder». So werden Nichtchinesen von Chinesen genannt.
Im ersten Stock, auf einer Art Bürobalkon, sitzt Julius Dreyer hinter einem großen Flachbildschirm, weißes T-Shirt, Shorts, die Beine leger übereinander geschlagen. Am Nebentisch sein Bruder David. Von hier oben haben sie gute Sicht auf ihr Großraumbüro. «Im Rückblick», sagt Julius und meint die Flucht aus Bielefeld, «war das jugendliche Kurzsinnigkeit». David nickt. Die beiden lachen über ein Früher, das erst vier Jahre vergangen ist.
Schanghai sollte die erste Station ihrer Weltgeschäftsreise sein. Schanghai, das war zugleich auch die Endstation ihrer Reise. Schlecht war das nur fürs Nomadentum: Heute haben die Dreyer-Brüder in ihrem zweistöckigen 1000-Quadratmeter-Büro gut 40 Mitarbeiter aus mehr als zehn Nationen um sich versammelt. Die meisten sind älter als die Brüder, viele zehn, manche zwanzig Jahre.
Sie nennen sich The Netcircle. Sie haben sich auf Social CommunitysEine Internetseite, auf der Menschen gleicher Interessen, gleicher Berufsfelder, gleicher Wohnorte oder anderer verbindender Elementen zusammenkommen, ihre Person präsentieren und sich austauschen können. spezialisiert – und virtuelle Anlaufstellen für Schulfreunde, für Homosexuelle, für Fans von One Night Stands erdacht. Viele der Seiten sind halbgare Testballons, die unbeachtet im Gewusel des Internets verschwinden. Manche aber haben abgehoben.
Wie die Bielefelder mit einfachen Ideen viel Geld verdienen
Auf bis zu 170 Millionen Klicks bringen sie es inzwischen pro Monat. Zwei Millionen Nutzer, manchmal 14.000 zugleich, tummeln sich auf den Seiten. Damit lässt sich ordentlich verdienen. Durch Werbung und durch kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaften, mit denen sich Seitenbesucher zusätzliche Funktionen kaufen können. Der Umsatz liegt im siebenstelligen Bereich.
Schon in einem Alter, als sie an damals noch deutschen Supermarktkassen noch nicht einmal Bier bekamen, hatten Julius und David Dreyer im Internet ihr erstes Geld verdient. Sie kauften einprägsame Internetseiten wie konzert.de und programmierten sie obendrein so, dass sie leicht von Suchmaschinen gefunden werden.
Wen sie auf ihre Seiten gelockt hatten, leiteten sie via Link zu anderen – ernsthafteren, aber schlechter zu findenden – Anbietern weiter, die ihnen dafür jeweils ein paar Cent Vermittlungsgebühr überwiesen. Manche ihrer heutigen Internetprojekte funktionieren noch immer nach diesem simplen, aber sehr effektiven Prinzip.
Bis 2004 war so genug Geld für eine Weltreise zusammengekommen. «Eigentlich wollten wir zuerst nach Spanien gehen, nach Portugal, die ganzen üblichen Destinationen abklappern», erklärt Julius. Doch ihr Vater drängte: Zumindest solle eine solch lange Reise sie auch die Karriereleiter hinaufführen! Er drückte ihnen einen Artikel über Schanghai in die Hand, die «Stadt der Zukunft», hieß es darin. Noch am selben Tag buchten sie ihren Flug.
In der Zukunft angekommen, mieteten die Brüder ein Sechs-Zimmer-Apartment an. Von hier aus betrieben sie ihr Internet-Geschäft. Kauften Dutzende Domains, gründeten Communitys, stießen Domains wieder ab. Waren Marktschreier und Schnäppchenjäger zugleich auf einem virtuellen Basar, wo Namen und Ideen bares Geld wert sind.
Der Basar meinte es gut mit ihnen: Eine jener neu gegründeten Communitys, die Dating-Seite mit dem schlüpfrigen Namen poppen.de, wurde von Besuchern regelrecht überrannt. Die Seite stieg innerhalb kurzer Zeit zu einer der größten Kontaktbörsen im deutschsprachigen Internet auf.
Wohin die Geschäftsreise der Weltenbummler gehen soll
Vater Dreyer war zufrieden. Der sehe die Sache eben aus unternehmerischer Sicht, erklärt Julius. Die Mutter sei nicht so erfreut gewesen – schon gar nicht über den Posten ihres jüngsten Sprosses: Robert ist nun Produktmanager bei poppen.de. «Sie findet, bei einer Seite wie poppen.de ist nicht genug Liebe im Spiel», sagt Julius.
Die Dreyer-Brüder ließen sich davon nicht ausbremsen. Sie legten in ihrer Mietwohnung in Schanghai Nachtschichten ein, um die unter dem Nutzeransturm ächzende Seite am Laufen zu halten. Sie holten sich Programmierer und Webdesigner in das Apartment, immer mehr, bis dieses Ende 2007 einer Legebatterie für Computerspezialisten glich. Dreißig von ihnen quetschten sich allmorgendlich vor die Bildschirme, Bürostuhl an Bürostuhl. Lediglich die deutschsprachige Kundenbetreuung wurde an ein Callcenter in Berlin ausgelagert.
Wachse und weiche: Als die Stadt den Bielefelder Jungunternehmern die alte Lagerhalle am Suzhou-Fluss als Arbeitsquartier anbot, war das für beide Seiten ein gutes Geschäft. Sie restaurierten vier Monate lang die alten Gemäuer, im Gegenzug garantierte ihnen die Stadt fünf Jahre Bleiberecht und eine marktunüblich niedrige Miete.
Vor einigen Wochen ging das jüngste Netcircle-Projekt ins Netz: gays.com, eine englischsprachige Social Community für Schwule und Lesben. Die Seite soll zu einer Art Gaysbook werden – nicht um das schnelle Date mit schnellem Sex soll es gehen, sondern, wie beim großen Vorbild Facebook, um das Knüpfen und Verwalten langfristiger Bekanntschaften. Mit der Seite will die Bielefelder Bruderschaft den internationalen Markt in Angriff nehmen und zugleich das Selbstbewusstsein der Gay-Szene stärken.
Auch bei Netcircle gibt man sich selbstbewusst. Bis Jahresende, erklärt Julius, soll die Belegschaft um fünfzig Prozent aufgestockt werden. Wachse! Und weiche? Die drei Bielefelder Brüder wollen nach Jahren ausschließlichen Unternehmertums nun auch die Sache mit dem Nomadentum wieder aufleben lassen. «Internetgeschäfte lassen sich schließlich von überall aus machen», sagt Julius, und wenige wissen das besser als er. Die Weltgeschäftsreise kann weitergehen. Die Reisekasse ist gut gefüllt.
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