Kirchenvertreter warfen im Kino Stinkbomben, Tugendwächter ereiferten sich: Der Film «Die Sünderin» mit Hildegard Knef provozierte Anfang der 50er Jahre einen der ersten Skandale der jungen Bundesrepublik.
Wiesbaden (dpa) - Kirchenvertreter warfen im Kino Stinkbomben, Tugendwächter ereiferten sich: Der Film «Die Sünderin» mit Hildegard Knef provozierte Anfang der 50er Jahre einen der ersten Skandale der jungen Bundesrepublik.
Sieben Sekunden lang war die Knef nackt zu sehen, es ging um Tabus wie Prostitution und Selbstmord. Das Publikum ließ sich davon nicht abhalten. Im Gegenteil: Es strömte in die Lichtspieltheater. Offenbar waren im Nachkriegsdeutschland nicht nur brave Heimatfilme gefragt, sondern auch eine Portion Sex.
«Die erotischen 50er» hat das Deutsche Filmhaus in Wiesbaden eine Filmreihe und eine Plakatausstellung getauft, die von Dienstag bis zum 31. Oktober läuft. Die Organisatoren versuchen eine Ehrenrettung des spießigen Jahrzehnts. Natürlich spielte Erotik in Adenauer-Zeiten keine öffentliche Rolle, sagte Ernst Szebedits, Vorstand der Murnau-Stiftung. «Im Kino fand sie doch statt.»
Deutschland war nach 1945 ein Land mit Frauenüberschuss. Die Vergangenheit wurde verdrängt, das Land wurde neuaufgebaut. Die Frauen waren in neue Aufgaben hineingewachsen, die Männer kehrten versehrt an Körper und Seele aus dem Krieg zurück. Was war das Wichtigste für sie? Die Moral der Frauen zu bewachen - so deutet Szebedits die damalige gesellschaftliche Situation. Zeitgenössische Kritiker ereiferten sich über Knefs «Sünderin»: Man sei nicht gewillt, «derartige Machwerke weiterhin widerspruchslos hinzunehmen».
Doch an den Kinokassen verkaufte sich eine Prise Erotik gut. Wer galt denn als Sexsymbol im deutschen Film der 50er Jahre? Bei den Frauen fallen Filmmann Szebedits die Knef, Eva Bartok oder Sonja Ziemann ein («die Doris Day des deutschen Films»). Bei den Herren waren es der «normannische Kleiderschrank» Curd Jürgens, der junge Horst Buchholz, mit Abstrichen auch O.W. Fischer.
Unverhohlen warben Kinobetreiber auf den Plakaten mit weiblichen Reizen. In dem neorealistischen Klassiker «Bitterer Reis» (Italien/1949) glänzte Filmschönheit Silvana Magnano nicht nur auf der Leinwand. Auch auf den Werbeplakaten war ihr Busen der Hingucker. Nicht immer hielten die Filme, was draußen die Werbung versprochen hatte. Auf dem Plakat von «Das Bad auf der Tenne» (1955) zeigte die Ziemann ziemlich viel Bein. Der Film selbst war eine eher biedere Kostümkomödie.
Nacktheit war ein ständiges Schlachtfeld zwischen Filmindustrie und Zensoren, das zeigt die Wiesbadener Ausstellung. Es ging um Zentimeter. Da half nichts, dass auf einem Werbefoto der jungen Brigitte Bardot ein Teil des Dekolletés wegretuschiert werden sollte. Die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) blieb bei ihrem Nein.
Der Streifen «Rummelplatz der Liebe» wurde 1954 mit einer nackten Rückenansicht von Curd Jürgens beworben. Er hielt die ebenfalls knapp bekleidete Bartok im Arm. 1961 kam der Film erneut in die Kinos unter dem noch anzüglicheren Titel «Und immer lockt die Sünde». Doch das Plakat wurde nun als zu aufreizend empfunden. Kinobesitzer mussten Jürgens ein schwarzes Unterhemd auf die nackte Rückfront kleben.
Den zeitlichen Schlusspunkt der Filmreihe setzt «Das Mädchen Rosemarie» von 1958 über den Frankfurter Fall der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. In dieser Moritat konnte sich die Bundesrepublik mit ihrer Doppelmoral schon selbst auf den Arm nehmen.
Es folgten die Jahre des neuen deutschen Films, der politisch und gar nicht mehr erotisch war. Heutzutage werden Filme nicht mehr mit Plakaten beworben, sondern mit Trailern im Kino und im Internet. Die weiblichen Kurven im Großformat würden nicht mehr als politisch korrekt gelten, meint Szebedits: «Viele Verleiher hätten heute große Probleme, solche Plakate aufzuhängen.»
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