Techno startete in Deutschland in den 1990er Jahren als innovative Tanzmusik jenseits fester Konventionen. Heute unterliegt Techno jedoch viel klareren Regeln als viele andere Richtungen wie beispielsweise Jazz. Ein Essay.
Es war einer der größten Frevel der Musikgeschichte: Ein gewisser Jason Nevins schnappte sich 1998 den alten Run DMC-Klassiker It’s like that und passte ihn den Hörgewohnheiten der heutigen Zeit an. Wirklich viel hat Nevins eigentlich nicht getan. Der amerikanische Remixer fügte lediglich eine weitere Tonspur hinzu, die einfach nur kräftig Bumm-Bumm macht.
Dem Oldschool-Klassiker hat das zwar zu neuen Höhenflügen in die Charts verholfen – immerhin ging die Scheibe fünf Millionen mal über den Ladentisch – aber ein musikalischer Fortschritt, sei es durch ein aufregendes Arrangement oder neue Sounds, war das nun wahrlich nicht.
Insgesamt scheint es von außen betrachtet so, als stecke die Techno-MusikIm Gegensatz zu experimentierfreudigeren Gattung der elektronischen Musik wie Drum and Bass oder Experimental. in der Sackgasse – trotz der grenzenlosen Möglichkeiten bei der Wahl der Klänge. In den meisten Clubs läuft seit Jahren der so genannte Minimalsound. Elementarmes Gedudel, welches einen wachen Geist bereits nach zehn Minuten einschlafen lässt.
Die DJs mühen sich bei Minimal stundenlang ab, um zwei ohnehin austauschbare Platten so unauffällig wie möglich ineinander zu mischen. Zu viel Abwechslung würde die Technojünger wahrscheinlich völlig aus der Trance bringen.
Warum nur dieser Rückschritt in der Songstruktur? Warum nur diese Monotonie mit endlosem 4/4-Takt und tickenden Hihats? Ist Technomusik dieser Art etwa das Ende einer langen Suche nach einem idealen Sound für Menschen, die einfach nur abschalten wollen?
Was die Wissenschaft über die Wirkung sagt
Techno ist eine Tanzmusik, bei der man alle Konventionen fallen, sich vollständig dem Klang hingeben und alle seine Sorgen vergessen kann. Die Psychologie erklärt diese Wirkung durch Monotonie und Lautstärke: Durch den enormen Schalldruck und die tiefen Frequenzen werden das menschliche Nervensystem sowie die Atem- und Herzfrequenz beeinflusst. Und durch die Betonung bestimmter Teile der Musik in immer wiederkehrender Weise werden alle übrigen Sinneseindrücke in den Hintergrund gedrängt.
Techno funktioniert durch die Erregung von Prozessen tief im Inneren des Menschen, wobei die gedankliche Verarbeitung der Musik eine geringe Rolle spielt. «Techno ist als die Besinnung auf dieses basaleAn der Basis des Gehirns liegend Kompositionsprinzip zu sehen, die Komposition des Acoustic DrivingsDieses Phänomen tritt besonders bei der Rhythmuswahrnehmung auf. Dadurch kommt es zu einer Veränderung der bioelektrischen Hirnaktivität und der Puls- und Atemreaktion. », versucht Professor Werner Jauk von der Universität Wien das Phänomen zu erklären. «Die Technoästhetik weist ausdrücklich darauf hin, dass es nur um die erregende Wirkung und nicht um die zeichenhafte Bedeutung des Klanges geht», so Jauk.
Gibt sich der Tänzer dem Sound hin, soll er von einem physisch-psychischen Wohlbefinden überflutet werden. Die Strukturen von Raum und Zeit lösen sich in seinem Kopf auf. Nur der Moment scheint ihm noch wichtig.
Und die Zuwendung?
Nicht jeder mag Techno, soviel steht fest. Es handelt sich dabei sicherlich um keine Musik zum genauen Hinhören und Verstehen. In den seltensten Fällen kann man sich nach einer Nacht überhaupt noch an eins der vom DJ aufgelegten Stücke erinnern. Es geht bei der Rezeption von Technomusik wahrscheinlich vor allem um das Abschalten und das Erleben des eigenen Ichs.
Die Psychologin Andrea Baldemair hat in einer Studie mittels Umfragen herausgefunden, dass Technotänzer die Bereitschaft teilen, sich auf Trance-Erlebnisse einzulassen und bis an die Grenze der persönlichen Belastbarkeit gehen. Entscheidendes Motiv für die jungen Leute ist laut Baldemair das Entdecken bisher unbekannter Aspekte der eigenen Persönlichkeit.
Ansonsten ist die wissenschaftliche Literatur zu diesem Punkt spärlich. Der folgende Versuch stellt nur eine Vermutung dar. Möglich könnte beispielsweise auch sein, dass die Zuwendung zu Techno einem tiefen Wunsch nach Kontrolle folgt.
Die Medienpsychologie konnte bereits nachweisen, dass Menschen, die nicht daran glauben, den Lauf ihres Lebens selbst bestimmen zu können, eher Daily Soaps anschauen als beispielsweise Manager oder Wissenschaftler, die ihr Leben nach eigenen Wünschen gestalten.
Warum ist das so? Die Wissenschaftler erklären die Zuwendung zu Seifenopern damit, dass die Zuschauer durch das Sehen dieser einfachen Formate den erlebten Kontrollverlust kompensieren. Das liegt den Erklärungen zufolge an der Perspektive des Betrachters, der bei Daily Soaps über alle Beziehungen der Protagonisten Bescheid weiß, während die Stars in der Serie im Dunkeln tappen. Somit sind Verlauf der Serie und Konflikte für ihn vorhersehbar, er betrachtet das Geschehen aus einer erhabenen Perspektive.
Was das nun mit Techno zu tun hat? Bei dieser Musik ist der Verlauf ebenso voraussehbar. Bassdrum und Hihats folgen einem klaren nachvollziehbaren Schema, und auch die einfachen Melodien überraschen kaum. Plötzliche musikalische Wendungen wie beim Jazz gibt es kaum. Und damit ist auch die Verarbeitung von Techno einfach.
bla/nbr/news.de