Von news.de-Mitarbeiterin Juliane Ziegengeist - Uhr

Studienabbrecher: Wenn das Studium zur Qual wird

Seine Hochschulausbildung abzubrechen, fällt schwer, ist aber oft das geringere Übel. Denn sich ohne Sinn und Ziel durch die Semester zu quälen, hilft keinem. Warum Abbrecher das Handtuch schmeißen und wie Sie vorbeugen können, erklärt news.de.

Abbrechen - ja oder nein? (Foto) Suche
Abbrechen - ja oder nein? Bild: dpa

Die schönste Zeit des Lebens? Für 24 Prozent aller Hochschüler trifft das auf ihr Studium nicht zu - sie brechen vorzeitig ab. Das geht aus dem Nationalen Bildungsbericht 2010 hervor. Zu viel Stress, zu wenige Erfolge, das falsche Fach. Gründe gibt es viele. Dass ein Abbruch nicht nur für die Betroffenen ein persönlicher Rückschlag sein kann, sondern auch Hochschulen und Wirtschaft Probleme macht, weiß Dr. Ulrich Heublein vom HIS-Institut für Hochschulforschung.

«Es ist eine Frage individueller und gesellschaftlicher Ressourcen, wenn jemand ein Studium abbricht», sagt er. «Die Gesellschaft investiert in die Studenten, nicht zuletzt, weil unser Studiensystem steuerfinanziert ist. Und das ist auch gut so. Wir brauchen hochgebildete Leute.» Doch gerade die fehlen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Deren ohnehin schon hohe Abbrecherquote von rund 30 Prozent sei mit Einführung der neuen Studiengänge noch gestiegen.

«Studenten sind in diesen Fächern schon häufig an den Studienanforderungen gescheitert. Mit dem neuen Prüfungsreglement des Bachelors hat sich das noch verschärft», sagt der Forscher. Das Niveau sei gleich zu Beginn des Studiums so hoch, dass Wissenslücken nur schwer aufzuholen seien. Sich im Studium orientieren zu müssen, einen neuen Lern- und Lebensrhythmus anzueignen, komme dazu. «Das ist eine fatale Mischung. Wir verlieren Leute, die es unter den alten Studienbedingungen geschafft hätten», glaubt Heublein.

Praxisbezug motiviert

Anders wirke sich der Bachelor auf die Abbrecherquote in den Kultur-, Geistes- sowie Sozialwissenschaften aus. Dort sei sie um etwa zehn Prozentpunkte zurückgegangen. «Vorher sind Studenten in diesen Fächern daran gescheitert, dass ihnen die Orientierung im Studium und für eine berufliche Weiterentwicklung gefehlt hat», erklärt Heublein. Der Bachelor schaffe ein klares Studienkorsett und habe dafür gesorgt, dass einige Studiengänge berufspraktischer ausgerichtet wurden.

Niedrige Abbrecherquoten haben auch Studiengänge wie Medizin, Rechtswissenschaften und die Lehramtsausbildung. Dort seien die Berufsbilder klar, die Studenten in der Regel hochmotiviert. Das gelte auch für Fachhochschulen, deren Studenten wegen des stärkeren Praxisbezuges seltener das Studium schmeißen.

Ganz aus bleiben die Abbrecher aber auch dort nicht. An der Fachhochschule Brandenburg wurde deshalb die Studienabbrecherberatung «Plan B» ins Leben gerufen, die Zweifler und Studenten unterstützt, die die Hochschule vorzeitig verlassen haben. Projektleiterin Ursula Schwill weiß, warum Studenten zu ihr kommen: «Die große Mehrheit hat das falsche Studium für sich gewählt. Viele wissen nicht, warum sie dieses oder jenes studieren und was sie damit in der Praxis anfangen sollen.» Die Folge: fehlende Motivation und Leistungsprobleme.

Falsche Vorstellungen vom Studium und von den eigenen Leistungsfähigkeiten sind laut Heublein Hauptgründe für einen Abbruch. Der Forscher illustriert das am Beispiel der Informatik: «Die Zahl derer ist relativ hoch, die glauben, sie wüssten, was Informatik bedeutet. Dann beginnen sie ihr Studium und werden zwei Jahre lang erst mal mit Mathematik und Physik gebeutelt.» Viele Studenten seien damit überfordert. Andere, die die Theorie bewältigen könnten, hätten schlichtweg keine Lust.

Wie Studenten vorbeugen können

Dritter Hauptgrund für einen Abbruch ist Heublein zufolge die Studienfinanzierung. «Das heißt nicht, dass den Leuten einfach Geld fehlt», betont er. Gemeint sei die Doppelbelastung jener Hochschüler, die ihr Studium über einen Nebenjob finanzieren. Oft ließe sich das mit den Studienanforderungen nur schwer vereinbaren.

Scheitern Studenten an Voraussetzungen wie der Finanzierung oder ungünstigen Studienbedingungen, müssten die Hochschulen im eigenen Interesse aktiv werden, fordert Heublein. Orientierung sei das Stichwort. Gerade in der Anfangsphase würden Studenten mit ihren Problemen allein gelassen.

Um nicht zu verzweifeln und festzustellen, dem Studium nicht gewachsen zu sein, sollten sich Studieninteressierte ausreichend informieren. «Da haben wir alle jede Menge Aufholbedarf. Einmal die Studenten selbst, weil sie sich nicht richtig informieren und vielleicht auch nicht wissen, wo sie hingehen sollen. Aber auch alle Beratungsstellen», sagt Schwill. Zu schnell werde von den Abiturnoten auf die Studienneigung geschlossen. Doch nur weil jemand in Mathematik begabt ist, sei er nicht automatisch für ein Technikstudium geeignet.

Studieninformationstage nur bedingt tauglich

Das Internet bietet reichlich Material, um sich vorab über Hochschulen und Studiengänge zu informieren. Jede Hochschule hat eine mehr oder weniger aussagekräftige Homepage. Schwill fürchtet, dass bereits das Interessierte überfordern könnte. Eine zentrale Seite, die alles bündelt und kompakt darstellt, gebe es nicht. Zudem wüssten viele Studieninteressierte nicht, was sie suchen sollen. Deshalb könne das Internet die persönliche Beratung nicht ersetzen, sagt die Beraterin.

Das glaubt auch Heublein: «Die Mehrzahl der Studieninteressierten guckt ins Internet, klickt sich durch und sagt: Damit kann ich etwas anfangen oder nicht.» Das sei zu wenig. Jeder müsse sich fragen: Was ist mir eigen? Was interessiert mich? Eine Beratung, die diese Fragen stellt und beantwortet, müsste schon in den Schulen stattfinden, so Schwill. Doch in den Abiturstufen bleibe wenig Zeit dafür.

Wer unsicher ist, was er kann und will, für den eigne sich ein Praktikum oder Auslandsaufenthalt. «Da ist ein verlorenes Jahr fürs Studium am Ende ein gewonnenes Jahr, wenn ich daraus die richtigen Schlüsse ziehe», sagt Heublein. Studieninformationstage, die jährlich Tausende Interessierte an deutsche Universitäten locken, hält er nur für bedingt tauglich. «Weil die Hochschulen sich dort in Feierlaune präsentieren», so seine Begründung. «Da erleben sie nicht die Schwierigkeiten des Chemiestudiums, sondern da knallt es wunderbar und alles ist schön lebendig.»

Der Forscher rät, unabhängig von solchen Aktionstagen in die Hochschulen zu gehen, sich vor Ort umzuschauen und mit Studenten über deren Erfahrungen zu sprechen. Dozenten nach Studienanforderungen zu fragen oder von Fakultäten angebotene Selbsttests wahrzunehmen, sei sinnvoll, um den geeigneten Studiengang zu finden.

Abbruch ist kein Karrierekiller

Wer das verpasst hat und sich im Studium, an einer Hochschule oder dem speziellen Studiengang nicht mehr wohlfühlt, sollte konsequent sein. Schwill rät: «Nicht erst warten, bis einem im sechsten Semester die Noten um die Ohren knallen.» Ein deutliches Alarmsignal sieht die Beraterin in verschobenen Prüfungsterminen. «Ich kenne etliche Studenten, die in den ersten drei Semestern mehr als 50 Prozent der Prüfungen überhaupt nicht geschrieben haben. Das endet früher oder später mit einem Abbruch», sagt sie.

Bevor diese Entscheidung fällt, sollten sich Studenten beraten lassen. Ein Abbruch ist nicht alternativlos. Ein Studiengang- oder Hochschulwechsel kann helfen. Ob das infrage kommt, müsse individuell geklärt werden, sagt Schwill. Bei «Plan B» können Abbrecher Kompetenztests absolvieren und an der Industrie- und Handelskammer in Potsdam einen Bewerbercheck durchlaufen, um sich neu zu orientieren.

Ein Studienabbruch muss kein Karriereknick sein. «Das Studium ist für Abbrecher nicht völlig verlorene Lebenszeit. Sie nehmen immer etwas aus ihrer Studienzeit mit, sind motivierter und entschlossener», sagt Heublein. Sie hätten deshalb keine schlechteren Chancen als Absolventen, in einer Ausbildung oder einem Job unterzukommen.

Laut Schwill suchen Unternehmen händeringend Auszubildende und nehmen sehr gerne Studienabbrecher. «Wir haben eigentlich sogar zu wenig Abbrecher für die Ausbildungsplätze», so die Beraterin. In der Wirtschaft sei ein Studium nicht das Nonplusultra. Dennoch sollte niemand die Flinte vorschnell ins Korn werfen. «Motivationsschwierigkeiten gehören zum Leben. Dass eine Sache schwieriger ist als gewünscht, ist ganz normal. Gerade während eines Studiums», betont Heublein.

sca/ham/reu/news.de