Ein Moment der Panik: Der Chef steckt den Kopf durch die Tür und lädt zum Mitarbeitergespräch ein. Bei Angestellten geht dann oft die Angst um. Dabei ist das Gespräch eigentlich eine Chance, sagt Michael Neutert im Gespräch mit news.de.
Herr Neutert, steht man auf der Abschussliste, wenn der Chef zum Mitarbeitergespräch einlädt?
Neutert: Überhaupt nicht, vor allem wenn es um das jährliche Gespräch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern geht. Einige Vorgesetzte haben erkannt, wie wichtig diese Gespräche sind. Es geht darum, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen. Gute Chefs führen solche Gespräche mindestens einmal im Jahr.
Chefs fällt es aber deutlich leichter, solche Gespräche zu führen. Immerhin haben sie eine gewisse Machtposition gegenüber ihren Mitarbeitern.
Neutert: Das mit der Machtposition stimmt. Außerdem führen sie häufiger Gespräche mit Mitarbeitern und sind deshalb routinierter. Trotzdem sind auch Vorgesetzte unsicher. Sie wissen nicht, wie ihre Mitarbeiter reagieren. Auch Chefs können Ängste entwickeln, etwa wenn es um schwierige Mitarbeiter geht, oder um Menschen, die ihnen rhetorisch überlegen sind.
Also haben beide Seiten gleiche Ängste?
Neutert: Durchaus. Das fängt damit an, sich zu öffnen, weil beide den Missbrauch vertraulicher Informationen fürchten. Was darf ich dem Vorgesetzten offenbaren, was darf ich meinen Mitarbeitern erzählen? Manche Chefs fürchten, unter Druck etwas zu sagen, was sie hinterher nicht umsetzen können. Beide haben mitunter auch Angst sich unbeliebt zu machen. Und oft genug lähmt das Wissen um den Nasenfaktor.
Der Nasenfaktor?
Neutert: Es gibt keine absolute Objektivität. Der Nasenfaktor steht für die subjektiven Einflüsse. Es passiert beiden Seiten, dass sie bei jemandem, den sie sympathisch finden, mehr Dinge entschuldigen und bei denen, die sie nicht leiden können, und dann kleinlicher sind. Natürlich können beide Seiten auch emotionale Ängste haben– davor, dass jemand in Tränen ausbricht, «dicht macht» oder explodiert.
In der Regel sind Personaler und Vorgesetzte aber Profis im Mitarbeitergespräch. Wie wird ein Mitarbeiter seine Ängste los?
Neutert: Es hilft, sich gut vorzubereiten. Da der Gesprächspartner meist bekannt ist, ist zu überlegen, wie man diplomatisch und trotzdem klar formuliert. Hier spielen Reizwörter eine wichtige Rolle. Zudem sollten Ziele klar sein – und zwar Maximal- und Minimalziele.
Was wäre was?
Neutert: Mein Minimalziel ist es, dass der Chef mir zugehört hat. Maximalziel kann sein, dass ich als Arbeitnehmer mein Feedback angeboten habe und meine Führungskraft damit umgehen kann.
Darf vorher nach Themen des Gesprächs gefragt werden?
Neutert: In vielen Firmen sind die Gesprächsthemen vorgegeben. Da weiß ich als Mitarbeiter, worum es geht. Ist das nicht der Fall, darf nachgefragt werden. Allerdings sollten Mitarbeiter eigene Themen ins Gespräch mitnehmen. Schließlich bieten die Gespräche nicht nur Feedback für den Mitarbeiter, sondern auch für den Chef. Wie könnten Chefs gut führen, wenn sie keine Rückmeldung bekommen? Gute Führungskräfte fallen nicht vom Himmel, sie müssen sich entwickeln - auch indem sie Fehler machen, dafür Rückmeldungen bekommen und daraus lernen.
Was lässt sich noch tun?
Neutert: Fakten sollten zurechtgelegt werden, die relevant erscheinen. Selbstverständlich dürfen im Gespräch auch Fragen gestellt werden. Etwa bei Kritik. Die sollte nicht sprachlos hingenommen werden. Stattdessen sollte man fragen: Woher wissen Sie das? Wann haben Sie das beobachtet? Können Sie mir Beispiele nennen? Und natürlich sollten Grenzen dafür abgesteckt werden, wann man als Mitarbeiter ein Gespräch beendet.
Darf man das denn?
Neutert: Allerdings. Deshalb sollte man sich vorab mögliche Ausstiegssituationen vorstellen. Ein cholerischer Vorgesetzter darf gebremst werden: «In diesem Ton möchte ich das Gespräch nicht fortsetzen.» Das macht zunächst nicht beliebter. Allerdings schützt man sich selbst und auch die Führungskraft. Das Ganze funktioniert im Prinzip wie eine Gelbe Karte.
Was wäre dann die Rote Karte?
Neutert: Es gibt Situationen, in denen das Gespräch direkt unter- oder abgebrochen werden sollte. Etwa wenn das Gespräch unter die Gürtellinie geht. Das muss sich niemand gefallen lassen. Wer so reagiert, weiß zwar nicht, wie Vorgesetzte künftig mit ihm umgehen. Erträgt man aber still, ermutigt das den Chef, genauso weiterzumachen.
Wie sollten beide Seiten im Gespräch vorgehen?
Neutert: Zunächst sollte vereinbart werden, wie man vorgehen will. Wer spricht zuerst? Welche Themen gibt es? Wie viel Zeit ist für das Gespräch geplant? Nichts ist schlimmer als ein Chef, der sagt: «Ich muss jetzt leider weg.» Und das Gespräch sollte störungsfrei verlaufen. Klingelt ständig das Telefon oder die Tür geht auf, dürfen Mitarbeiter das ansprechen und einen anderen Termin vorschlagen.
Wovon sollte der Chef die Finger lassen?
Neutert: Zu monologisieren oder die emotionalen Reaktionen des Gegenüber zu ignorieren. Zeitdruck ist kontraproduktiv. Ich empfehle, für ein Mitarbeitergespräch eine Stunde Zeit vorzusehen. Und es sollte nichts versprochen werden - also eine Beförderung oder mehr Geld - was nicht umgesetzt werden kann. Sonst entpuppt sich der Chef als Papiertiger.
Gibt es etwas, dass Mitarbeiter absolut vermeiden sollten?
Neutert: Keine Frage zu stellen und alles nur stumm hinzunehmen. Hier gilt: Wer fragt, der führt. Das heißt, die Mitarbeiter übernehmen in dem Moment die Führung des Gesprächs. Das ist legitim.
Darf sich ein Mitarbeiter eigentlich jemanden mit ins Gespräch nehmen?
Neutert: In einigen Unternehmen ist es möglich, dass Mitarbeiter einen Menschen ihrer Wahl mitnehmen können. Jemanden vom Betriebsrat, Personalrat oder auch einen Kollegen. Damit kann einem starken oder unangenehmen Gesprächspartner ein Gegengewicht entgegengesetz werden. Der Kollege funktioniert als Bremse – für den Mitarbeiter und den Chef. Ist noch jemand dabei, werden beide vorsichtiger, verträglicher und auch verständlicher formulieren. Ein Vier-Augen-Gespräch ist vorzuziehen, wenn zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter eine vertrauensvolle Basis entwickelt ist.
Michael Neutert ist selbstständiger Personaltrainer in Wuppertal. Er berät Unternehmen der privaten Wirtschaft und im Öffentlichen Dienst. Darüber hinaus arbeitet er mit der Bergischen Volkshochschule Wuppertal zusammen und gibt dort Seminare.
kat/reu/news.de