Seit dem 1. Januar gibt es höhere Sätze für Schwerkranke. Doch das Geld lässt auf sich warten. Grund: Die Pflegeeinstufung dauert oft sehr lang.
Seit 1. Januar haben die etwa 1,4 Millionen Schwerkranken, die zu Hause von Angehörigen gepflegt werden, ein bisschen mehr Geld zur Verfügung. Quer durch die drei Pflegestufen müssen die finanziell angeschlagenen Kassen jetzt monatlich zehn Euro mehr Pflegegeld überweisen - ein Tropfen auf den heißen Stein, wie Kritiker meinen.
Bei vielen Patienten, die eine Neueinstufung oder höhere Pflegestufe brauchen, kommt momentan aber erst einmal null Euro Unterstützung an. Die Bearbeitung dringend benötigter Pflegegutachten schleppe sich häufig bis zu drei Monate lang hin, wie die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) bemängelt.
Die Folge: Betroffene Familien müssen so lange finanziell in Vorleistung gehen, bis ihr Antrag auf Neueinstufung oder Umstufung eines Pflegebedürftigen «durch» ist. Wird entgegen anfänglicher Erwartungen keine Pflegestufe und damit kein Pflegegeld bewilligt, bleiben die Angehörigen in der Regel auf ihren Ausgaben sitzen.
Verzögerungen durch Mitarbeiter von Pflegekassen oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) sollten auf keinen Fall klaglos hingenommen werden, betont DGVP-Präsident Wolfram-Arnim Candidus. «Dies ist ein unhaltbarer Zustand.» Pflegebedürftige seien in der Regel auf die rasche Unterstützung der Kassen angewiesen.
Grundsätzlich gilt: Versicherte haben einen Rechtsanspruch auf eine zügige Bearbeitung von Pflegeanträgen. Die Begutachtung der Pflegesituation sollte spätestens fünf Wochen nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit oder einer Änderung des Pflegebedarfs unter Dach und Fach sein, so die Patienten-Initiative DGVP.
Fünf-Wochen-Frist kein Muss
«Früher konnten Pflegekassen das halten wie sie lustig waren. Damit ist es seit der Pflegereform Mitte 2008 vorbei», erklärt Heike Nordmann, Pflegeexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Ausreden wie der Verweis auf organisatorische oder personelle Engpässe sollen nicht länger gelten.
In der Praxis hakt es trotzdem immer wieder. Von den Betroffenen ist oft viel Geduld gefragt. Was schwer fällt, wenn ein Mensch von einem Tag auf den anderen pflegebedürftig geworden ist und schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, was beispielsweise die Anschaffung eines Pflegebetts, eines Rollstuhls oder die Unterbringung in der Kurzzeitpflege angeht.
Im Gesetz steht lediglich, dass ein Pflegeantrag innerhalb von fünf Wochen abgeschlossen sein soll. Er muss es aber nicht. Wegen dieser schwammigen Vorgabe sind zeitliche Verzögerungen bei den Pflegekassen offenbar keine Seltenheit. Die «eigentlich als Ausnahme hinzunehmende Überschreitung der fünf Wochen» sei eher zur Regel geworden, so auch die Erfahrungen von Pflegeexpertin Gudrun Matusch von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.
Zum Hintergrund: Oftmals bessert sich der Zustand eines pflegebedürftig gewordenen Patienten nach der ersten Akutphase ein wenig. Erkennt die Pflegekasse sehr früh eine bestimmte Pflegestufe an, gilt diese dann erstmal als gesetzt. Deshalb scheuen einige Kassen offenbar vor allzu schnellen Entscheidungen und den damit verbundenen finanziellen Risiken zurück.
Geld gibt's ab Antragsstellung
Zieht sich eine Terminvereinbarung mit dem MDK-Gutachter oder die Auswertung der Pflegeexpertise über die gesetzlich vorgeschlagene Frist von fünf Wochen hinaus hin, sollten Betroffene «Dampf machen», empfiehlt Nordmann. Das heißt: Die zuständige Pflegekasse anrufen, auf schnelle Bearbeitung dringen und die Notlage schildern. Zieht sich eine Entscheidung weiter hin, können Betroffene erst nach sechs Monaten eine so genannte Untätigkeitsklage beim Sozialgericht einreichen.
Tröstlich zu wissen: Pflegegeld wird immer ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bezahlt. Selbst bei stark verzögerter Bearbeitung können betroffene Familien damit rechnen, dass die Leistung noch rückwirkend gezahlt wird - wenn die Bewilligung durch ist. Egal, ob es sich um eine Erst- oder Änderungseinstufung handelt. «Diesen Familien geht damit wenigstens kein Geld verloren», so Nordmann.
Wer zur Erleichterung der Pflegesituation daheim allerdings gleich ein Pflegebett oder andere Hilfsmittel anschafft, ohne die konkrete Einstufung durch die Kasse abzuwarten, handelt erst einmal auf eigene Rechnung. Kommt eine Ablehnung, bleibt noch das Recht auf Widerspruch innerhalb eines Monats ab Eingang des Schreibens.
Wie hoch die monatlichen Pflegeleistungen jetzt sind
In der Pflegestufe 1 beträgt die monatlichen Leistung der Pflegekasse jetzt 225 Euro, in Stufe 2 gibt es 430 Euro. In Pflegestufe 3 erhalten Kranke neuerdings 685 Euro. Für 2012 sind weitere Erhöhungen geplant, ab 2015 sollen die Beträge alle drei Jahre angepasst werden.
Wird die Pflege zu Hause nicht von einem Angehörigen, sondern von einem ambulanten Dienst erbracht, fließt ebenfalls in diesem Jahr mehr Geld. Die so genannten Pflegesachleistungen für Patienten mit Pflegestufe I betragen jetzt 440 Euro (20 Euro mehr), in Stufe 2 sind es 1040 Euro (plus 60 Euro) und in der dritten Stufe 1510 Euro (40 Euro mehr). Die Pflegekasse übernimmt dabei entweder die festgelegten Anteile für Pflegesachleistungen zu Hause oder für teilstationäre Tages- und Nachtbetreuung.
Ist eine Pflegeperson wegen Krankheit oder Urlaub verhindert oder muss der Schwerkranke vorübergehend in eine stationäre Kurzzeitpflege, trägt die Kasse die anfallenden Kosten bis zu 1510 Euro.
Die Stufe 3 bei außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand in Höhe von monatlich 1918 Euro bleibt 2010 unverändert. Beispiele: Der Pflegebedürftige hat Krebs im Endstadium oder einen schweren Schlaganfall, weshalb er regelmäßig rund um die Uhr durch mehrere Pflegekräfte zeitgleich gepflegt werden muss.
car/news.de/ap
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