Schamgefühl ist fehl am Platz: Mit etwa 47.500 Neuerkrankungen jährlich ist Hodenkrebs in Deutschland der häufigste bösartige Tumor bei jungen Männern, Tendenz steigend. Früh erkannt, liegen die Heilungschancen bei fast 100 Prozent.
Thomas Bonk ist ein sehr humorvoller, lebenslustiger und gläubiger Mann. Vor etwa zehn Jahren aber wurde sein Glaube auf eine harte Probe gestellt. Er musste um sein Leben kämpfen. Ein Hodentumor war wahrscheinlich über Jahre hinweg unentdeckt geblieben und hatte sich im Bauchraum ausgebreitet. «Ich habe zwei faustgroße Geschwülste mit mir herumgetragen und nichts gemerkt», erinnert sich der heute 47-Jährige aus dem hessischen Vellmar. Erst als der Krebs die rechte Niere abgedrückt hatte und die Rückenschmerzen unerträglich wurden, ging er zum Arzt.
Hodenkrebs ist nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Urologie der häufigste bösartige Tumor bei jungen Männern. Rund 4700 Neuerkrankungen werden jährlich diagnostiziert, vor allem bei Männern zwischen 25 und 45 Jahren. «Die Zahl der Betroffenen steigt immer weiter an», bestätigt die Chefärztin der Münsteraner Universitätsklinik für Andrologie, Sabine Kliesch.
Der Krebs geht von den Keimzellen, den Vorläuferzellen der Spermien, aus. Es ist das Gewebe des menschlichen Körpers, das am sensibelsten auf schädigende Einflüsse reagiert. Die genaue Ursache, warum diese Keimzellen entarten, ist noch nicht geklärt. Deshalb weiß die Medizin auch nicht, warum immer mehr Männer daran erkranken.
«Viele einzelne, kleine Bausteine»
«Es sind viele einzelne, kleine Bausteine», sagt die Professorin. Risikofaktoren sind Hodenhochstand in der Kindheit, weitere Fälle in der Familie, eine gestörte Zeugungsfähigkeit sowie mögliche Umweltfaktoren. «Fünf bis sieben Prozent der Krebskranken bekommen auch im zweiten Hoden einen Tumor», sagt die Expertin.
Kennzeichnend für einen Hodentumor ist die langsam fortschreitende, schmerzlose Schwellung des Hodens. Auch bei Thomas Bonk blieb sie lange Zeit unbemerkt. Erst, als der Krebs schon Metastasen gebildet hatte, bemerkte er das Schweregefühl im Hoden. Bei der ärztlichen Untersuchung ist der Tumor als derber, schmerzloser Knoten zu tasten. Die Urologen raten deshalb, Jungen ab 14 Jahren zur Selbstuntersuchung anzuhalten.
Die Heilungschancen betragen bei frühzeitiger Diagnose nahezu 100 Prozent. «Selbst bei bereits metastasierten Tumoren haben Patienten bei der richtigen Behandlung noch eine gute Heilungschance», sagt der Präsident der Urologen-Gesellschaft, Manfred Wirth. Die beim Hodenkrebs betroffenen Keimzellen sprechen gut auf Chemo- oder Strahlentherapie an und sind weniger aggressiv als andere Krebsarten.
Primäre Therapie ist die Entfernung des betroffenen Hodens über die Leiste. Die weitere Behandlung richtet sich nach der Einteilung des Tumors. Dazu werden das Krebsgewebe untersucht, Tumormarker aus dem Blut herausgefiltert sowie die Ausbreitung des Krebses im Körper abgeklärt. «Die Strahlen- und Chemotherapie ist in den vergangenen Jahren schonender und effektiver geworden», sagt Kliesch. Dosis und Zahl der Zyklen konnten reduziert werden.
Operation macht häufig unfruchtbar
Thomas Bonk hat dreieinhalb Jahre gegen den Krebs gekämpft. «Ich bin gegen meinen Körper in den Krieg gezogen», sagt er rückblickend. Dabei meint er die acht Chemotherapien, die Bestrahlungen und Operationen. Ein halbes Jahr nach Entfernung seines rechten Hodens mussten auch sein Harnleiter und seine rechte Niere entfernt werden. Der Krebs hatte schon zu lange in seinem Bauch gewütet. Eine Lungenembolie im Jahr 2001 setzte seinem Leben fast ein Ende. Doch danach «ging es Schritt für Schritt aufwärts».
Heute geht es dem Immobiliensachverständigen «soweit ganz gut». Einmal im Jahr geht er zur Nachsorge. Seit acht Jahren wurden keine neuen Tumore mehr gefunden. Allerdings kann er auf natürlichem Weg keine Kinder mehr zeugen. Er ist als Folge des Tumors und der Operation unfruchtbar geworden. Auf Anraten seiner Ärzte hat er vor der Therapie seine Samenzellen einfrieren lassen. Eine künstliche Befruchtung seiner Frau kommt für ihn bislang aber nicht infrage.
Nur die Hälfte aller Männer mit Hodentumoren lassen laut Kliesch bislang ihre Samen wegen drohender Zeugungsunfähigkeit einfrieren. «Nicht alle Ärzte klären ihre Patienten darüber auf», kritisiert die Professorin. Diese sogenannte Krykokonservierung müssen die Männer allerdings selbst bezahlen. Die Lagerung der eingefrorenen Samenproben kostet zwischen 230 Euro und 250 Euro pro Jahr.
Thomas Bonk hat nach seiner Genesung eine Homepage zu Hodenkrebs eingerichtet. Bis zu 400 Besucher zählt er täglich. Meist sind es Jugendliche, die Angst haben, sich zu offenbaren.
car/nak/news.de/ap