Kaum ein industrielles Lebensmittel kommt ohne diesen Zusatzstoff aus: Glutamat ist ein weit verbreiteter Geschmacksbeschleuniger und gesetzlich zugelassen - obwohl er als Dickmacher und Nervengift verrufen ist.
Wer als braver Verbraucher die Zutatenliste seiner Einkäufe studiert, findet darauf häufig Glutamat oder Mononatriumglutamat - oftmals getarnt als Geschmacksverstärker E 620 bis 625, als Würze, Aroma, Milchzucker oder Hefeextrakt. Als künstlich zugesetzter Stoff peppt Glutamat den Geschmack unter anderem von Pizzen, Chips, Brühwürfeln, Tütensuppen und asiatischem Essen auf und ersetzt damit teure Rohstoffe wie Fleisch oder Fisch.
Doch Glutamat kommt auch natürlicherweise als Eiweißbestandteil in Lebensmitteln vor: zum Beispiel in Parmesankäse, Bohnen, Möhren, Makrelen, Lachs, Kabeljau und Fleisch vom Rind sowie in Huhn und Lamm oder in reifen Tomaten. Der Körper stellt es sogar in geringen Mengen selbst her: Im Gehirn fungiert Glutamat als anregender Botenstoff, der für die Informationsvermittlung benötigt wird. Also alles ganz harmlos?
«Keineswegs», sagt Professor Dr. Michael Hermanussen. Der Kinderarzt aus Kiel beschäftigt sich seit Jahren mit Appetitstörungen und der Frage, warum dicke Kinder und Erwachsene ständig hungrig sind. Er ist überzeugt, dass Glutamat «ein äußerst wichtiger Gefräßigmacher» ist.
Studien an Ratten hätten bewiesen, so Hermanussen, dass Glutamat Sättigungssignale stört. Dadurch gerate die Appetitregulation außer Balance - mit der Folge, dass der Mensch nicht mehr satt wird und nicht aufhört zu essen. Hermanussen und sein Team von der Kieler Universität hatten den Versuchstieren nur geringe Mengen Glutamat verabreicht. Die Ratten futterten daraufhin nicht nur schneller und gieriger, sondern auch doppelt so viel wie unbehandelte Artgenossen und wurden dicker.
Hermanussen vermutet, dass auch beim Menschen langfristig erhöhte Glutamatmengen über die Blut-Hirnschranke ins Gehirn gelangen und den natürlichen Glutamatspiegel im Gehirn verändern. Die Folge: permanentes Hungergefühl und Übergewicht.
In seiner Vermutung wurde er durch eine weitere Studie bestätigt: Patientinnen, die an Übergewicht und ständigem Hunger litten, gab er ein Medikament, das eigentlich zur Behandlung der Alzheimer-Demenz zugelassen ist. Die Frauen sollten keine spezielle Diät einhalten, sondern nach Appetit essen. Die Folge: Die Essgelüste ließen nach, die Frauen nahmen ab. Eine Patientin berichtet: «Nach der Einnahme der Tropfen war das Hungergefühl weg. Ich hab vorher - na ja, schon gerne zwei Brötchen zum Frühstück geschafft. Das war gar kein Problem. Und Portionen, wie man sie im Restaurant eben kennt. Und nachdem ich die Tropfen genommen habe, war es gar kein Problem, auch mal mit einem Möhrchen oder Gürkchen klarzukommen, weil man nicht das Gefühl hatte, man muss so einen Berg essen, um satt zu sein.»
Wer jetzt hofft, Hermanussen hätte das Wundermittel gegen Übergewicht gefunden, muss enttäuscht werden. Zu viele Fragen rund um das Glutamat sind noch ungeklärt, zu vielschichtig ist die Entstehung von Übergewicht und zu hartnäckig wehrt sich die Körper normalerweise gegen langfristigen Gewichtsverlust. Doch die Hinweise, dass Glutamatexzesse der Figur schaden, verdichten sich. Und nicht nur das.
Wie man Glutamat aus der Küche verbannt
Glutamat ist eigentlich kein Geschmacksverstärker; das weiße Pulver selbst hat einen Geschmack. Er wird in Japan, wo der Stoff entdeckt wurde, Umani genannt - was übersetzt «Köstlichkeit» bedeutet. Manche Menschen vertragen diesen Geschmack nicht. Sie reagieren nach dem Essen mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel oder Licht- und Lärmempfindlichkeit. Die Symptome werden unter dem Begriff China-Restaurant-Syndrom zusammengefasst. Interessanterweise reagieren vor allem Amerikaner und Europäer empfindlich, während die Unverträglichkeit in China und Japan so gut wie unbekannt ist. Dabei verbrauchen Asiaten rund 80 Prozent des weltweit produzierten Glutamats.
Für Hermanussen ist Glutamat aus einem weiteren Grund bedenklich: Es wirke als Nervengift und schädige Nervenzellen. Bis heute würden in der Forschung Medikamente zum Schutz der Nerven getestet, indem man die Nervenzellen mit Glutamat schädige und ausprobiere, inwieweit das zu testende Medikament diesen Effekt verhindern könne, so der Arzt.
Glutamat wird daher mit zahlreichen neurologischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, beispielsweise mit Alzheimer, Parkinson, Depressionen und Angststörungen. Auch die schweren Hirnschäden, die nach einem Schlaganfall auftreten können, werden teilweise dem Glutamat angelastet. Möglich sind zudem Darmschäden, da auch der Darm von einem dichten Nervengeflecht durchzogen ist. Auch besteht zumindest der Verdacht, dass zuviel Glutamat Hyperaktivität und Unruhe fördert.
Kritiker halten dem entgegen, dass eine schädigende Wirkung nur auftrete, wenn extrem hohe Dosen auf die Gehirnzellen einwirkten. Dies sei bei einem gesunden Menschen selbst bei glutaminsäurereicher Ernährung unter anderem aufgrund der Blut-Hirnschranke äußerst unwahrscheinlich. Bei einer Störung des Gehirnstoffwechsels sei eine Schädigung jedoch zumindest denkbar.
Solange nicht alle Zweifel geklärt sind, sollte der Verbraucher selbst entscheiden können, ob er Glutamat in seiner Nahrung haben will oder nicht, sagt Hermanussen. Doch das Problem ist, dass die Glutamatmengen auf den Produkten nicht angegeben sind. Die Hersteller sind nämlich nicht verpflichtet, anzugeben, wie viel Glutamat zugesetzt ist.
Der Mensch nimmt im Durchschnitt täglich zwischen 10 und 20 Gramm Glutamat zu sich, die Durchschnittsaufnahme eines Mitteleuropäers an industriell zugesetztem Glutamat liegt angeblich bei 0,3 bis 0,6 Gramm. Davon geht jedenfalls die Deutsche Gesellschaft für Ernährung aus. Wer sich hauptsächlich von Fertiggerichten und würzigen Snacks ernährt, kommt leicht auf Mengen über 1 Gramm pro Tag und erreicht damit Mengen, die in asiatischen Ländern üblich sind. Rund 1,2 bis 1,7 Gramm an Geschmacksverstärker werden dort im Schnitt am Tag verspeist.
Hermanussens Tipp für alle, die Glutamat vermeiden möchten: «Tütensuppen, Soßenpulver und Fertiggerichte aus der Küche verbannen und wieder richtig kochen.» Statt mit Tomatenmark oder Parmesan ließen sich Gerichte mit Gewürzen wie Estragon, Oregano, Ingwer oder Senf verfeinern. Und Gemüse schmecke auch gut, wenn ein Stück Butter oder Crème fraiche dazu gegeben werden. Mit der Zeit werde man feststellen, dass Kochen auch ohne Tüten schnell gehen könne, sagt Hermanussen. Die schönste Belohnung aber sei, «wenn das Geschmacksempfinden aus dem Glutamat-Koma erwacht».
Lesetipp: Michael Hermanussen und Ulrike Gonder: Der Gefräßigmacher - Wie uns Glutamat zu Kopfe steigt und warum wir immer dicker werden. Hirzel-Verlag, 140 Seiten, 18 Euro, 2008.
ruk
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