Von news.de-Redakteurin Claudia Arthen - Uhr

Professor Galle: Die Nieren sind Opfer und Täter zugleich

In der Regel hat jeder Mensch zwei Nieren, aber kaum jemand weiß, warum sie so wichtig sind. News.de sprach mit Professor Dr. Jan Galle über das Entgiftungsorgan des Körpers, über Urintests aus der Apotheke und darüber, dass viel trinken wenig nützt.

Ältere Patienten sind auf den Hausarzt angewiesen, aber auf dem Land können Praxen zum Teil nicht mehr besetzt werden.  (Foto) Suche
Ältere Patienten sind auf den Hausarzt angewiesen, aber auf dem Land können Praxen zum Teil nicht mehr besetzt werden. Bild: ap

news.de: Herr Professor Galle, ist die Niere ein vernachlässigtes, gar vergessenes Organ?

Galle: Die NierenDie Nieren sind Filterorgane und Hormonproduktionsstätten des menschlichen Körpers. Sie regulieren den Flüssigkeitsgehalt, den Gehalt an Salzen und sind zudem das Klärwerk des Körpers. Das heißt, sie haben die Aufgabe, Giftstoffe aus dem Blut zu filtern, die mit dem Urin ausgeschieden werden. verdienen in der Tat mehr Aufmerksamkeit. Denn Nierenerkrankungen sind ein ganz erheblicher Risikofaktor für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Leider werden eingeschränkte Nierenfunktionen oder Nierenerkrankungen oft genug übersehen und als solche nicht wahrgenommen. Das ist insofern besonders bedauerlich, weil man etwas tun kann, wenn man Nierenerkrankungen nur rechtzeitig erkennt.

news.de: Woran merkt man, dass mit der Niere etwas nicht stimmt?

Galle: In der Regel können Sie das als Nichtfachmann gar nicht merken. Das liegt daran, dass die Niere ein Organ ist, das nicht weh tut. Wenn die Niere weht tut, dann ist das meistens auf Probleme zurückzuführen, die in den urologischen Fachbereich fallen. Nämlich: Ein plötzliches Aufstauen der Niere – zum Beispiel durch einen Nierenstein. Das merkt man als Flankenschmerz, der wie eine Kolik über einen herfällt. Das ist aber keine Nierenerkrankung im internistischen Sinne. Hat man eine Erkrankung im NierenparenzchymUnter Nierenparenchym versteht man das Funktionsgewebe der Niere; es kann organtypische Aufgaben übernehmen. Dort wird zum Beispiel der Urin gebildet. , also in dem Gewebe, das die Nierenfunktion beziehungsweise die Nierenleistung erbringt, dann tut es in aller Regel nicht weh. Man spürt es nicht. Und darin liegt die Gefahr.

news.de: Wie soll man es dann merken?

Galle: Indem man sich regelmäßig untersuchen lässt. Zum einen sollte man die Blutwerte, zum anderen die des Urins testen lassen. Beim Blutabnehmen sollte beispielsweise das Kreatenin gemessen werden. Kreatinin wird über die Niere ausgeschieden. Wenn die Niere nicht ordentlich funktioniert, wird weniger ausgeschieden. Aus dem Muskel wird aber weiter unvermindert Kreatinin freigesetzt. Folge: Der Spiegel im Blut steigt an. Das Kreatinin im Blut ist daher ein Anzeiger für die Funktion der Niere. Was den Urintest betrifft, sollte man nach roten und weißen Blutkörperchen sowie nach Eiweiß schauen. Eiweiß im Urin ist meist ein Anzeichen dafür, dass Schäden an den Nierengefäßen vorliegen. Sind die Werte erhöht, sollten auch Herz und Kreislauf untersucht werden. Beide Tests kann auch der Hausarzt machen - im Rahmen der der Vorsorgeuntersuchung 35plus zum Beispiel. Ich empfehle alle drei Jahre eine solche Eiweißuntersuchung beim Hausarzt. Risikopatienten, also solche mit Bluthochdruck oder Diabetes, sollten die Werte jährlich überprüfen lassen.

news.de: Was halten Sie von Urintests aus der Apotheke?

Galle: Von Selbsttests halte ich wenig, weil man eine gewisse Ausbildung braucht, um diese Tests richtig zu deuten. Es gab mal vor Jahren in Würzburg eine Aktion, bei der über die Zeitung solche Streifentests ausgeteilt wurden. Danach standen sehr viele Menschen vor der Ambulanz der Universitätsklinik, weil sie dachten, sie hätten einen positiven Befund. Am Ende stellte sich heraus, dass nur ganz wenige ein Nierenproblem hatten. Aber jeder hat trotzdem eine Eigenverantwortung. Und die liegt darin, dass man seinen Hausarzt auch ohne Weiteres darauf anspricht, dass er bitteschön auch diese Nierentests durchführt.

news.de: Der diesjährige Weltnierentag steht unter dem Motto «Blutdruck senken, Nierenfunktionen erhalten» - warum wurde dieser Schwerpunkt gewählt?

Galle: Weil ein ganz enger Zusammenhang besteht zwischen Bluthochdruck und Nierenerkrankung beziehungsweise Nierenfunktion. Das ist eine Beziehung in beide Richtungen. Denn zum einen gehen die meisten Nierenerkrankungen mit erhöhtem Blutdruck einher. Also die Niere ist ein Organ, das hohen Blutdruck auslösen kann. Auf der anderen Seite ist die Niere ein Organ, das empfindlich auf hohen Blutdruck reagiert. Es ist ein Täter-, aber auch ein Opfer-Organ. Will heißen, wenn ein Mensch - aus welchen Grund auch immer - einen erhöhten Blutdruck hat, dann leidet auch die Niere darunter. Und auf diesen Zusammenhang wollen wir am Weltnierentag eindringlich hinweisen.

Warum viel trinken wenig nützt

news.de: Was macht Nieren krank?

Galle: Da gibt es viele Ursachen. Die wichtigste Ursache ist die Blutzuckererkrankung, der Diabetis mellitus. Und zwar in aller Regel der Diabetis mellitus Typ 2. Das ist die Zuckererkrankung, die man früher Altersdiabetes genannt hat. Mittlerweile trifft das aber nicht nur alte, sondern auch viele jüngere Erwachsene, was an unseren Lebensformen liegt. Wir bewegen uns zu wenig, wir essen zu viel, es gibt viele adipöse Menschen, also solche mit zu viel Körperfett. Und das ist der größte Risikofaktor für Diabetes. Und Diabetes wiederum ist der größte Einflussfaktor, der zu Niereninsuffizienz Unter Niereninsuffizienz versteht man ein akute oder chronische Abnahme der Nierenfunktion. Die Entgiftungsfunktion der Niere geht verloren. beiträgt. Die nächste wichtige Ursache ist hoher Blutdruck. Und wenn man Diabetes und Blutdruck addiert, dann hat man damit etwa zwei Drittel aller Patienten mit Nierenerkrankungen beschrieben. Dann gibt es noch viele kleinere Einzelursachen. Fettstoffwechselstörungen gehören dazu oder Entzündungen an den NierenkörperchenNierenkörperchen, auch Nephronen genannt, sind die kleinste Funktionseinheit der Niere. Jede Niere besitzt etwa 1 Millionen von ihnen. .

news.de: Haben Sie ein paar Tipps, wie man seine Nieren funktionstüchtig halten kann?

Galle: Gesund leben! Alles das, was Sie fit und gesund hält, nützt auch den Nieren. «Wir alle sind so alt wie unsere Gefäße.» Das ist ein alter Spruch von Rudolf VirchowRudolf Virchow, 1821-1905, war Arzt an der Berliner Charité und Politiker. Er setzte sich für eine medizinische Grundversorgung der Bevölkerung ein. , den er vor langer Zeit ausgesprochen hat. Aber er gilt heute genauso wie ehedem. Auch die Nieren leiden unter GefäßverkalkungenGefäßverkalkungen führen dazu, dass die Nierenarterie enger wird. Es muss mehr Druck aufgewendet werden, um das Blut durch die Nieren zu fördern. Die Folge: Der Blutdruck steigt und belastet langfristig das Herz. . Das ist letztlich auch das, was sich beim Bluthochdruck und beim Diabetes abspielt. Auch das sind Erkrankungen, die sich ungünstig auf die Blutgefäße auswirken. Ein Organ muss gut durchblutet werden, um zu leben. Und dazu braucht es Blutgefäße. Und letztlich hängt der gesamte Körper an seinen Blutgefäßen, wenn man so will. Läuft da etwas schief wie im Fall der Niere, kann das zu einem chronischen Nierenversagen führen.

news.de: Was meinen Sie mit «gesund leben»?

Galle: Damit meine ich: mehr Bewegung, weniger essen, was die Kalorienzahl anbelangt, und eine gesunde Zusammenstellung der Ernährung. Und: mit dem Rauchen aufhören! Das sind alles Dinge, die auch der Niere nützen.

news.de: Und was ist mit der Flüssigkeitszufuhr? Sollte man viel trinken?

Galle: Es nützt der Niere nichts, wenn man über den Bedarf hinaus trinkt. Es trägt nicht dazu bei, die Nierenfunktion zu verbessern. Aber es schadet der Niere, wenn man zu wenig trinkt. Das kann zu einer Exsikkose, zu einer Austrocknung des Organs führen.

news.de: Wie viel sollte man denn trinken?

Galle: Die Gesamtmenge der Flüssigkeit kann ich Ihnen nicht sagen, denn das hängt von den Tagesumständen ab. Wenn Sie ein Schreibtischarbeiter sind, in einem temperierten Raum von 20 Grad sitzen und keine großen körperlichen Aktivitäten machen - dann ist eine Trinkmenge am Tag von eineinhalb Liter völlig ausreichend. Wenn es aber Hochsommer ist, Sie sind Straßenbauarbeiter und asphaltieren gerade in der prallen Sonne eine Straße und haben Hitze von oben und Hitze von unten – unter solchen Umständen braucht der Körper vielleicht zehn Liter Flüssigkeit. Man kann es für sich selber messen, indem man sein Körpergewicht im Blick behält. Und das sollte von dem einen auf den anderen Tag mehr oder weniger gleich bleiben. Wenn Sie ausgiebigen Sport machen, sich zum Beispiel auf Ihr Rennrad setzen und 200 Kilometer übers Land fahren und wiegen Ihr Gewicht danach, dann werden Sie feststellen, dass Sie massiv abgenommen haben. Und das ist nicht Muskelsubstanz, geschweige denn Fett – das geht leider nicht so schnell. Sondern das ist Wasserverlust – und den muss man wieder ausgleichen.

Professor Dr. Jan Galle ist Direktor der Nephrologie (Nierenkunde) und Dialyseverfahren am Klinikum Lüdenscheid sowie Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Weitere Infos: www.jan-galle.de.

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