«Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht», sang einst Herbert Grönemeyer. Eines nehmen deutsche Männer sogar viel zu leicht: die Gesundheitsvorsorge. News.de sprach mit einem der führenden Experten für Männermedizin: Dr. Frank Sommer.
news.de: Herr Dr. Sommer, Sie sind Deutschlands erster Uni-Professor für Männergesundheit und wohl auch weltweit der erste Arzt, der sich damit als Professor an einer Uni beschäftigt. Warum brauchen wir diese Disziplin?
Sommer: Es gibt das medizinische Fach Frauenheilkunde und Kinderheilkunde, aber es gibt kein spezielles Fach für die Männer. Damit ist mit der Einrichtung der Universitätsprofessur Männergesundheit in Hamburg-Eppendorf der erste Schritt getan, dass auch auf medizinische spezielle Bedürfnisse bei Männern eingegangen wird.
news.de: Inwiefern unterscheiden sich denn Männer von Frauen in ihrem Gesundheitsverhalten?
Sommer: Ich möchte das anhand eines Beispiels erläutern: Ernährung. Männer lieben das scharf angebratene Fleisch - Frauen ziehen Salat vor. Die wenigsten Frauen würden im Restaurant ein 250 Gramm schweres blutiges Steak bestellen. Wir alle wissen, dass ein erhöhter Fleischkonsum einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat. Das Beispiel zeigt, dass Frauen das klügere Geschlecht sind. Männer können etwas davon lernen. Frauen leben in ihrem Körper, Männer benutzen ihren Körper, um etwas zu erreichen. Das ist zumindest meistens so. Hierzu folgendes Beispiel: Ein Jurist hat zum Erreichen seiner Doktorwürde für den Zeitraum von fast drei Jahren das komplette Sportprogramm aufgegeben, und seine Ernährung bestand überwiegend darin, dass er abends auf dem Heimweg am Bahnhof vorbeifuhr, um seinen Hunger mit Junkfood oder Süßigkeiten zu stillen. Der Körper wurde benutzt, um das Ziel zu erreichen - ohne sich nähere Gedanken über die Konsequenzen zu machen.
news.de: Männer treiben ja nicht nur Raubbau am eigenen Körper, ihnen fällt es auch schwerer als Frauen, einen Arzt aufzusuchen. Warum ist das so?
Sommer: Wenn wir uns die Statistiken anschauen, betreiben die Frauen prozentual gesehen Vorsorgemedizin und die Männer Reparaturmedizin. Männer gehen oft erst zum Arzt, wenn die Erkrankung schon ausgebrochen ist. Auch da sind die Frauen wesentlich besser aufgestellt; was unter anderem damit zu hat, dass sich Frauen im traditionellen Rollenverhalten sowohl mehr um ihre Eigengesundheit als auch um die Gesundheit der gesamten Familie sorgen. Hierzu gibt es eine sehr interessante Untersuchung, die gezeigt hat, dass Männer ungern zum Arzt gehen, da sie es hassen, im Wartezimmer zu warten. Was ein erstaunliches Ergebnis war, da die meisten Männer beim Reifenwechsel mindestens eine Stunde in der Werkstatt warten, bis sie ihr Auto wieder zurückerhalten. Als weiterer Punkt kristallisierte sich heraus, dass Männer Angst haben vor schlechten Nachrichten - dass sie krank sein könnten. Das hängt mit dem traditionellen europäischen Männerbild zusammen. Männer reflektieren doch, so wie Herbert Grönemeyer es besungen hat, dass sie stark und unverletzlich sind, und es würde natürlich nicht ins Bild passen, wenn man auf einmal eine Erkrankung feststellen würde.
Warum Frauen länger leben
news.de: Ist daraus, dass Frauen anscheinend mehr für die Vorsorge tun,
die deutlich höhere Lebenserwartung von Frauen zu erklären oder könnte
es andere, genetische, Gründe haben, dass Frauen im Schnitt sieben
Jahre länger leben?
Sommer: Es gibt ungefähr 300 verschiedene Theorien, die den Unterschied in der Lebenserwartung von Männern und Frauen auf den Grund gehen. Hierbei spielen sowohl biologische wie auch genetische Faktoren eine riesen Rolle, aber auch Umweltfaktoren beziehungsweise soziologische Faktoren. In welcher Gewichtung, wird in den verschiedenen Theorien unterschiedlich bewertet. Ich möchte aber anhand eines Beispiels erläutern, dass die Männer nicht das stärkere Geschlecht , sondern dass schwächere Geschlecht sind. Genetisch gesehen sind Frauen XX und Männer XY - das lernen wir so in der Schule. Wenn wir uns das Y genauer anschauen, sehen wir ganz einfach, dass ein Y ein X ist, bei dem ein Schenkel fehlt. Das spielt in der genetischen Disposition eine große Rolle. Auf diesem fehlenden X-Schenkel werden unter anderem antioxidative Prozesse codiert. Antioxidative Prozesse sind ganz wichtig, um Alterungsprozesse beziehungsweise die Schädigungen, die von der Umwelt dem Körper zugeführt worden sind, wieder zu reparieren beziehungsweise den Körper vor diesen schädlichen Prozessen zu schützen.
news.de: Fühlen sich Männer prinzipiell gesünder als Frauen?
Sommer: Ja. Männer fühlen sich generell gesünder als Frauen. Es gibt eine sehr schöne Umfrage in sechs europäischen Ländern und den USA, die gezeigt hat, dass Männer zwischen dem 40. und 80. Lebensjahr erstaunlicherweise in der Größenordung von 78 bis 91Prozent der Meinung sind, dass sie gut oder top gesund sind. Kaum jemand war der Meinung, dass er sich nicht in einem optimalen Gesundheitszustand befindet. Nimmt man dann die Krankenakten dieser befragten Männer als Auswertungsgrundlage, stellt man fest, dass die Realität ganz anders aussieht. Denn es lagen bei Untersuchungen beziehungsweise anhand der Krankenaktenlage bei vielen Männern schon gesundheitliche Probleme vor.
news.de: Wie gut wissen Männer über ihre Geschlechtsorgane Bescheid, zum Beispiel für was ihre Prostata da ist?
Sommer: Den Ausdruck ProstataDie Prostata oder auch Vorsteherdrüse ist ein etwa kastaniengroßes Drüsenorgan, welches in seiner Form einem halbierten Apfel gleicht. Bei einem erwachsenen Mann wiegt sie ungefähr 20 Gramm. Die Prostata produziert ein milchiges Sekret, wodurch die Ernährung und Fortbewegungsfähigkeit der Samenzellen gesichert wird. Beim Samenerguss bildet dieses Sekret den größten Teil der Flüssigkeit. Außerdem sorgt die Prostata zusammen mit dem Blasenschließmuskel dafür, dass beim Samenerguss das Sperma durch die Harnröhre über den Penis nach außen befördert wird und nicht in die Blase fließt. Durch ihren ventilartigen Verschluss verhindert sie umgekehrt, das beim Wasserlassen Urin in die Samenwege gelangen kann. Quelle: www.prostata-info.de. haben über 80 Prozent der Männer schon einmal gehört - oder das deutsche Wort Vorsteherdrüse. Aber etwa nur 34 Prozent der Männer wissen, wo dieses Organ gelegen ist.
Welche Rolle der Penis spielt
news.de: Welches sind die typischen Männerkrankheiten? Woran sterben Frauen, woran sterben Männer in der Regel?
Sommer: Deutsche Männer sterben am häufigsten erstens an Herz-Kreislauferkrankungen, zweitens an Krebserkrankungen, drittens an Unfällen, Verletzungen und Vergiftungen. Zwischen dem 45. und 64. Lebensjahr sterben beispielsweise ein Drittel weniger Frauen an Herz-Kreislauferkrankungen als Männer. Ab dem 45. Lebensjahr sterben 1,5 bis 2 Mal so viele Männer an Tumorerkrankungen wie Frauen. Schauen wir uns die Zahlen an: Am Tod durch Gewalteinwirkung sterben zwischen dem 15. und 24. Lebensjahr ungefähr acht Mal so viele Männer, was sich wie ein roter Faden durch das Leben zieht. Schauen wir uns das Faktum Tod durch Gewalteinwirkung zwischen dem 1. und 14. Lebensjahr an, sind die Jungs fast so häufig betroffen wie die Mädchen. Das liegt eindeutig an dem Risikoverhalten, dass Männer ihren Körper als Mittel zum Ziel einsetzen.
news.de: Wie kann man Männer motivieren, mehr für ihre Gesundheit zu tun und Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen?
Sommer: Man muss Männern mitteilen, dass die Wahrnehmung einer Vorsorgeuntersuchung oder Präventionsmaßnahme nicht ein Schwächezeichen ist, sondern ein Zeichen von Intelligenz und Männlichkeit. Dass Männer, die was für sich tun, besonders männlich sind, und die Männer, die sich gesundheitlich gehen lassen, eigentlich unmännlich sind. Des Weiteren denke ich mir, ist es essenziell, den Männern zu kommunizieren, dass sie Erektionsstörungen abklären lassen müssen. Denn wir wissen aus großen Untersuchungen, dass «der Penis die Wünschelrute des Herzens ist».
news.de: Können Sie das erklären?
Sommer: Das bedeutet, dass die sensiblen Penisgefäße etwa vier bis acht Jahre bevor der Mann einen Herzinfarkt bekommt, minder durchblutet werden und dem Mann anhand der Erektionsstörung eine Indikation gibt, dass er hier etwas tun muss. In unserer Sprechstunde holen wir die meisten Männer, die nicht selbstständig Prävention betreiben beziehungsweise zur Vorsorgeuntersuchung gehen dadurch ab, dass wir bei uns der Symptomatik von Erektionsstörungen ihre penilen Gefäße genauer anschauen, um hier gegebenenfalls ein Präventionsprogramm aufzustellen, damit sie lange fit und gesund bleiben.
Dr. Frank Sommer, Jahrgang 1967, ist Professor für Männergesundheit, Urologe, Androloge und Sportmediziner. Er ist am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf tätig und Autor des Buches «Warum Frauen Pornos mögen und Männer einen G-Punkt haben» (Südwest-Verlag). Weitere Infos: www.maennergesundheit.info.
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