Psychologie: Lesen Sie auf Seite 3, was mit Informatikern passiert, die zu lange am Bildschirm sitzen
09.04.2021 10.34
Was kann sich psychologisch im Denken durch einen Beruf ändern, der ganz bestimmte Fähigkeiten sehr stark fordert? Nehmen wir das Beispiel eines Informatikers, der den ganzen Tag Dinge aus der Realität abstrahieren muss.
Wottawa: Die Anforderungen verändern die Art und Weise, wie man die Welt sieht, mit Sicherheit ganz stark. Deshalb gibt es für Informatiker die Kurse: «How to speak with a Non-Screen.» Also: Wie spreche ich mit einem Nicht-Bildschirm. Das Problem ist, dass manche Informatiker Schwierigkeiten haben, final zu denken. Sie haben diese herrlichen Regelsysteme, diese Programme. Aber es fällt ihnen in manchen Gesprächen schwer, sich vorzustellen, dass der Mensch, der ihnen gegenübersitzt, bestimmte Interessen verfolgt, also vom Ziel oder Ergebnis her denkt, und natürlich auch seinen subjektiven Nutzen optimieren will.
Gibt es noch andere Beispiele?
Wottawa: Wo so etwas auch passiert, ist bei vielen Führungskräften, die meinen, dass man mit allgemeinen Maßnahmen für jedes Problem eine Lösung hat. Also wenn meine Mitarbeiter nicht motiviert sind, dann denke ich darüber nach, mit welcher Gehaltssteigerung in Abhängigkeit von der Zielerreichung ich das verbessern kann, oder an irgendein anderes «allgemein» wirksames Konzept. Dass die Mitarbeiter aber ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, können manche Führungskräfte nicht verstehen. Der eine möchte wirklich mehr Geld, der andere möchte mehr bei der Arbeit zu sagen haben, ein anderer möchte mehr Anerkennung. Dieses Individualisieren fällt von der Ausbildung her etwa dem Psychologen leichter als einem BWLer oder wahrscheinlich auch einem Informatiker.
Was empfehlen Sie?
Wottawa: Das ist genau die grundlegende Frage von vorhin: Möchtest du deine «Eisenbieger-Muskeln» immer weiter stärken, oder möchtest du eine breite Persönlichkeit bleiben? So würde ich für Informatiker dringend empfehlen, einen Freizeitausgleich zu finden, in dem man viel mit anderen Menschen zu tun hat, wo man deren Bedürfnisse oder deren Wünsche erlebt und mit ihnen darüber spricht. Wenn ich BWL studiere, mit klaren Lösungsmustern für alle Probleme, ist es schön, wenn man etwas tut, wo es eben keine eindeutige Verbindung nach dem Muster gibt: Ich setze die Aktion X und dann passiert Y. Dann sollte man vielleicht nicht unbedingt Schach spielen, sondern etwas in der Freizeit tun, wo es so etwas nicht gibt. Schon Kartenspielen beinhaltet mehr Zufall - und erst Recht natürlich alle offenen Aktivitäten mit anderen Menschen.
Heinrich Wottawa ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Ruhr-Universität in Bochum.
zij/ivb/news.de