Prostitution im Osten: Sex für das Bruttoinlandsprodukt
Von news.de-Redakteur Björn Menzel, Budapest
11.09.2013 10.54
James* kommt allein wieder. Gegangen war er mit zwei Frauen. Den einen Arm um die Hüfte der Blondine, den anderen um die Hüfte der Schwarzgefärbten. James ist Ire, im Sexurlaub in Budapest. Die beiden Frauen sind Prostituierte und gehen ihrer Arbeit nach. Seit dem 1. Oktober werden ihre Einkünfte im ungarischen Bruttoinlandsprodukt berücksichtigt. Bedienen sie Kunden aus dem Ausland, gilt ihr Umsatz als Export. Ob James aus Irland die Exportquote des Landes erhöht hat, berichtet er später.
Der Ire ist zusammen mit seinem Kumpel Luke* für drei Tage von Dublin in die ungarische Hauptstadt geflogen. Die beiden interessieren sich nicht so sehr für das berühmte Burgviertel, das als Unesco-Weltkulturerbe gilt. Sie interessieren sich auch nicht für die 375 Meter lange Kettenbrücke über die Donau, die in der Nacht leuchtet. Auch nicht für eines der mondänen Thermalbäder, oder den Marathonlauf, der gerade stattfindet. Sie interessieren sich einzig und allein für Sex im engeren Sinne. Im weiteren Sinne immerhin noch für Frauen.
Die Lage der beiden Männer ist unterschiedlich und doch gleich. James war verheiratet und hat Kinder. Luke nicht, beide leben allein. Das ist nicht ihr Problem. Sie leben in Irland. Das ist ihr Problem. «In Irland ist Prostitution verboten», sagt James. Er ist ein Mann Anfang 50 mit akkuraten Zähnen, vollen grauen Haaren und wenn er den Bauch einzieht, sieht er sogar sportlich aus. Es gibt bestimmt viele Frauen, die ihn attraktiv nennen würden. Sein Kumpel Luke macht optisch einen etwas anderen Eindruck. Ihm fehlen einige Haare und zwei Zähne. «Ich begleite James nur», sagt er. An Sex sei ihm gar nicht so viel gelegen. Dann grinst er.
Der Abend ist gut geplant. Er beginnt in einer Kneipe in der es auch etwas zu Essen gibt. Im Hintergrund flackert ein Fußballspiel über den Fernseher. Die beiden Iren haben sich eine Fischplatte bestellt. Und jeder einen Liter Bier, Saproni, das Einheimische. Jetzt sitzen sie da, trinken, essen, ziehen sich ab und an eine Gräte aus dem Mund und denken an Frauen im weiteren Sinne. Vor allem denken sie an die vergangene Nacht. Es war die erste in Budapest - und eine sehr erfolgreiche. Obwohl Luke seinen Kumpel James nur begleitet, hatte er Sex mit einer Prostituierten. Jetzt schwärmt er von ihr - in allen Einzelheiten.
Ungarische Mädels seien überhaupt sehr hübsch und willig. Auch wenn sie etwas kosten, egal. Die beiden Iren fühlen sich gut. Sie sind keine Machos oder Angeber, die viel Geld haben. Sie sind Fabrikarbeiter, der Trip in den Osten drückt aufs Portemonee. Luke sucht das erste Mal bezahlten Sex im Ausland. James hat Erfahrung. Er hat sogar eine kleine Rangliste. Am schönsten seien die Frauen in Thailand. «Und noch schöner die so genannten Ladyboys», sagt er. Die hätten so ein markantes Gesicht. Während James das sagt, steht er auf und streicht sich über das Kinn hinab zum Kehlkopf. Dann deutet er noch schwungvoll an, wie und wo ein Ladyboy seinen Penis versteckt.
Thailand steht ganz oben auf der Liste jener Länder, die am meisten von Sextouristen besucht werden. Doch die Staaten im Ostblock holen in dieser Statistik auf. 2005 lag in Ungarn das Umsatzvolumen von Prostitution und Drogenhandel (werden nur zusammen angegeben) bei geschätzten 344 Milliarden Forint (1,27 Mrd. Euro). Im Jahr 2000 habe es noch bei 165 Milliarden Forint gelegen. Für die Jahre seit 2005 legte das Statistikamt keine separaten Zahlen vor. Prostitution und Drogenhandel fließen in den meisten EU-Ländern in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts ein. Auch in Deutschland ist Prostitution legal, wird allerdings im Bereich Dienstleistung berücksichtigt.
Nun stehen zwei Frauen am Tisch. Die Blondine und die Schwarzgefärbte. James hat sie bestellt. Die Frauen stehen eng zusammen, als ob sie immer zusammen gehören. James schluckt das letzte Stückchen Fisch runter, spült mit einem großen Schluck Bier nach, zieht seinen Bauch ein und springt auf. Ein kurzes Gespräch mit den beiden Damen. Dann fragt er seinen Kumpel Luke, ob er nicht doch mitkommen will. Luke will nicht. Er will lieber Bier und Fisch und an die vergangene Nacht denken. Die Damen verschwinden mit dem Iren. Was James nun erleben wird, weiß er wohl selber noch nicht.
In Ungarn ist Prostitution legal, allerdings auf Standorte beschränkt, in deren Nähe es keine Schulen oder Kirchen gibt. In der ungarischen Wochenzeitschrift Elet es Irodalom ist erst im Juli wieder eine Diskussion über die Legalisierung entbrannt. Für Anna Betlen, Ökonomin und Mitarbeiterin der ungarischen Frauenstiftung Mona, ist Prostitution grundsätzlich nicht von Menschenhandel und Gewalt zu trennen. Schließlich wolle der Freier eine Form von Sex, bei dem sich die Frau zu einem Gegenstand degradiert. Das gehe nicht ohne Gewalt, ob körperlich oder seelisch.
Nach zehn Minuten ist James schon wieder zurück. Blondine und Schwarzgefärbte sind nicht in Sicht. James hat etwas von seiner Fröhlichkeit eingebüßt. Er habe sich nicht auf einen annehmbaren Preis mit den beiden Frauen einigen können. Sie hätten mehr Geld gewollt, als vereinbart. Nun setzt er sich wieder hin, trinkt sein angefangenes Bier. Der Abend ist ja noch lang. James erörtert mit Luke die Möglichkeiten: Nachtbar, Club, Prostituierte. Dann stehen sie auf und verschwinden in der ungarischen Nacht. Sie werden sich noch etwas um das ungarische Bruttoinlandsprodukt kümmern.
*Namen von der Redaktion geändert
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