Ikea und sein Image: Der gutmütige Drache aus Schweden
Von news.de-Redakteur Sebastian Haak
09.04.2021 17.49
Ikea ist Billy. Und Billy ist Ikea. Ikea, das sind die blau-gelben, quaderförmigen Einrichtungshäuser, deren Charme vor allem bestechend funktional ist. So wie Billy. Das Bücherregal gibt es in vier Farben: Birkenfurnier, Buchenfurnier, Schwarzbraun, Weiß. Doch das ist Nebensache. Es ist so bestechend funktional, so einfach, dass es vielleicht besser als jedes andere Möbelstück Ikea und den Mythos des Hauses symbolisiert.
Dabei wäre Billy – sind wir mal ganz ehrlich – kein großer Designwurf, käme es nicht aus Skandinavien. Billy: ein paar zusammengeschraubte Bretter, wie sie jeder halbwegs begabte Handwerker mit Material aus jedem Baumarkt zusammenbauen könnte. Gregor Sauer beschreibt Billy und sein Design so: «Das ist das Bedürfnis nach Regalfläche.» Er ist Architekt und hat lange Jahre an der Fakultät Gestaltung der Bauhaus Universität in Weimar gelehrt.
Doch trotz seiner - nennen wir es mal - Schlichtheit ist Billy ein moderner Klassiker. 41 Millionen Stück sind davon in drei Jahrzehnten verkauft worden. Ikea ist ein moderner Klassiker. Das Unternehmen beschäftigt heute alleine in Deutschland etwa 13.000 Menschen, weltweit sind es fast 130.000. Ikea ist Deutschlands größte Einrichtungshauskette.
Die Mythologie um die Schweden ist schwer greifbar
In Branchenkreisen bewundert man den Konzern. «In Sachen Wareninszenierung und Merchandising ist Ikea ein Vorreiter», sagte eine Branchenkennerin. «Oft hört man Leute sagen: Ikea spielt in einer anderen Liga.» Die Zahlen stützen eine solche Auslegung. Nach einer Aufstellung der Zeitschrift Möbelkultur hat Ikea im Geschäftsjahr 2008 einen Umsatz von 3,3 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die beiden größten Verfolger, die Ketten Höffner und XXXLutz, kamen gerade mal auf 1,87 beziehungsweise 1,38 Milliarden Euro. Mitten in der Krise konnte Ikea seinen Umsatz damit sogar noch einmal um 100 Millionen Euro gegenüber 2007 steigern.
Und vor allem beim Kunden ist Ikeas Image positiv besetzt. Aber es lässt sich nur schwer erklären: «Warum?»
Ikea ist kein Möbeldiscounter, Billy ist kein Schnäppchen. Stattdessen setzt Ikea darauf, so etwas wie Exklusivität bei seinen Produkten zu erreichen. Auch wenn jeder Handwerker sich selbst sein eigenes Billy zusammenzimmern könnte - es würde kein echtes Billy werden. Billy ist mehr als nur ein paar Bretter. Das Regal ist ein Mythos.
Gleichwohl Ikea nicht billig ist, haben die Schweden die Exklusivität demokratisiert. Ikea war und ist für eine breite Masse bezahlbar. «Ikea ist sehr erfolgreich mit dem Versuch, die Preiswürdigkeit seiner Produkte in den Mittelpunkt zu stellen», beschreibt die Branchenkennerin die Preisgestaltung des Konzerns. Zu teuer, um als Ramscher wahrgenommen zu werden; zu günstig, um als elitär zu gelten.
Inhaltlich haben sich die gelb-blauen Quader vor allem das Image des Modernisierers angeheftet. «Ikea bedeutet eine ganz klare Funktionalisierung des Wohnraumes, weg vom Biedermeier. In den 1970ern bedeutete es, mit dem Alten zu brechen», sagt Gregor Sauer über die Ausrichtung des Ikea-Stils, den er so zusammenfasst: «Modern, industriell, schlicht.» Daran habe sich seit dem Ausgreifen Ikeas nach Deutschland 1974 nicht viel geändert.
Welche Rolle Du bei Ikea spielst
Nicht zuletzt die Präsentation der Möbelstücke in den Einrichtungshäusern hat zum Nimbus des Branchenriesen beigetragen. Einkaufen ist bei Ikea ein Erlebnis. Es geht nicht nur um den Erwerb von Möbeln. Es geht um Hot Dogs, Glögg und das Duzen der Kunden.
All das macht das Konzept der Kette aber wesentlich nicht griffiger. Einkaufen als Erlebnis ist ein Konzept, auf das der Einzelhandel insgesamt zu setzen versucht.
Bezeichnend ist trotzdem, dass die mythische Unschärfe das positive Image von Ikea sichert. Selbst bei Brancheninsidern gilt Ikea als mehr oder weniger freundliches Unternehmen. Schmutzige Geschichten über knallharte Preisverhandlungen mit Zulieferern nimmt man höchstens am Rande wahr. Auch die jüngsten Berichte über die Schließungen eines Billy-Werkes in Gardelegen haben dem Ruf der freundlichen Schweden nicht nachhaltig geschadet. Die Proteste der Beschäftigten gegen Schließung auch nicht.
«Die Beziehung zwischen Zulieferern und Ikea ist eine Hassliebe», heißt es in der Branche. Auf der einen Seite machten sie viele abhängig von der schwedischen Kette und ihren Preisvorstellungen. Andererseits gehe es um Aufträge in Größenordnungen, die Existenzen sichern.
Und auch der Umgang Ikeas mit Designern hat der Wahrnehmung des Konzerns in der breiten Öffentlichkeit nicht geschadet. «Aus der Perspektive des Designers ist Ikea ein Drache. Denn der Konzern nimmt ein Design auf, wandelt es leicht ab, platziert es zu bezahlbaren Preisen am Markt, aber der Designer hat nichts davon», kritisiert Gregor Sauer. Nur merke das keiner. Das heißt: Der Drache hat es geschafft, seine gutmütige Seite zur Schau zu stellen. Alles andere bleibt unscharf.
Ihre Form hat diese Unschärfe in den Möbelstücken des Konzerns gefunden. Eben in Regalen wie Billy. ruk/news.de